Co-Vorsitzender tritt aus AfD aus - Für Meuthen war Ottes Kandidatur der K.o.-Schlag

Jörg Meuthen war ein Relikt aus der Anfangszeit der AfD, als sie eine bürgerliche Kraft rechts von der CDU werden wollte. Doch er hat die Radikalisierung der Partei zu lange mitgetragen. Jetzt ist er über seinen eigenen Opportunismus gestolpert.

Jörg Meuthen (links) verlässt die AfD, Tino Chrupalla und Alice Weidel bleiben an deren Spitze / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Als Max Otte, Vorsitzender der rechtslastigen, CDU-nahen Splittergruppe Werteunion, von den AfD zum Kandidaten für die Präsidentenwahl erkoren wurde, war der von seiner eigenen Bedeutung geradezu übermannt. „Die Kandidatur als Bundespräsident angetragen zu bekommen, ist eine der größten Ehren, die einem widerfahren kann“, war der Ökonomieprofessor von sich selbst berauscht.

Ob Otte ahnte, dass ihm diese Kandidatur möglicherweise von der AfD-Spitze nur angetragen wurde, um den Noch-Vorsitzenden Jörg Meuthen zu desavouieren? Meuthen jedenfalls hat das mit Ottes Kandidatur verbundene Signal verstanden. Er hat sein Amt als Co-Vorsitzender niedergelegt und ist aus der Partei ausgetreten. Gegen das CDU-Mitglied Otte wiederum läuft in seiner eigenen Partei ein Ausschlussverfahren.

Max Otte als nützlicher Idiot der Meuthen-Gegner

Otte als nützlicher Idiot der Meuthen-Gegner in der AfD und der von Björn Höcke angeführten Völkischen? Für diese These spricht, wie Götz Kubitschek bereits zwei Tage vor Meuthens Abgang die Otte-Nominierung in seiner Zeitschrift Sezession bewertet hat, nämlich als Coup gegen Meuthen. Denn der hatte im Bundesvorstand gegen die Personalie Otte gestimmt, war aber der Mehrheit um den Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla und die stellvertretende Vorsitzende Alice Weidel unterlegen. 

Kubitschek, der den Rechtsradikalen mit seinem „Institut für Staatspolitik“ den ideologischen Überbau liefert, feierte das schon vor (!) Meuthens Abgang so: „Wenn Chrupalla und Höcke für den CDU-Mann Otte votierten, Meuthen aber dagegen, wurzelt letzterer in der Luft. Er wird untergraben oder überbrückt, jedenfalls umgangen, ist also überflüssig, wenn es darum geht, das Überraschende zu tun und die Kampfzone zu erweitern.“ Zwei Tage später wurde Kubitschek eindrucksvoll bestätigt: Meuthen erkannte seine eigene Überflüssigkeit und warf hin.

Meuthen war der AfD-Mehrheit nicht radikal genug

Meuthen, seit 2017 Mitglied des Europäischen Parlaments, ist seit sechseinhalb Jahren das scheinbar bürgerliche Aushängeschild der AfD. Er wusste schon seit längerem, dass seine Tage in der ersten Reihe der Partei gezählt sind. Überlegungen, 2021 für den Bundestag zu kandidieren, hatte er lange vor der Wahl aufgegeben, weil kein Landesverband bereit war, ihm, dem Bundesvorsitzenden, einen sicheren Listenplatz anzubieten.

Bereits im Oktober vergangenen Jahres verzichtete er zudem auf eine erneute Kandidatur bei der für Dezember 2021 angesetzten, wegen Corona aber verschobenen Neuwahl der Parteispitze. Denn der frühere Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Kehl war der Mehrheit der Rechtsaußenpartei schon lange nicht mehr radikal genug, genauer: zu wenig rechtsradikal und nationalistisch.

Alle Häutungen der Partei mitgemacht

Meuthen ist in ein Relikt aus der Anfangszeit der AfD als wirtschaftsliberaler, konservativer Professorenpartei. Doch hat er alle Häutungen der Partei mitgemacht: aus der rechten Mitte hin an den rechtsradikalen Rand. Beim Sturz des Parteigründers Bernd Lucke verbündete er sich mit Frauke Petry, beim Putsch gegen Petry stand er an der Seite des rechten Flügels. Den inzwischen aufgelösten „Flügel“, einflussreicher Zusammenschluss aller Rechtsextremen mit Höcke als „geistigem Oberhaupt“, bezeichnete er noch vor wenigen Jahren als „integralen Bestandteil“ der Partei.

Erst als der Verfassungsschutz den „Flügel“ und dann die ganze Partei unter die Lupe nahm, dämmerte es Meuthen, in welch gefährlichem Fahrwasser sich die AfD befand. Nicht innere Überzeugung, sondern die Sorge um die mangelnde Anziehungskraft der Partei auf bürgerliche Wähler, bewegten ihn zu einer gewissen Abgrenzung gegenüber den Rechtsextremisten in den eigenen Reihen.

Keine alte CDU, sondern eine neue NPD 

Im Mai 2020 gelang ihm in einem Kraftakt noch der Ausschluss des Flügel-Manns Andreas Kalbitz. Doch konnte Meuthen für diesen Rauswurf nur deshalb eine schmale Mehrheit im tief gespaltenen Bundesvorstand organisieren, weil er sich auf formale Verstöße von Kalbitz beim Eintritt in die AfD stütze. Dieser hatte seine frühere Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Gruppierung verschwiegen. Eine inhaltliche Distanzierung von den politischen Positionen des Höcke-Jüngers Kalbitz riskierte Meuthen nicht.

Meuthen hatte als wirtschaftsliberaler Konservativer einst der CDU nahegestanden, später der FDP. Wahrscheinlich hatte er einmal gehofft, mit der AfD entstehe eine zweite bürgerliche Partei rechts von der CDU, die an den Werten der Union aus der Vor-Merkel-Zeit festhält, also eine außerbayerische CSU. Doch von Anfang an tummelten sich zu viele überzeugte Rechtsradikale und jede Menge brauner Dumpfbacken in den Reihen der neuen Partei. Die wollten keine alte CDU, sondern eine neue NPD.

Gescheitert ist Meuthen wegen seines Opportunismus

Meuthen hat bei diesem Treiben mitgemacht, weil es seiner Karriere förderlich war. Gescheitert ist er also nicht etwa wegen seiner Ideen oder Ideale, sondern wegen seines Opportunismus. Er hat zugelassen, dass Höcke, den man einen Faschisten nennen darf, und seine Flügel-Genossen in der AfD immer mehr Einfluss nehmen konnten.

Im Abgang inszeniert sich Meuthen als lupenreiner Demokrat und geht mit seiner Partei scharf ins Gericht. Teile der Partei stünden „nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, es gebe „ganz klar totalitäre Anklänge.“ Er habe vor den „Gefahren einer Radikalisierung gewarnt“ und für einen „maßvollen Kurs der Partei“ geworben, schrieb Meuthen in einer Mitteilung. Doch nun bestehe für ihn „kein Restzweifel mehr“, dass er damit nicht durchdringen konnte. Große Teile der AfD hätten sich für „einen radikaleren, nicht nur sprachlich enthemmten Kurs“ entschieden.

„Höckerisierung“ der AfD kann ungebremst fortschreiten

Meuthen wollte diesen Kurs, wie er es formuliert, nicht mehr mittragen. Dabei hätte es für ihn auch nicht mehr viel zu tragen gegeben. Nach seinem Ausscheiden als Bundesvorsitzender wäre er für die Europawahl 2024 ohnehin nicht mehr nominiert worden. So hat der viel zu lange viel zu angepasste Meuthen selbst die Konsequenzen daraus gezogen, dass er nicht radikal genug ist für eine weitere Karriere in der AfD.

Und Otte hat als williger, wenn vielleicht auch unwissender Helfer von Chrupalla, Weidel und Höcke zu Meuthens Erkenntnisgewinn beigetragen. Die „Höckerisierung“ der Partei kann nun ungebremst fortschreiten. Auf den Verfassungsschutz wartet viel Arbeit. 

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