Debatte um AfD-Verbot - So geht politischer Kampf nicht

Der SPD-Innenminister von Thüringen hat ein Verbot der AfD ins Spiel gebracht. So bringt er sich vor der Landtagswahl im Freistaat in die Schlagzeilen. Der Demokratie hilft er damit nicht.

Thüringens Innenminister Maier im Juni - der SPD-Politiker sitzt in diesem Jahr der Innenministerkonferenz vor / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

So erreichen Sie Moritz Gathmann:

Anzeige

Muss man Georg Maier kennen? Seit 2017 ist der Mann aus Singen am Bodensee Innenminister des Freistaats Thüringen, zudem seit diesem Jahr Landesvorsitzender und Spitzenkandidat für die kommende Landtagswahl. Er vertritt eine Partei, der bei den letzten Wahlen im Freistaat 2019 knapp über acht Prozent der Wähler ihr Vertrauen schenkten – bei der für 2021 avisierten Neuwahl wird sie dieses Ergebnis kaum übertreffen.

Doch dieser Georg Maier hat das Glück, in diesem Jahr der Innenministerkonferenz vorzusitzen, das verschafft seinen Worten ein gewisses Gewicht. Dieses Gewicht hat er nun eingesetzt, um ein Parteienverbot der Alternative für Deutschland ins Spiel zu bringen. Es ist ein leicht zu durchschauendes und törichtes Spiel.

Ein Verbotsverfahren wäre aussichtslos

Maier kann sich natürlich immer darauf berufen, was er „wirklich“ gesagt hat: „Ein Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht ist dabei das allerletzte Mittel. Aber auch das ist nicht mehr auszuschließen, wenn die Partei sich weiter radikalisiert.“ Das heißt, er hat ein Verbotsverfahren ja lediglich „nicht ausgeschlossen“. Aber natürlich wusste er, dass ihm die mediale Aufmerksamkeit sicher sein würde. Und er weiß ganz genau, dass ein Verbotsverfahren (zum jetzigen Zeitpunkt) praktisch aussichtslos und politisch kontraproduktiv wäre.

%paywall%

Praktisch aussichtslos wäre ein Verbotsverfahren, weil das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für Parteienverbote sehr enge Grenzen setzen. Die einzigen erfolgreichen Parteienverbote unseres Landes stammen aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik: Anfang der 50er Jahre wurden mit der NSDAP-Nachfolgepartei SRP und der kommunistischen KPD zwei Parteien verboten, die die extremen Ränder des politischen Spektrums markierten. Seitdem scheiterten alle Versuche, Parteien zu verbieten, zuletzt zweimal (aus jeweils unterschiedlichen Gründen) die Verbotsverfahren gegen die NPD.

Realistische Machtoption

Zwar fiele im Fall der AfD ein Grund weg, der das letzte NPD-Verbotsverfahren zum Scheitern gebracht hat: Anders als die marginalisierte NPD verfügt die AfD besonders in den ostdeutschen Ländern durchaus über eine realistische Machtoption, um ihre politischen Ziele in die Tat umzusetzen.

Aber verfolgt die AfD heute als Gesamtpartei verfassungsfeindliche Ziele? Das ist zum jetzigen Zeitpunkt zu verneinen. Zum einen tun sich die Verfassungsschützer, die die Partei auf unterschiedlichen Ebenen prüfen und beobachten, damit schwer, in den AfD-Programmen Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung nachzuweisen.

Ein uneinheitliches Bild

Neben der offiziellen Programmatik bietet die Partei ein uneinheitliches Bild: In mehreren ostdeutschen Bundesländern dominieren Kräfte die Landesverbände, die der Neuen Rechten zuzuordnen sind und wenig Berührungsängste mit noch extremeren Positionen zeigen. Das sind allen voran die Landesverbände Brandenburg und Thüringen. Ein Verbot dieser Landesverbände durch das BVerfG wäre am ehesten denkbar. Im Westen allerdings wird die Partei von Kräften dominiert, die sich rechts der CDU und zum Teil radikal positionieren, die aber nicht rechtsextrem im Sinne des Verfassungsschutzes sind.

Zwar hat sich in Niedersachsen vor kurzem an der Spitze des Landesverbands ein Vertreter des Flügels durchgesetzt. Das zeigt aber in erster Linie, wie hart der Machtkampf zwischen den „Flüglern“ und dem gemäßigten Teil der AfD seit diesem Frühjahr geführt wird.

Kommt es zur Meuterei?

Auf Bundesebene hält sich bislang eine gegen den rechtsextremen Flügel gerichtete Mehrheit: Nur so war im Frühjahr der Parteiausschluss des Brandenburger AfD-Chefs und Flügel-Strippenziehers Andreas Kalbitz durch den Bundesvorstand der Partei möglich. Ob sich an dieser Konstellation auf dem AfD-Parteitag am kommenden Wochenende etwas ändert, scheint fraglich: Eine Neuwahl des Bundesvorstands ist nicht geplant, seine Gegner müssten dazu eine „Meuterei auf der Bounty“ gegen Parteichef Jörg Meuthen anzetteln.

Der Verfassungsschutz entspricht bislang dieser unklaren Lage: Er beobachtet auf Bundesebene den Flügel der Partei und die Junge Alternative, die Gesamtpartei läuft als „Prüffall“, daneben beobachten in erster Linie ostdeutsche Verfassungsschutzbehörden die Landesverbände der AfD. Hat sich an diesem komplexen Bild seit dem letzten Mittwoch etwas verändert, als AfD-Parlamentarier einige rechte Youtuber in den Reichstag schleusten, die dort Ministern und Bundestagsabgeordneten mit ihren Kameras auflauerten?

Druck auf Seehofer und Haldenwang

Auch wenn diese Aktion einzelner Abgeordneter verachtungswürdig ist – es lassen sich dadurch keine grundsätzlich anderen Erkenntnisse über eine etwaige Verfassungsfeindlichkeit der Partei gewinnen, schon gar nicht im Hinblick auf ein Parteiverbotsverfahren. Dafür lässt sich Aufmerksamkeit generieren, und an der scheint es dem Thüringer SPD-Innenminister zu mangeln.

Darüber hinaus könnte es aber ein kommunikationsstrategisches Kalkül geben: Anfang Dezember steht auf der Konferenz der Innenminister (IMK) eine Entscheidung über die Frage an, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD als Gesamtpartei beobachten sollte. Aus verschiedenen Gründen ist eine solche Beobachtung umstritten. Gleichzeitig trifft das BfV solche Entscheidungen nicht im luftleeren Raum: Wenn der Druck im politisch-medialen Raum zu hoch ist, können Bundesinnenminister Horst Seehofer und der ihm unterstellte Thomas Haldenwang nicht anders, als eine Beobachtung in Gang zu setzen.

Ein scharfes Schwert

Dieser Druck wird derzeit erhöht, neben Maier sprachen sich führende Politiker aus SPD, Union und FDP für eine Beobachtung aus. Und wäre eine Beobachtung der Gesamtpartei im Vergleich zu dem von Maier ins Spiel gebrachten Verbotsverfahren dann nicht lediglich das mindeste Mittel, mit dem sich die wehrhafte Demokratie der AfD entgegenstellen kann? Nein, wäre es nicht. Die Beobachtung einer Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln, die in allen 16 Landtagen und im Bundestag sitzt, ist ein scharfes Schwert.

Man sollte dabei auch eines nicht vergessen: Deutschland steht am Beginn eines Superwahljahres. Forderungen nach einem Parteiverbotsverfahren oder einer härteren Gangart des Verfassungsschutzes mögen politischen und medialen Zuspruch erfahren. Der AfD liefern sie aber Argumente frei Haus, sich im Wahlkampf als Opfer des politischen Establishments zu positionieren, das versucht, sich mit Verfassungsschutz und Parteiverbotsdrohungen eines politischen Konkurrenten zu entledigen. Wenn Herr Maier von der SPD der Meinung ist, auf diese Weise den politischen Kampf gegen eine Partei gewinnen zu können, die in seinem Bundesland laut Umfragen noch immer bei 22 Prozent liegt, hat er seine Hausaufgaben nicht gemacht.

Anzeige