Ampel-Sondierungen - Punktsieger ist die FDP

Bei den Sondierungsgesprächen geht die FDP als Sieger hervor. SPD und Grüne werden in den Koalitionsverhandlungen nachliefern müssen, was ihren Parteien in der Sozial- und der Klimapolitik wichtig ist. Ob das gelingt, bleibt offen. Fest steht, es werden schmerzhafte Kompromisse notwendig sein.

Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und FDP-Parteivorsitzender Christian Lindner nach den Sondierungsgesprächen / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Den Freien Demokraten kann es ziemlich gleichgültig sein, was Politiker der Linken von ihnen halten. Den ersten Kommentar von Susanne Hennig-Wellsow, der Co-Vorsitzenden der Linkspartei, zum Sondierungspapier der Ampel-Partner, dürfte man aber in der FDP erfreut zur Kenntnis genommen haben. „Ich würde sagen: Die FDP hat die #btw2021 gewonnen,“ verkündete sie auf Twitter. Und klagte: „keine Vermögenssteuer, keine Umverteilung von oben nach unten, die Rente soll kapitalisiert werden, kein wirksamerer Mieter:innenschutz, keine Bürgerversicherung und…“. Mehr Lob für Christian Lindner und seine Mannschaft geht eigentlich nicht.

Schaut man genau hin, besteht der Erfolg der FDP in erster Linie darin, sehr vieles verhindert zu haben, worauf sich eine rot-grüne Koalition wohl schnell geeinigt hätte: Die Einkommensteuer wird nicht erhöht, eine Vermögenssteuer nicht eingeführt, es gibt kein Grundeinkommen, kein Mietmoratorium und keinen Mietendeckel, keinen Zwang zu Solarzellen auf privaten Neubauten, Tempo 130 kommt ebenso wenig wie das vollständige Aus für Verbrenner; Benziner mit synthetischen Kraftstoffen dürfen auch in Zukunft fahren. Noch ein FDP-Erfolg: Weder die Renten- noch die Krankenversicherung werden zu „Zwangskassen“ umgestaltet, in die auch Freiberufler und Beamte einzahlen müssen.

Die FDP kann sich ebenfalls an ihre Fahnen heften, dass SPD und Grüne darauf verzichten, die Schuldenbremse über 2022 hinaus auszusetzen oder gar abzuschaffen. Allerdings wäre das gar nicht möglich gewesen. Denn für die dazu notwendige Änderung des Grundgesetzes hätte eine SPD-/Grüne-/FDP-Koalition weder im Bundestag noch im Bundesrat die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit bekommen. Deshalb konnten SPD und Grüne leicht darauf verzichten.

Abwehrschlacht gegen Linksgrün

Man könnte sagen: Aus der Abwehrschlacht gegen Kernpunkte linksgrüner Politik geht die FDP als Sieger hervor. Doch trägt der Sieger auch Blessuren davon. Keine andere Partei hat im Wahlkampf so sehr die Forderung nach vollständiger Abschaffung des Solidaritätszuschlags für die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher gefordert wie die FDP. Eine Abschaffung oder zumindest Senkung war indes nicht durchzusetzen. Ebenfalls der FDP-Programmatik widerspricht die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro in einem Schritt. Es war ein zentrales Wahlkampfthema des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz („Das verspreche ich“) und deshalb nicht verhandelbar.

Hier kam die FDP um Abstriche nicht herum. Schließlich geht es nicht ohne Kompromisse. Immerhin können die Freien Demokraten darauf hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht dem „Soli“ ein Ende setzen wird. Schwieriger dürfte es für die FDP werden, kleinen Mittelständlern die deutliche Anhebung des Mindestlohns schmackhaft zu machen. Auch ist die Ausschaltung der Mindestlohnkommission und damit der Tarifvertragsparteien ein Tabubruch. Der Mindestlohn ist nun endgültig zum Spielball der Parteipolitik geworden.

Liberale Akzente

Der FDP ist es aber auch gelungen, eigene Akzente zu setzen. Das gilt für die Einigung auf ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild bei der Zuwanderung von Fachkräften ebenso wie bei den „Superabschreibungen“ für Investitionen in Klimatechnik und Digitalisierung. Die Handschrift der FDP wird ebenso in der Rentenpolitik sichtbar. Ihre Vorstellung von einem flexiblen Renteneintrittsalter konnte sie nicht durchsetzen. Aber die Rentenkasse soll durch Investitionen in Aktien stabilisiert werden. Dafür stellt der Bund 2022 erstmals zehn Milliarden Euro zur Verfügung.

Auch am Arbeitsmarkt setzte die FDP einiges durch. Die Grenze für Minijobs wird auf 520 (450) Euro erhöht, die von Midijobs auf 1.600 (1.300) Euro. Auch haben sich die Ampel-Partner darauf verständigt, die Hinzuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger zu verbessern. Schließlich widerspricht der geltende „Grenzsteuersatz“ von 80 Prozent jeder wirtschaftlichen Vernunft.

Katalog ohne Preisangabe

Das Sondierungspapier steckt nur einen Rahmen ab. Die Details müssen in den Koalitionsverhandlungen geklärt werden, vor allem die Frage der Finanzierung der Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung. „Wir werden im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse die nötigen Zukunftsinvestitionen gewährleisten, insbesondere in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie die Infrastruktur“, heißt es in dem Papier. So etwas lässt sich leichter formulieren als umsetzen. Denn mit dem Streichen von Subventionen und einem verstärkten Kampf gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche werden sich die notwendigen Milliardenbeträge nicht erwirtschaften lassen.

Das Sondierungspapier ähnelt einem Katalog ohne Preisangabe. Es ist also zu befürchten, dass die Ampel-Partner zu dem beliebten Trick greifen werden, Kredite außerhalb des Bundeshaushalts aufzunehmen, beispielweise über Fonds zur Finanzierung der Klimapolitik oder des staatlich geförderten Baus von 100.000 Sozialwohnungen im Jahr. Über solche „Schattenhaushalte“ kann die Staatsverschuldung steigen, ohne dass es sich im Etat niederschlägt. Der FDP-Erfolg bei der „Rettung“ der Schuldenbremse wäre dann mit Blick auf die Staatsverschuldung nicht viel wert.

Es bleibt spannend

SPD, Grüne und FDP werden nicht müde, die neue „Kultur“ dieser Sondierungen zu loben, den sachlichen Umgang untereinander und vor allem die Verschwiegenheit der Verhandlungsführer. Das war auch sicher ein guter Anfang. Allerdings werden in den nun folgenden Koalitionsverhandlungen viele Fachpolitiker hinzugezogen, was es schwieriger machen dürfte, im selben Stil zu verhandeln wie bisher. Auch kommt es jetzt auf die Details an. Da werden noch viele Kompromisse notwendig sein, auch schmerzhafte.

Die FDP kann jedenfalls darauf aufbauen, dass sie vieles ausgeschlossen hat, was sie nie und nimmer hätte mittragen können. SPD und Grüne werden aber beim „Kleingedruckten“ noch manches nachliefern müssen, was ihren Parteien in der Sozial- wie in der Klimapolitik wichtig ist. Ob das gelingt, bleibt offen. Jedenfalls spricht derzeit nichts für das Urteil von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, wonach die Ampel „deutlich auf Rot“ stehe. Da scheint das Urteil Hennig-Wellsows realistischer zu sein.

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