AKK im Verteidigungsministerium - Auf Durchreise ohne Ziel

Seit einem Jahr führt Annegret Kramp-Karrenbauer das Verteidigungsministerium. Sie hat in dieser Zeit wenig falsch, aber auch wenig richtig gemacht. Für eine positive Bilanz nach einem Jahr als Ministerin reicht das nicht aus.

Ministerin auf Durchreise: Die Destination Kanzleramt gibt es nicht mehr / picture alliance
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Walter Müller ist ein Pseudonym. Der Autor, leitender Beamter des Verteidigungsministeriums, ist der Redaktion bekannt.

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Der Start in das neue Amt war so ungewöhnlich wie die Personalie selbst. Weil Ursula von der Leyen als neue EU-Kommissionschefin nach Brüssel ging, musste auf dem Posten der Verteidigungsministerin ein Nachfolger gefunden werden. Dafür konnte Annegret Kramp-Karrenbauer eigentlich nicht infrage kommen, hatte sie doch noch im Juli 2019 erklärt: „Ich habe mich bewusst entschieden, aus einem Staatsamt in ein Parteiamt zu wechseln. Es gibt in der CDU viel zu tun.“

Nur Tage später, am 12. Juli vergangenen Jahres, hatte sich AKK anders entschieden und erhielt aus den Händen des Bundesratsvizepräsidenten im Schloss Bellevue die Ernennungsurkunde. Hausherr Frank-Walter Steinmeier weilte im Urlaub, und der Bundesratspräsident, protokollarisch Steinmeiers Vertreter, war auf Dienstreise im Ausland.

Bei der Entscheidung für AKK ging es damals darum, ihre Sichtbarkeit im politischen Betrieb zu erhöhen. Sie sitzt nach wie vor nicht im Bundestag und hatte bis zu ihrem „Sinneswandel“ keinen Platz am Kabinettstisch. Das Adenauerhaus, die CDU-Parteizentrale, war als Machtbasis für ihre damaligen Kanzlerambitionen nicht schlagkräftig genug. 

Viel hilft nicht unbedingt viel

Die Ernennung AKKs kam für fast alle überraschend, auch für das CDU-Präsidium. Jens Spahn soll für den Posten im Gespräch gewesen sein, musste sich aber weiter mit dem weitaus kleineren Gesundheitsressort begnügen. Damals konnte niemand ahnen, wie sich Spahn ab Februar 2020 als Krisenmanager in der Corona-Krise profilieren musste. Anders AKK: Anfang 2020 erklärte sie entnervt ihren Rückzug vom CDU-Parteivorsitz und gab damit ihren Anspruch auf den Kanzlerposten auf, seitdem kann sie angesichts der Corona-Bedrohung keine Auslandsreisen mehr bestreiten und damit keine roten Teppiche beim Abschreiten von Ehrenformationen mehr betreten. Stattdessen ging es jetzt um logistische Unterstützung durch die Bundeswehr im Innern: wichtig, aber nicht aufsehenerregend.

AKK legte sich in ihrer Antrittsrede fest, dass die Bundeswehr 2024 1,5 Prozent des BIP für Ausrüstung und Personal brauche. Auch an dem gegenüber der Nato versprochenen Fernziel – 2 Prozent des BIP – hielt sie fest. Der Verteidigungsetat ist von 2014 bis 2019 von 32 Milliarden auf 43 Milliarden Euro gewachsen. 1,5 Prozent des BIP würden jährlich zusätzlich knapp drei Milliarden Euro bedeuten, man wäre 2024 bei 58 Milliarden Euro. Wollte man 2 Prozent des BIP für die Verteidigung ausgeben, wäre man bei 77 Milliarden Euro. Illusorisch, auch angesichts der finanziellen Herausforderungen durch die Corona-Krise.

Mehr Geld bedeutet jedoch nicht automatisch bessere Ausrüstung für die Truppe. Ein Beispiel: AKK will die nicht mehr ganz neuen F-18-Kampfflugzeuge und modernisierte „Eurofighter“ als Ersatz für den veralteten Tornadojet kaufen. Hinzu tritt die Entwicklung des deutsch-französischen „Future Combat Air Systems“, das bis 2040 mindestens 50 Milliarden Euro verschlingen wird. Dieses Gesamtpaket wird den Steuerzahler teuer zu stehen kommen. Großbritannien und andere Nato-Staaten haben einen anderen Weg eingeschlagen: Sie haben sich bereits für das moderne amerikanische F-35-Kampfflugzeug und gegen einen Flugzeugmix entschieden.

Viel Ärger erspart

Stichwort Ausrüstung der Bundeswehr: Anders als ihre Vorgängerin, die das Beschaffungsamt der Bundeswehr privatisieren wollte, will sie die Behörde in Koblenz als Bundeswehrdienststelle in kleinen Schritten ertüchtigen und dabei die Mitarbeiter von den geplanten Reformen überzeugen. Ob dadurch die Beschaffung besser wird und die Ausrüstung schneller, einfacher und zielgenauer ankommt, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall hat sie sich damit viel Ärger mit ihren Bediensteten erspart.

Außergewöhnliche Umstände begleiteten AKK auch bei ihrem Antrittsbesuch beim amerikanischen Amtskollegen Mark Esper im September. Zeitgleich weilte Merkel bei der UN in New York, Kramp-Karrenbauer wurde kurzfristig vom Mitflug in der Regierungsmaschine ausgeladen – angeblich wegen Platzmangels. Mediale Beachtung fanden nur diese Umstände, nicht jedoch der Besuch selbst. 

Über ihre Reden spricht heute kaum mehr jemand

Auch ihr Vorstoß für eine internationale Schutzzone in Syrien wurde zum Rohrkrepierer. Kramp-Karrenbauer hatte Außenminister Heiko Maas nur per SMS informiert. Erschwerend kam hinzu, dass sich einen Tag nach dem Vorstoß der türkische und der russische Präsident trafen. Beide Länder haben in Syrien handfeste Interessen, kannten aber AKKs Überlegungen nicht vorab. Nato-Generalsekretär Stoltenberg begrüßte den Vorstoß pflichtgemäß, heute spricht niemand mehr darüber. 

Es gibt keine Rede von AKK, über die heute noch gesprochen würde. Dabei könnte sie einen wichtigen Beitrag für die außenpolitische Profilierung der Union leisten und den schwächelnden Außenminister in den Schatten stellen. Wer ihre Reden hört, fühlt sich an Verteidigungsminister Franz Josef Jung erinnert, der stets von der „friedlichen Entwicklung“ in Afghanistan sprach. AKK spricht in Versatzstücken, angelernt, aber nicht verinnerlicht. Woher soll die außen- und verteidigungspolitische Expertise auch stammen, wenn sie sich bisher vor allem als Vertreterin des eher links einzuordnenden Arbeitnehmerflügels der sogenannten „Herz-Jesu-Sozialisten“ mit sozial- und innenpolitischen Themen beschäftigt hat?

AKKs Vorstoß und Macrons Warten

Seit 2005 stellen CDU und CSU den Verteidigungsminister. In Sonntagsreden wird stets betont, dass die Union ihre Kompetenzen bei der inneren Sicherheit und der Verteidigung habe. Sollte dies tatsächlich zutreffen, darf man das Verteidigungsressort jedoch nicht zum parteipolitisch motivierten Verschiebebahnhof machen, so geschehen bei der Nachfolge von zu Guttenberg durch de Maizière und jetzt bei AKK. Die Union kann auch kaum die Unterfinanzierung der Streitkräfte beklagen, wenn man seit 15 Jahren die Kanzlerin stellt. 

Gravierender noch ist die Sprachlosigkeit der deutschen Regierung inklusive AKK gegenüber den europapolitischen Überlegungen des französischen Präsidenten. Bereits 2017 hatte Macron  eine „Neugründung Europas“ gefordert und ausgeführt, wie er sich die Entwicklung einer europäischen strategischen Kultur vorstellt. Sein Ziel: Europa muss sicherheitspolitisch handlungsfähig werden. Im März 2019 erneuerte er seinen Vorstoß in Form eines Appells an die Bürger Europas. AKK antwortete ihm, damals nur als Kanzlerkandidatin in spe, in der Welt am Sonntag. Zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit forderte sie die Einrichtung eines ständigen Sitzes im UN-Sicherheitsrat für die EU und nannte die Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrats „eine sehr bedenkenswerte Idee“. Und sie machte einen neuen rüstungspolitischen Vorschlag: den Bau eines gemeinsamen europäischen Flugzeugträgers. Dabei verfügt Deutschland über keine Kampfflugzeuge, die dort starten und landen könnten, und bisher hat die deutsche Marine auch keine Kapazitäten für ein derart großes Kampfschiff. Aber das ist ohnehin nicht relevant: Seit AKK Verteidigungsministerin ist, hat sie weder dieses Projekt, noch den Sitz der EU im Sicherheitsrat, noch die Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrats weiter verfolgt. Macron wartet weiter auf eine belastbare deutsche Antwort. 

Nicht alles kann AKK angelastet werden

AKK weiß, dass die Bundeswehr zunehmend aus dem Alltagsleben der Deutschen verschwunden ist. Die Aussetzung der Wehrpflicht hat ihren Beitrag dazu geleistet. Daher war es eine gute Idee, dass alle 16 Bundesländer am 12. November jeden Jahres, dem Gründungstag der Bundeswehr, ein öffentliches Gelöbnis veranstalten sollten. Leider folgte diesem Vorschlag nicht einmal die Hälfte der Bundesländer. Egal, ob es um Auslandseinsätze geht oder den Wehrbeauftragten, die Debatten und Beschlüsse der Volksvertreter zur Bundeswehr zeigen auffälliges Desinteresse an den Soldaten.

Das kann man AKK, die im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin gegenüber den Soldaten und Soldatinnen viel nahbarer ist, nicht allein anlasten. Dasselbe gilt für die Kritik des Wehrbeauftragten in seinem letzten Jahresbericht, in dem er von den Klagen der Soldaten über zu wenig Material, zu wenig Personal und zu viel Bürokratie berichtet. Bisher hat sie das Spitzenpersonal ihres Ministeriums kaum verändert. Mit Nico Lange hat sie einen engen Mitarbeiter aus der CDU-Parteizentrale zum Chef des Leitungsstabs gemacht, der bei dem Versuch gescheitert ist, Bundesgeschäftsführer zu werden. Einige Fehltritte seiner Ministerin wie der Syrienvorstoß werden ihm angelastet. Er kennt das Haus noch immer nicht genügend und ist mit der ministeriellen Arbeitsweise zu wenig vertraut, heißt es im Bendlerblock.

Woran man die Schwäche der Ministerin erkennt

Für Beobachter wirkt es, als sei AKK in diesem Hause auf Durchreise. Aber die Destination Kanzleramt gibt es nicht mehr. Möglicherweise wird sie bei ihrem Führungspersonal angesichts des Abschlussberichts von CDU/CSU und SPD zur „Berateraffäre“, in dem von teilweise rechtswidrigen Vorgängen im Ministerium gesprochen wird, Konsequenzen ziehen müssen. Die Abgeordneten sehen bei von der Leyen allerdings so gut wie keine Verantwortung: Die meist fragwürdige Praxis der Vergabe von Beraterverträgen sei auf der Ebene der Staatssekretäre entschieden worden. Dort sitzt seit Ende 2013 Gerd Hoofe, enger Vertrauter von Ursula von der Leyen und graue Eminenz des BMVg, der für sich bisher noch jede Klippe umschiffen konnte. Dass sich AKK von ihm bisher nicht getrennt hat, zeigt ihre Schwäche. Katrin Suder, die im Mittelpunkt der Berateraffäre stand, schied vor zwei Jahren aus, sitzt dafür aber im Digitalrat der Bundesregierung, als „Expertin, die uns antreibt“, wie es dort so schön heißt – ein verheerendes Signal für die Bediensteten des BMVg. Die Oppositionsparteien, deren Bericht noch aussteht, werden angesichts der massiven Vorwürfe des Bundesrechnungshofs von 2018 sicherlich nicht so milde urteilen.

Im Juli wird AKK ein Jahr im Amt sein. Die Freifahrten für Soldatinnen und Soldaten bei der Bahn, eine gute Idee, die von ihrer Vorgängerin stammt, und die Öffnung der Bundeswehr für jüdische Militärseelsorger werden für ein positives Testat über das erste Jahr als Verteidigungsministerin wohl nicht ausreichen.

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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