Was bleibt vom AfD-Parteitag? - „Wenn Herr Höcke das als Erfolg beansprucht, liegt er verkehrt“

Ausgerechnet zum Auftakt des Superwahljahres hat Parteichef Jörg Meuthen den „Krawallmachern“ in der AfD den Kampf angesagt. Der Chef des mächtigen NRW-Landesverbands sagt, wie die gespaltene Partei jetzt noch die Kurve kriegen will und welche Rolle dabei die Pandemie spielt.

Hat das Timing für den „Präsenzparteitag“ bewusst gewählt: AfD-Chef Jörg Meuthen / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Rüdiger Lucassen sitzt seit 2017 für die AfD im Bundestag. Der Oberst a.D. der Bundeswehr und Diplom-Kaufmann ist der Chef des mitgliederstärksten AfD-Landesverbands in Nordrhein-Westfalen. Er gehört dem gemäßigten Lager um den Parteivorsitzenden Jörg Meuthen an. 

Herr Lucassen, eigentlich sollte im Mittelpunkt des AfD-Parteitags die Frage stehen, welchen Sozialstaat die Partei will. Stattdessen hat Parteichef Jörg Meuthen mit seiner Brandrede gegen die „Krawallmacher“ in den eigenen Reihen den Graben zwischen Radikalen und Gemäßigten vertieft. Was glauben Sie, welchen Eindruck vermittelt die Partei gerade nach draußen? 
Also, zu einem Parteitag gehört es, dass ein Bundesvorsitzender eine Grundsatzrede hält. Sicherlich hat er mit seiner Grundsatzrede sehr akzentuiert zu der innerparteilichen Situation in der Partei Stellung bezogen. Dabei hat er auch den Finger in die Wunde gelegt: Es gibt zwei verschiedene Richtungen, wie wir unsere Politik verkaufen. Nach außen, das gebe ich zu, erscheint die Partei  zerstritten. Für mich ist das aber ein Schritt in dem Prozess, den richtigen Weg zu finden. Dafür bin ich ihm dankbar, dass er das in aller Klarheit angesprochen hat.   

Im Bundesvorstand  konnten die Gemäßigten um Meuthen ihre Mehrheit zwar ausbauen, aber nach dem Geräuschpegel der Proteste beim Parteitag zu äußern, ist seine Basis gebröckelt. Björn Höcke spricht „von einem großen Erfolg“ und von „einer Stärkung des Sozialpatriotismus“ in der Partei. Hat er Recht?
Nein, es liegt in der Genetik unserer Partei, dass diejenigen, die sich als die Radikaleren sehen, auch die Lauteren sind. Deshalb ist der Geräuschpegel allein noch kein Indikator für die Mehrheitsverhältnisse in unserer Partei. Wenn Herr Höcke das für sich als Erfolg beansprucht, liegt er verkehrt. Die Leitlinien zur Sozialpolitik wurden ja mit großer Mehrheit verabschiedet, weil es ein Konsenspapier war. Wenn Herr Höcke der Meinung ist, dass es eine große Opposition gegen Herrn Meuthen gegeben hat, frage ich mich: Warum ist er nicht einmal selbst aufgetreten? 

Meuthens Vorgänger, Bernd Lucke und Frauke Petry, haben diesen Grabenkampf als Vorsitzende nicht überlebt. Warum konnte sich Jörg Meuthen am Wochenende halten?
Weil er bereit ist, den Weg, den ich auch vertrete, konsequent zu Ende zu gehen. Man kann nicht niederschwellig davon ausgehen, der Partei mit Handreichungen ein Profil zu geben. Man muss zu einer gegebenen Zeit Position beziehen, auch wenn das wehtut. Und diese Zeit war jetzt gekommen. 

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Der Konflikt zwischen Gemäßigten und Radikalen ist nicht neu. War es klug von Herrn Meuthen, ihn ausgerechnet zum Beginn des Superwahljahres 2021 zu thematisieren? 
Dieser Dissens ist tatsächlich nicht neu. Wir standen vor der Frage: Tragen wir ihn in den Bundestagswahlkampf hinein? Oder haben wir jetzt noch dieses Window of Opportunity, um es noch vorher auf den Punkt zu bringen? Und da waren Herr Meuthen und ich uns einig, dass dieses Zeitfenster bis Weihnachten das richtige wäre. Für einen Präsenzparteitag war es also jetzt der beste Zeitpunkt.  

Heißt das, Jörg Meuthen bestand auf einem Präsenzparteitag, weil er die offene Konfrontation gesucht hat?
Jörg Meuthen hat die Konfrontation nicht per se gesucht. Aber der Präsenzparteitag bot die Gelegenheit, die Dinge auf den Tisch zu legen. Dazu bieten digitale Foren nicht die Möglichkeit. Nicht umsonst hat Friedrich Merz auf einen Präsenzparteitag bestanden. Er hatte sicherlich dasselbe Kalkül. 

Und dafür hat Meuthen sogar in Kauf genommen, dass so eine  Massenveranstaltung ein gewisses Infektionsrisiko birgt?
Nein, dieses Risiko kann ich so nicht sehen. Bund und Länder haben uns mit dem Infektionsschutzgesetz Auflagen gemacht. Und diese Auflagen haben wir vollständig eingehalten. Darauf bin ich sehr stolz. Diese Diszipliniertheit müssen wir jetzt auch in der politischen Willensbildung beweisen. 

 

Rüdiger Lucassen / dpa 

Im Dezember will der Verfassungsschutz bekanntgeben, ob er die Partei beobachtet. Insider gehen davon aus, dass die Weichen längst in Richtung Verdachtsfall gestellt sind. Läuft Meuthens Appell an die Vernunft der Radikalen nicht ins Leere? 
Nein, noch hat der von der Regierung instrumentalisierte Verfassungsschutz die Partei nicht zum Beobachtungsfall erklärt. Insofern sind alle Maßnahmen angebracht, um nicht auf dieses Minenfeld zu geraten.  

Was würde es für die Partei bedeuten, wenn sie zum Beobachtungsfall werden würde? 
Dann würden wir bis vors Bundesverfassungsgericht gehen. Die Äußerungen einzelner Mitglieder dienen der politischen Konkurrenz immer wieder dazu, der AfD das freiheitlich-demokratische Selbstverständnis abzusprechen. Eine unappetitliche Äußerung, selbst wenn sie strafrechtlich relevant sein sollte, bedeutet aber noch lange nicht, dass unsere Verfassung bedroht ist. Dass unsere Partei insgesamt die Voraussetzung für eine Beobachtung bietet, sehen wir eindeutig nicht. 

Die Umfragewerte für die AfD sind aber schon vor dem Parteitag auf den Tiefstand von 7 Prozent gerutscht. Woran liegt das? 
Das Auftreten einiger Bundestagskollegen im Zusammenhang mit der Novelle des Infektionsschutzgesetzes am 18. November hat mit Sicherheit dazu geführt. Das ist zwar bitter, war aber nach den Ereignissen in Berlin nicht überraschend. 

Es gab eine Sondersitzung des Ältestenrats und eine Aktuelle Stunde im Bundestag. Was glauben Sie, warum haben Ihre Kollegen diese Youtuber ins Parlamentsgebäude geschleust? 
Da verlangen Sie jetzt sehr viel von mir, mich in die Psyche der Kollegen hineinzuversetzen, die das gemacht haben. Rational kann ich mir dieses Verhalten nicht erklären. Will ich auch nicht. Ich kann es nur verurteilen. Ich nehme an, den dreien ging es darum, einen sicheren Listenplatz für die Bundestagswahl zu bekommen. Das war nachhaltig schädlich.  

Udo Hemmelgarn kommt aus Ihrem Landesverband in NRW. Offenbar schätzt er die Stimmung dort so ein, dass sein Verhalten belohnt wird.
Ja, aber wenn das die Maßgabe für sein Verhalten war, muss ich ihm sagen, dass er sich verrechnet hat. 

Die Fraktionschefs Alexander Gauland und Alice Weidel haben sich zwar für die Störaktion entschuldigt, aber sie haben sich indirekt hinter die Unruhestifter gestellt. Es hieß, die hätten das nicht gewollt. Eine glaubwürdige Reaktion? 
Wenn Herr Gauland und Frau Weidel das Verhalten der Gäste beurteilen, dann ist das die eine Geschichte. Aber die entscheidende ist, dass es diese drei Bundestagsabgeordneten waren, die diese Gäste hineingelassen haben. Ich brauche keine Geschäftsordnung eines Deutschen Bundestags, um zu wissen, dass ich als Gastgeber für meine Gäste verantwortlich bin. Und zwar zu 100 Prozent. .

An die Querdenker und Kritiker der Corona-Maßnahmen haben sie damit das Signal gesendet: Wir sind Euer Sprachrohr! Misst die Fraktionsspitze diesem Wählerpotenzial im Bundestagswahlkampf mehr Bedeutung bei als dem demokratischen Diskurs im Parlament? 
Wie die Fraktionsspitze das sieht, kann ich nur mutmaßen. Ich selbst habe dazu eine klare Auffassung. Wir sind Mandatsträger im Bundestag, frei gewählt vom Deutschen Volk. Diese Aufgabe haben wir zu erfüllen. Wir bekommen nicht unsere Diäten, um außerparlamentarische Opposition zu betreiben. Ich selbst finde allerdings, auch die Bundesregierung wäre gut beraten, zu beobachten, was das für eine Bewegung ist, die sich da gerade formiert. Wir müssen die Ängste dieser Menschen ernst nehmen. Das heißt aber nicht, dass wir mit denen auf die Straße gehen müssen. Jeder kämpft an seinem Platz.

Aber zeigt das Verhalten Ihrer Kollegen nicht, dass der Geist des Flügels in der Partei noch ungebrochen ist, auch wenn der Flügel verboten und sein Gründer Andreas Kalbitz aus der AfD ausgeschlossen worden ist?
Herr Kalbitz war keine singuläre Erscheinung. Daneben oder dahinter verbarg sich immer eine Gruppe in der Partei, die mehr für außerparlamentarische Arbeit steht und dafür, etwas laut und „prollig“ zu sein, wie es Jörg Meuthen formuliert hat. Diese Art des Pubertierens müssen wir langsam überwinden, wenn wir als AfD mit einer ernsthaften Politik verbunden werden wollen. 

Aber außer Corona hat die Partei kein starkes Thema, mit dem sie sich profilieren kann. Oder können Sie mir sagen, warum man die AfD wählen sollte? 
Es gibt starke Themen in der Familien-, Innen- oder Bildungspolitik, die genauso virulent sind und bei denen wir mit unserer Programmatik punkten könnten. Im Moment wird es eindeutig durch Corona überlagert. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie halten unser Volk in Atem – im wahrsten Sinne des Wortes. Sie beschränken unseren Aktionsradius. Das wird nicht auf Dauer gehen. Ich weiß nicht, wie lange es die Regierung schafft, sich mit Ausgleichszahlungen über Wasser zu halten. Aber das Thema wird kommen. 

Sie klingen, als könnten Sie es kaum erwarten. 
Alles, was die Menschen einschränkt, kann mich nicht hoffnungsfroh machen. Sie haben mich aber als Parteipolitiker der AfD gefragt.Und da kann ich nur sagen: Wir werden gebraucht werden, wenn es soweit ist.  

Besteht nicht die Gefahr, dass sich die Partei vorher selbst zerlegt
Das übergreifende Ziel ist: Wir werden gebraucht. Von daher wird es nicht zu einer Spaltung kommen. Weil jeder weiß: Wenn es zu einer Spaltung kommen sollte, ist die AfD  wirklich am Ende. Der Markt für zwei rechte Parteien ist in Deutschland nicht vorhanden.  

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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