Machtkampf in der AfD - Hängepartei

In Niedersachsen und Schleswig-Holstein verliert die AfD den Fraktionsstatus, weil gemäßigte Mitglieder die Fraktion verlassen haben. Auch im Bundesvorstand spitzt sich der Machtkampf zu. Kann Parteichef Jörg Meuthen die Partei vom rechten Rand befreien und einen, wenn er gleichzeitig als Spalter wahrgenommen wird?

Meuthen muss weg? Kann er vor dem Superwahljahr 2021 die Reihen seiner Partei schließen? / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Man muss sich Alexander Gauland als den Mann mit dem Regenschirm vorstellen. Seit der Gründung der Alternative für Deutschland vor sieben Jahren hält er ihn weit aufgespannt über die verschiedenen Strömungen der Partei, mit besonderer Sorgfalt über Parteirechte wie Andreas Kalbitz und Björn Höcke. „Zusammenhalten“, das ist Gaulands Mantra, seit Jahren. Doch der AfD-Patriarch ist in diesem Februar 79 Jahre alt geworden, seine Zeit als oberster Schirmhalter geht zu Ende. Den AfD-Fraktionsvorsitz gibt er im nächsten Jahr sicher ab. Fraglich ist, ob er noch einmal für den Bundestag kandidieren wird.

An Gaulands Stelle versucht nun Jörg Meuthen zu treten, seit 2013 Parteimitglied, seit 2015 einer der Bundessprecher, wie die Parteivorsitzenden bei der AfD heißen. Meuthen ist wie Gauland einer, den man sich vor 15 Jahren ohne Probleme in der CDU hätte vorstellen können: Wirtschaftswissenschaftler, christlich, nationalkonservativ.

Ein Freitag Mitte September, der groß gewachsene Meuthen sitzt in der Lobby eines Hotels unweit des Zoologischen Gartens in Berlin. Über den Inhalt des Gesprächs ist Stillschweigen vereinbart. Nach der mehrstündigen Sitzung des AfD-Bundesvorstands, aus der Meuthen gerade kommt, macht er aber einen eindeutig optimistischen Eindruck.

Meuthen hat es in diesem Jahr nicht nur geschafft, den Flügel zur Selbstauf­lösung zu zwingen, er hat mit Andreas Kalbitz auch den Flügel-Strippenzieher aus der Partei geworfen. Schafft Meuthen das, woran seine Vorgänger Bernd Lucke und Frauke Petry gescheitert sind: den rechten Rand aus der Partei zu drängen?

Meuthens Niederlagen

Meuthens Lauf im ersten Halbjahr unterbrechen gleich nach diesem Freitag zwei Niederlagen. Am Samstag muss er in Braunschweig mit ansehen, wie die niedersächsische AfD seine Kandidatin, die moderate Dana Guth, abstraft und mit Jens Kestner einen Flügel-Mann zum neuen Vorsitzenden wählt.

Auch die Kommunalwahl in NRW ist ein Schlag in Meuthens Kontor: Die dortige AfD hatte sich unter Rüdiger Lucassen im Sinne Meuthens von einigen Rechtsaußen-Leuten getrennt. Anstatt zweistellig zu werden, landet sie nun bei 5 Prozent. In Dortmund holt der aus der Partei gedrängte ehemalige Chef des Kreisverbands als Kandidat der Splitterpartei Die Rechte 3 Prozent – die AfD hatte keinen eigenen Kandidaten. So geht es aus, wenn einer die Partei spaltet, schimpfen Meuthens Gegner nach diesem Wochenende.

Bislang hat Meuthen auch das Problem, dass er in der Bundespolitik kaum bemerkbar ist: Er sitzt seit 2017 im Europaparlament und ist damit physisch der Hauptstadt fern. Auf Facebook sendet er erfolgreich, seine Posts werden tausendfach geteilt. Aber in den Talkshows, in der die AfD ohnehin selten vertreten ist, saß bisher meist Gauland. 

Geht es der AfD wie damals den Grünen?

Vor dem Hintergrund seiner Biografie hat der Politikwissenschaftler Hubert Kleinert einen ganz eigenen Blick auf die Häutungen der AfD: Der 66-Jährige gehört zur Ursuppe der Grünen, zu jenen Pionieren, die 1983 meist in Wollpullis in den Bonner Bundestag einzogen, vom politischen Establishment empfangen mit einer Mischung aus Amüsement und Unbill. Heute ist er Professor an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung in Gießen. „Auch die Grünen mussten sich in ihrer Anfangsphase von verschiedenen radikalen Elementen und Spinnern trennen“, erinnert er sich. „Aber der große Unterschied zur AfD ist, dass die Realos damals für ihren harten Kurs von den Medien und den anderen Parteien belohnt wurden.“

Die Belohnung für ihren Realo-Schwenk bestand 1985 für die hessischen Grünen in der bundesweit ersten Regierungsbeteiligung. Aus dem Landtag schied damals die Grünen-Abgeordnete Gertrud Schilling aus, die 1982 anlässlich eines Besuchs bei Muammar Gaddafi noch erklärt hatte: „Wir wollen die parlamentarische Demokratie beseitigen.“ Joschka Fischer, ehemaliger Steinewerfer aus der Frankfurter Spontiszene, wurde unter SPD-Ministerpräsident Holger Börner Umweltminister. Börner hatte drei Jahre zuvor getönt: „Fotos mit mir und den Grünen an einem Verhandlungstisch werden noch nicht einmal als Montage zu sehen sein.“ Ist ein ähnliches Szenario im Falle der AfD vorstellbar? 

Eine von den etablierten Parteien erhoffte Selbstradikalisierung und -auflösung, wie die NPD und die Republikaner es vorgemacht haben, scheint unwahrscheinlich. „Der Geist ist aus der Flasche“, urteilt Kleinert. Mit dem Erfolg der Bücher von Thilo Sarrazin habe sich bereits angekündigt, dass sich rechts von der CDU etwas entwickeln könnte: „Die AfD lässt sich als der eine Pol eines grundlegenden Wertekonflikts betrachten, dessen Gegenpol im parteipolitischen Raum am deutlichsten von den Grünen verkörpert wird. Gegen deren Vorstellungen von Vielfalt, Multikulti, Gender und Klimapolitik artikuliert sich in der AfD und in ihrem Umfeld eine Opposition, die offene Grenzen, Zuwanderung und Internationalisierung, aber auch Feminisierung und Pluralisierung von Lebensformen nicht zuerst als Chance sieht, sondern als Gefahr ihrer sozialen Lebenschancen und als Bedrohung ihrer kulturellen Identität.“ 

Im Unterschied zu den Grünen in den 1980er Jahren ist die Ablehnung des „Establishments“ gegenüber den Neulingen heute breiter und nachhaltiger. Die AfD hat zunehmend Mühe, überhaupt Veranstaltungsorte für ihre Parteitage zu finden. Der Landesparteitag in Berlin musste im Januar ausfallen, weil der Besitzer der Halle Drohungen aus dem linken Spektrum erhalten hatte und im letzten Moment den Vertrag kündigte. 

Meuthens überraschende Erfolge 

Von einer Regierungsbeteiligung scheint die Partei weiter weg denn je zu sein – darauf lassen bis auf wenige Ausnahmen die Äußerungen der „Altparteien“ schließen. Das gilt umso mehr, seit über der AfD das Damoklesschwert des Verfassungsschutzes hängt: Mehrere Landesverbände gelten als Verdachtsfälle, im März dieses Jahres stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) den „Flügel“ als „erwiesen rechtsextremistische Bestrebung“ ein; Björn Höcke und Andreas Kalbitz werden vom BfV als Rechtsextremisten eingestuft. Der Super-Gau für die AfD wäre eine Einstufung der Gesamtpartei als Verdachtsfall – eine Entscheidung darüber wird in diesem September erwartet.

Im Bemühen, die Gefahr abzuwenden, hat Meuthen überraschende Erfolge errungen: Der von ihm initiierten Aufforderung des Bundesvorstands, den Flügel aufzulösen, kamen Höcke und Kalbitz nach. Andererseits: Was heißt das schon? Der Flügel war keine institutionalisierte Parteiorganisation. Das bedeutet: Die Anhänger des Flügels – der Verfassungsschutz schätzt ihre Zahl auf 7000 – sind weiterhin Mitglieder der Partei. 

Ein wirklicher Schlag gegen den extremen Parteiflügel war der Rausschmiss des Brandenburger AfD-Chefs Kalbitz: Mit einer knappen Mehrheit von sieben zu fünf Stimmen erreichte Meuthen Mitte Mai im Bundesvorstand Kalbitz’ Ausschluss – gegen den Willen der Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland und seines Ko-Bundessprechers Tino Chrupalla. Seitdem hat Meuthen im Führungsgremium der Partei eine klare Mehrheit, aber die Schützengräben sind jetzt mannstief: Auf der einen Seite Meuthen, Beatrix von Storch und einige Leute aus der zweiten Reihe, auf der anderen Gauland, Chrupalla und Weidel. 

Kalbitz ist noch nicht fertig mit der AfD

Die Causa Kalbitz war klar gelegen: Der 47-Jährige hatte seine frühere Mitgliedschaft in der rechtsextremistischen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) und bei den Republikanern beim Eintritt in die AfD verschwiegen. Kalbitz wehrte sich, Gauland und der Brandenburger Landesverband standen demonstrativ hinter ihm, aber am Ende musste der ehemalige Fallschirmjäger – vorerst – kapitulieren: Sowohl vor dem Bundesschiedsgericht der AfD als auch mit seinem Eilantrag beim Landgericht Berlin scheiterte Kalbitz.

Kalbitz war nicht nur Gaulands politischer Ziehsohn in Brandenburg, weshalb dieser bis zuletzt zu ihm hielt, sondern er war auch der große Netzwerker, der auf Parteitagen im Hintergrund die Strippen zog, um die Vertreter des Flügels in den Gremien durchzuboxen. Das ließ sich auf dem Bundesparteitag in Braunschweig im vorigen November beobachten: Während Höcke nur am Platz saß, war Kalbitz ständig zwischen den Reihen der Abgeordneten unterwegs, um Stimmen zu organisieren. 

Boxhieb in den Magen 

Nun ist Meuthen nicht nur seinen größten Widersacher im Bundesvorstand los, Björn Höcke ist mit Kalbitz sein Durchboxer abhandengekommen. Der bewies zum Abschied noch mal seine Qualitäten: Seinen möglichen Nachfolger in Brandenburg Dennis Hohloch begrüßte er mit einem Schlag in den Bauch, nach dem dieser wegen eines Milzrisses stationär behandelt werden musste.

Kalbitz will vor Gericht weiterkämpfen – und er sammelt seine Truppen: Am Montag nach Meuthens Desaster-Wochenende steht der 47-Jährige auf dem Dresdner Alten Markt und genießt das Bad in der Menge. In Anzug und Lederschuhen sticht er aus den etwa 1000 prekär-ostigen Pegida-Demonstranten in Trump- und Putin-Shirts heraus, die begeistert Selfies mit ihm schießen. „Schluss mit Meuthens Spalternative“ steht auf einem Plakat. Kalbitz fällt es schwer, seine Häme zu verbergen. „Meuthen hält sich ja für einen guten Schachspieler, der die Züge im Voraus bedenkt“, sagt er hinter der Bühne. „Das scheint aber weder innerparteilich in Niedersachsen noch bei den Wahlen in NRW funktioniert zu haben. Wenn die Logik war, dass, nachdem ich vermeintlich geköpft wurde, jetzt Hunderttausende enttäuschter CDU- und FDP-Wähler überlaufen, kann ich die in diesem Wahlergebnis nicht abgebildet finden.“ 

Auf der Bühne legt er nach, spricht von einer „kleinen Clique völlig verantwortungsloser Karrieristen, die diese Partei überfallen und zur Beute gemacht haben“. Und von einer Richtungsentscheidung: Will die AfD eine Kraft sein, die politisch wirklich an die Ursachen geht, „oder eine Kraft, die als Steigbügelhalter einer scheinkonservativen Union mitspielen darf und dafür an den Symp­tomen ein bisschen rumdoktern kann?“ Kalbitz sendet aus Dresden ein klares Signal: Er ist noch nicht fertig mit der AfD.

Gegner und Befürworter der Fundamentalopposition

Die Partei ist nun in einer kniffligen Lage: Einerseits müsste sie ein Jahr vor der Bundestagswahl ihre Reihen schließen, um erfolgreich Wahlkampf zu führen. Denn der Kampf zwischen den Flügel-Anhängern und den Gemäßigten lähmt die Partei: In Nordrhein-Westfalen war die AfD im Kommunalwahlkampf kaum bemerkbar, weil sich viele Verbände auf Bezirks­ebene schon bei der Aufstellung der Listen zerstritten hatten. Ähnliches droht bei der Aufstellung der Listen für die Bundestagswahl. Die meisten westlichen Landesverbände werden zwar von Gemäßigten geführt, aber die „Flügler“ beweisen auf Versammlungen regelmäßig ihr Mobilisierungspotenzial. 

Jüngstes Beispiel ist der Sieg des Flügel-Kandidaten in Niedersachsen. „Das wabernde Mittelfeld einer Partei ist immer empfänglich dafür, jemanden zu bestrafen, der die Partei angeblich spaltet“, sagt der in Kämpfen zwischen Fundis und Realos erfahrene Kleinert. Genau das passierte in Niedersachsen: Nach Meuthens Rede rief dort Tino Chrupalla von der Bühne dazu auf, sich nicht spalten zu lassen. Er bekam den Beifall, und sein Kandidat setzte sich durch. 

Steht die AfD auf der Kippe? 

Unter rechten Intellektuellen bekommt Meuthen Applaus – und harten Gegenwind. Michael Klonovsky etwa, Gaulands Redenschreiber (mit Ausnahme der „Vogelschiss“-Rede), ist Gegner der Fundamentalopposition. Am Ende könne man nur Dinge bewegen, wenn man in den Ministerien sitze: „Es ist wichtiger, Steuergelder in vernünftige Bahnen im Sinne konservativer Politik umzulenken, als auf dem Erfurter Marktplatz tausend Jahre deutscher Geschichte zu beschwören“, sagt er. 

Das Magazin Tumult dagegen sieht in seiner jüngsten Ausgabe „die AfD auf der Kippe“. Herausgeber Frank Böckelmann, in den 1960er Jahren an der Seite von Kunzelmann und Dutschke, warnt die Partei davor, sich damit zu begnügen, ein von der Union aufgegebenes Bürgertum aufzufangen. Auch sieht er keinen Sinn darin, sich den Regeln des Mainstreams anzupassen, und greift namentlich Meuthen an: „Das Sprachregime schützt die linksgrünliberale Deutungshegemonie vor lästiger Konkurrenz; auch eine weichgespülte AfD, zumindest der ein oder andere Teil von ihr, würde weiterhin als ,fremdenfeindlich‘, ,nationalistisch‘, ,geschichtsrevisionistisch‘ verun­glimpft werden.“ 

Kann eine politische Nachsozialisierung der AfD gelingen?

Böckelmann sieht „bei keinem mir bekannten Funktionsträger der AfD“ eine völkische, nationalistische oder rechtsextremistische Haltung – vielmehr wirft er der deutschen Öffentlichkeit und auch dem Verfassungsschutz vor, die Definition dieser Begriffe immer weiter ausgedehnt zu haben. Wer sich Zitate früherer Politiker der Volksparteien anschaut, dem kommt diese Vermutung nicht völlig abwegig vor. Franz Josef Strauß zum Beispiel, O-Ton 1985: „Es strömen die Tamilen zu Tausenden herein, und wenn sich die Situation in Neukaledonien zuspitzt, dann werden wir bald die Kanaken im Land haben.“

Oder sein CSU-Parteikollege Friedrich Zimmermann, Bundesinnenminister von 1982 bis 1989: „Ein konfliktfreies Zusammenleben wird nur möglich sein, wenn die Zahl der Ausländer bei uns begrenzt und langfristig vermindert wird, was vor allem die großen Volksgruppen betrifft.“ Der SPD-Politiker und langjährige NDR-Intendant Martin Neuffer nannte die Türken in Deutschland 1982 im Spiegel eine „im ganzen wenig assimilationsfähige völkische Minderheit“. Zitate wie diese belegen heute in den Berichten des Verfassungsschutzes die rassistische Gesinnung der AfD-Politiker. Daraus folgert die Behörde ihre Verfassungsfeindlichkeit.

Politologe Kleinert hat 2017 in einer Studie zwei hessische Kreisverbände untersucht – mit dem Ergebnis, dass eindeutig rechtsradikales Potenzial bei 10 bis 15 Prozent der Mitglieder erkennbar sei. Im Schnitt aber ähnele das AfD-Mitglied „einem konservativen CDU-Mitglied von vor 20 Jahren“, so Kleinert. Zumindest für die von ihm untersuchten Kreisverbände galt, dass der Flügel wenig Unterstützung genoss: „Da hieß es eher: Wenn wir den Höcke nur los wären.“ So motiviert auch Meuthen seinen Kurs. Anders als der aus Sachsen stammende Chrupalla steht er aber für die westdeutschen Landesverbände. 

Kann im Fall der AfD eine „politische Nachsozialisierung“ auch von ehemaligen Radikalen gelingen, wie es Politikwissenschaftler Kleinert bei den Grünen beobachtet hat?

Aderlass der Moderaten

Die AfD hat in ihrer siebenjährigen Geschichte wiederholt eher Moderate aus der Partei geekelt: Bei der ersten Spaltung 2015 folgten dem gestürzten Parteichef Bernd Lucke ein Fünftel der damals 21 000 Mitglieder. Einen weiteren Aderlass erlitt die Partei nach der Bundestagswahl 2017, als AfD-Chefin Frauke Petry die Partei verließ. Seit einiger Zeit stagniert die Mitgliederzahl bei 34 000. Das ist nicht ungewöhnlich: Auch die Grünen hingen lange bei etwa 45 000 Mitgliedern fest. Erst in den vergangenen Jahren ist die Partei wieder bedeutend gewachsen. 

Einer, der zwar noch Mitglied ist, aber die Partei innerlich verlassen hat, ist Konrad Adam. Der ehemalige FAZ- und Welt-Journalist war es, der am 6. Februar 2013 Bernd Lucke, Alexander Gauland und eine Handvoll weiterer mit der Europolitik der Bundesregierung Unzufriedener in seinen Wohnort Oberursel lotste, um die AfD zu gründen. Er selbst holte bei der Bundestagswahl 2013 in seinem Wahlkreis mit 7,2 Prozent das beste Ergebnis in allen West-Bundesländern. 

Weil er sich im Streit um einen moderaten Kurs immer wieder mit der Partei anlegte, ist er heute isoliert. Der 78-Jährige ist Ehrenvorsitzender der Erasmus-­Stiftung, eine von mehreren Organisationen, die im nächsten Jahr als „parteinahe Stiftung“ an die Fördertöpfe des Bundes heranwill, welche der AfD nach einem erneuten Einzug in den Bundestag zustünden. Aber auch die Stiftung hat Adam aus dem operativen Geschäft herausgedrängt, weil er seine Prinzipien nicht über Bord werfen wollte. 

Rechtsausleger und finanzielle Unregelmäßigkeiten

Für die heutige Misere der AfD macht er Gaulands Toleranzedikt „Alle Tendenzen müssen vertreten sein“ verantwortlich. Das galt auch für die Erasmus-­Stiftung und brachte sie, wie von Adam prophezeit, in die Bredouille: Im September 2019 berief die Stiftung mit Erik Lehnert den Geschäftsführer des Instituts für Staatspolitik in den Vorstand. Seit März 2020 wird das neurechte Institut vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt. Im Mai musste die Stiftung Lehnert deshalb wieder aus dem Gremium herauswählen. „Lucke hat von Anfang an vor zwei Gefahren gewarnt: Rechtsausleger und finanzielle Unregelmäßigkeiten“, erinnert sich Adam.

Finanzielle Unregelmäßigkeiten verfolgen auch Parteichef Meuthen: 2016 unterstützte die Schweizer Goal AG seinen Wahlkampf in Baden-­Württemberg. Bis heute ist unklar, wer die Spender waren. Die AfD muss nun wegen der verbotenen Annahme anonymer Spenden 270 000 Euro Strafe zahlen. Für Meuthen ist der Skandal damit ausgestanden, bei Fraktionschefin Weidel dagegen steht eine Klärung noch aus: 2017 bekam ihr Kreisverband am Bodensee 130 000 Euro aus der Schweiz, auch hier sind die Spender unbekannt. Der Skandal könnte beim Machtkampf in der baden-württembergischen AfD eine Rolle spielen: Dem steht Weidel vor, und sie will auch die Liste für die Bundestagswahl anführen. Aber auch Meuthens Heimatwahlkreis liegt im „Ländle“.

Bis Ende des Jahres muss der offene Machtkampf, den Meuthen angezettelt hat, ein Ende finden: Dann beginnt das Superwahljahr 2021. Für Dezember plant die AfD ihren Bundesparteitag. Dort wird sich entscheiden, ob Meuthen wie Lucke und Petry in die Geschichte der AfD eingeht – und der alte Schirmträger doch noch recht behält.
 

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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