Abgeordneter im Interview - „ Ich habe nur eine Plenarsitzung versäumt “

Christian von Stetten (CDU) ist Abgeordneter und Unternehmer. Aus dieser Doppelrolle entstehen Konflikte. Ein Gespräch über Abhängigkeiten in der Politik und fehlende Transparenz.

Christian von Stetten plädiert auch für die Veröffentlichung parlamentarischer Nebeneinkünfte / dpa
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Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Christian von Stetten ist direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Schwäbisch Hall – Hohenlohe. Neben seiner politischen Arbeit ist der 51-Jährige Gesellschafter der Stetten Bau GmbH und Technologie Holding Christian Stetten GmbH sowie Vorstandsvorsitzender der Schloß Stetten Holding AG.

Herr von Stetten, die Große Koalition hat infolge anrüchiger Maskengeschäfte und dubioser Deals mit dem autoritären Regime Aserbaidschans ein neues Transparenzgesetz verabschiedet. Wer als Mitglied des Bundestags weiterhin in der Privatwirtschaft tätig ist, muss dem Bundestagspräsidenten noch genauer als bisher melden, welche Einnahmen er aus diesen Geschäften bezieht. Das ist doch zu begrüßen, finden Sie nicht?

Als Betroffener habe ich mit dem neuen Transparenzgesetz keine Probleme. Ich habe mich mit 24 Jahren selbstständig gemacht, und nach meiner Wahl in den Deutschen Bundestag gab es zwei Möglichkeiten; entweder die Mitarbeiter und deren Familien, welche mir jahrelang vertraut haben, in die Arbeitslosigkeit zu schicken. Oder das Unternehmen weiter arbeiten zu lassen und dafür transparent darzulegen, welche Unternehmensbeteiligungen ich als Abgeordneter besitze. Ich habe mich für die transparente Veröffentlichung und den Erhalt der Arbeitsplätze entschieden. Allerdings bezweifle ich, dass mit dem neuen Gesetz so etwas wie die Maskengeschäfte hätten offengelegt werden können.

Warum nicht?

Na ja, wer kriminelle Energie hat, hält sich nicht an das Veröffentlichungsgesetz.

Das heißt, Sie begrüßen das Transparenzgesetz nicht unbedingt?

Doch, ich begrüße das Gesetz, aber es darf den ehrlichen Bäckermeister oder Unternehmer nicht kriminalisieren. An einigen Stellen geht mir das Gesetz sogar nicht weit genug. Ich hätte gerne auch noch im Gesetzestext gehabt, dass nicht nur Geldströme transparent gemacht werden müssen, die ganz normal aus Unternehmensbeteiligungen kommen, sondern auch die zusätzlichen Geldleistungen, die die Bundesregierung oder die Fraktionen an Abgeordnete zahlen.

Können Sie das konkretisieren?

In Deutschland haben wir eine Gewaltenteilung. Die Bundesregierung kann Gesetzentwürfe verabschieden und bei den Abgeordneten um Zustimmung werben, damit daraus ein Gesetz wird. Die Bewertung der Gesetzesvorschläge sollten die Abgeordneten unvoreingenommen und ohne Abhängigkeiten beurteilen können. Aus diesem Grund sollte auch veröffentlicht werden, wenn Abgeordnete zusätzlich zu ihrer Bundestagsdiät monatliche Extrazahlungen von der Bundesregierung erhalten. Etwa 40 Abgeordnete sind als Minister, Parlamentarische Staatssekretäre oder Regierungsbeauftragte davon betroffen.

Mehr als 80 Abgeordnete haben eine herausgehobene Position in den sechs Bundestagsfraktionen: als Vorsitzende, stellvertretende Vorsitzende, parlamentarische Geschäftsführer, Justitiare oder Arbeitsgruppensprecher. Diese Positionen sind in der Regel ebenfalls mit zusätzlichen Einnahmen verbunden. Aber weder Kabinettsmitglieder noch führende Fraktionsmitglieder müssen diese Gelder nach dem neuen Gesetz veröffentlichen. Ich bin der Meinung, dass, wenn der Bäckermeister Gewinnausschüttungen seines Unternehmens ab 3000 Euro im Jahr veröffentlichen muss, die Transparenzvorschrift auch für die Einnahmen aus diesen Tätigkeiten gelten sollte. Und man sollte sie wie auch die Nebeneinkünfte des Bäckermeisters auf der Homepage des Bundestags veröffentlichen.

Die Gefahr einer Vermengung von Mandat und Beruf in der Privatwirtschaft ist aber deutlich größer als im Falle eines parlamentarischen „Nebenjobs“.

Das sehe ich anders. Was passiert denn, wenn der Bäckermeister im Parlament gegen einen Gesetzentwurf der Bundesregierung stimmt? Nichts! Beim Parlamentarischen Staatssekretär oder Regierungsbeauftragten ist das mit Sicherheit anders. Beim ersten Mal wird es ein unangenehmes Gespräch mit dem Regierungschef geben, und im Wiederholungsfall ist er wohl seinen zusätzlich bezahlten Regierungsjob los. Es gibt also ein Abhängigkeitsverhältnis – was nicht schlimm ist. Aber es ist sinnvoll, dass die Bürger das nachvollziehen können und wissen, dass die Betroffenen mögliche Konsequenzen im Hinterkopf haben.

Haben Sie ein Beispiel?

Wenn ich ehrlich bin, ist mir noch nie ein Parlamentarischer Staatssekretär aufgefallen, der in namentlicher Abstimmung gegen ein Gesetz der Bundesregierung gestimmt hat. Er ist sich eben seiner besonderen Verantwortung als Parlamentarischer Staatssekretär bewusst, obwohl er zusätzlich Bundestagsabgeordneter ist und eigentlich völlig frei entscheiden müsste.

Sollten grundsätzlich alle Funktionszulagen veröffentlicht werden?

Ich wäre dafür.

Dann wäre öffentlich, dass gut ein Drittel aller Abgeordneten von ihrer jeweiligen Fraktionsführung oder der Regierung zusätzliche Einnahmen bekommt. Wie reagieren Ihre Parteikollegen auf Ihren Vorstoß?

Ich habe nicht nachgerechnet, wie viele es sind. Aber an den Zusatzleistungen ist ja auch nichts Verwerfliches. Diese Abgeordneten arbeiten in der Regel auch ein bisschen mehr. Und wenn nichts Verwerfliches dran ist, dann kann man es auch veröffentlichen.

Das sagen Sie. Und wie empfinden andere Abgeordnete Ihren Vorstoß?

Na ja, scheinbar ist die Mehrheit dagegen, sonst wäre mein Vorschlag ja mit ins Gesetz aufgenommen worden. Vor allem aus Reihen der Opposition höre ich immer wieder, dass man die Veröffentlichung von Fraktionszulagen nicht will.

Warum nicht?

Es heißt immer, man wisse ja sowieso, dass ein Parlamentarischer Staatssekretär von der Bundesregierung zusätzlich Geld kriegt, deswegen sei da kein Bedarf, diese Einkünfte zu veröffentlichen.

Der Publizist Hugo Müller-Vogg kritisierte jüngst, dass das neue Transparenzgesetz Berufspolitiker fördere, die von ihrem Posten ökonomisch abhängig sind und keinen Bezug zur Arbeitswelt außerhalb der Politik haben.

Das ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn ausgeschüttete Gewinne eines Bäckereiunternehmens veröffentlicht werden und der betroffene Abgeordnete dadurch in bestimmten Medien skandalisiert wird, hat er dadurch Nachteile. Dabei ist das etwas völlig Normales. Jeder Handwerksmeister oder jeder Landwirt, der sich entscheidet, in die Politik zu gehen, kann doch nicht von heute auf morgen sein Geschäft abmelden und seine Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit schicken. Wenn alle Berufspolitiker, die gleichzeitig noch Parlamentarische Staatssekretäre sind oder Fraktionsspitzenämter bekleiden, mit ihren Zusatzeinkünften nicht auf der Liste auftauchen, dann ist es in der Tat so, dass jedes Jahr, wenn die Zahlen veröffentlicht werden, nur die an den Pranger gestellt werden, die zusätzlich Einnahmen aus ihrer Firma beziehen.

Sind Politiker, die in der Wirtschaft tätig sind, unabhängiger?

Wer als selbstständiger Unternehmer in den Deutschen Bundestag kommt und seine Firma nicht auflöst, hat beim späteren Ausscheiden aus dem Bundestag die Möglichkeit, in der eigenen Firma weiterzuarbeiten. Das heißt, man kann leichter loslassen. Das gibt zumindest mir eine gewisse Unabhängigkeit.

Sollten noch andere Konsequenzen aus den Betrugsfällen der letzten Monate gezogen werden bezüglich der Verquickung von Privatwirtschaft und Mandat?

Entschuldigung, aber zumindest die Maskendeals, die mir bekannt sind, wurden nicht von Handwerksmeistern und auch nicht von Unternehmern mit Mitarbeitern abgeschlossen, sondern von Bundestagsabgeordneten ohne eigenen Unternehmensbetrieb. Das heißt, die Leute, die anständig als Chef eines Unternehmens oder als Gesellschafter tätig sind, haben mit den Maskendeals nichts zu tun.

Wenn Abgeordnete eine GmbH haben, sind das keine privaten Umsätze, sondern die ihrer GmbH. Als Nebeneinkünfte gelten aber eben tatsächliche Einkünfte. Verbleibt das Geld über die Legislaturen in den GmbHs, sind es keine Einkünfte und somit nicht anzeigepflichtig. Auszahlungstag ist dann nach der Legislaturperiode. Laden solche Strukturen nicht zu Grauzonen-Aktivitäten ein?

Bilanzen von Aktiengesellschaften und GmbHs werden jährlich veröffentlicht, dort kann jeder Bürger nachschauen, wie hoch der Unternehmensgewinn des Unternehmers in dem betroffenen Jahr war.

Sie müssen aber nicht offenlegen, mit wem ihre Firmen Geschäfte machen und wie hoch die Einnahmen daraus sind. Können so nicht Nebeneinkünfte, die mit der Politik verquickt sind, einfach der GmbH angerechnet und so an der Transparenzliste vorbeigeschleust werden?

Wenn jemand mit 10 Prozent an einer Lebensmittelkette beteiligt ist, dann können Sie nicht erwarten, dass am Ende des Tages jeder Kunde dieser Lebensmittelkette veröffentlicht wird. Das ist schlichtweg nicht möglich und den Kunden auch gar nicht zu vermitteln. Viel wichtiger ist doch, dass Unternehmen von Parlamentariern keine Geschäfte mit der Bundesregierung oder ihr nachstehenden Organisationen machen dürfen. Hier würde ich eine echte Interessenskollision sehen. Auch halte ich es für ein Unding, wenn Abgeordnete für Reden, die sie bei Banken oder Organisationen halten, zusätzlich bezahlt werden. Damit wir Reden halten, erhalten wir unsere monatliche Bundestagsdiät. Auch Beratungsleistungen für fremde Unternehmen in Zusammenhang mit Regierungsaufträgen darf es nicht geben.

Was kann man dann tun?

Am Ende des Tages müssen auf dem Wahlzettel Unternehmer stehen, die in den Deutschen Bundestag gehen wollen und dabei wissen, dass sie in diesem Bereich keine Geschäfte machen dürfen. Ehrliche Kaufleute, die keine Geschäfte mit dem Staat machen. Wenn das der Fall ist, ist alles in Ordnung. Aber wir brauchen die wirtschaftliche Erfahrung von Unternehmern. Wir können kein Parlament haben, das nur aus Beamten besteht. Das wäre zumindest nicht das Parlament, das ich mir wünsche.

Das Vertrauen der Bevölkerung in diese Ehrlichkeit ist ausbaufähig, weil es immer wieder zu Verquickungen oder zumindest Vorwürfen der Verquickung kommt. Gerade hat die Transparenzorganisation LobbyControl dem CDU-Wirtschaftsrat, in dessen Präsidium Sie Mitglied sind, „eine problematische Nähe“ zwischen Wirtschaft und Partei vorgeworfen.

Ich engagiere mich mit voller Überzeugung ehrenamtlich im Wirtschaftsrat der CDU. Der Wirtschaftsrat setzt sich nicht für die Interessen einzelner Unternehmen ein. Er fordert auch keine Subventionen für bestimmte Wirtschaftsbranchen. Ich engagiere mich dort mit Gleichgesinnten für die soziale Marktwirtschaft von Ludwig Erhard, für niedrige Steuern, gegen Bürokratie und die Allmacht des Staates. Schlimm ist es nur, wenn ein Verband einen Abgeordneten, der bei ihm Mitglied ist, dafür bezahlt, dass er dementsprechend Gesetze macht. Das ist verboten und ich hoffe, das kommt auch nicht vor.

Ist die Kritik von LobbyControl „an der Doppelrolle des Verbands zwischen Lobby- und Parteifunktion“ also aus der Luft gegriffen?

Es ist die Aufgabe von Organisationen wie LobbyControl, diese Frage kritisch zu stellen. Damit habe ich überhaupt kein Problem und bin der Meinung, wir brauchen Nicht-Regierungsorganisationen, die sich mit den Themen beschäftigen. Ich persönlich bin zum Beispiel in keinem gewählten Parteivorstand der CDU. Weder auf Kreis-, Bezirks-, Landes- oder Bundesebene.

Sie sind seit 2002 Mitglied im Bundestag. Seit wann beschäftigt Sie das Thema der fehlenden Transparenz?

Ich bin als selbstständiger Unternehmer in den Deutschen Bundestag gekommen und habe von Anfang an meine Firmentätigkeiten gewissenhaft veröffentlicht. Ich bin mit hundertprozentiger Leidenschaft Bundestagsabgeordneter, aber ich habe auch eine Vergangenheit als selbstständiger Unternehmer – und die habe ich in mein Mandat mitgenommen. Wichtig ist auch, dass ich seit 18 Jahren nur einen einzigen Plenarsitzungstag in Berlin versäumt habe, weil der Raumfahrer Alexander Gerst mich zu seinem Start zur ISS nach Baikonur eingeladen hat.

Die Fragen stellte Ulrich Thiele.

Dieser Text stammt aus dem Sonderheft zur Bundestagswahl des Cicero, das Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

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