Kabinett billigt „Selbstbestimmungsgesetz“ - Durchgesetzt mit Lüge und Erpressung

Der Bundesjustizminister begründet die vermeintliche Notwendigkeit des Selbstbestimmungsgesetzes mit einer glatten Lüge. Und seine Kabinettskollegin Lisa Paus trickste. Solche Methoden passen zu einem irren Gesetz.

Lisa Paus (Grüne), Bundesfamilienministerinund, und Marco Buschmann (FDP), Bundesjustizminister, nach der Sitzung des Bundeskabinett /dpa
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Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Wer heute früh um acht leichtsinnigerweise das ZDF-Morgenmagazin einschaltete, erlebte einen lügenden Bundesminister der Justiz. Gleich in seiner ersten Antwort auf die Frage, warum dieses sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz“ so dringend notwendig sei:

„Stellen Sie sich vor, Sie gehen zum Amt, Sie wollen einfach Ihr Leben leben, Sie wollen niemandem etwas Böses. Und dann werden Sie befragt, was Ihre sexuellen Phantasien sind. Welche Unterwäsche Sie tragen. Und solcherlei Dinge. Und diese Befragungen haben die Betroffenen als sehr entwürdigend empfunden.“

Ein FDP-Minister, zuständig für ein Verfassungsressort, erweckt im Fernsehen ohne mit der Wimper zu zucken beim unbedarften Zuschauer den Eindruck, als müsse sich (mindestens) jede potentielle Trans-Person, ja eigentlich jede und jeder mit einem möglicherweise auffälligen Äußeren im Rathaus oder im Landratsamt auf eine überraschende Ausforschung seines Intimlebens gefasst machen, „Befragungen“ (Plural) unterziehen, obwohl er oder sie nur seinen Führerschein umtauschen wollte, seine Steuererklärung abgeben oder einen Bauantrag einreichen.

Das ist ein Bullshit, der unter normalen Umständen niemals für den Urheber folgenlos bleiben dürfte, zumal in einer Partei, die sich freiheitlich und demokratisch nennt. Aber es ging in diesem Stil heute morgen sogar weiter von und mit Buschmann:

„Die jetzige Rechtslage ist vom Bundesverfassungsgericht kritisiert worden. Das Verfassungsgericht hat auch gesagt: So, wie es der Gesetzgeber in der Vergangenheit gemacht hat, darf man es nicht weitermachen.“

Wieder falsch, wieder bewusst die Unwahrheit. Tatsächlich hat Karlsruhe mehrfach interveniert, aber die im ursprünglichen Transsexuellengesetz von 1980 vorgesehenen Regelungen finden nach wiederholter höchstrichterlicher Beanstandung schon seit vielen Jahren selbstverständlich keine Anwendung mehr.

Die vor einem amtlichen Wechsel des Geschlechts derzeit noch vorgeschriebenen Untersuchungen durch zwei Gutachter, zu denen niemand vom Staat gezwungen wird, sondern die auf einer sorgsam abgewogenen Entscheidung der einzelnen Person beruhten, sich dieser schwierigen, langwierigen, konfliktbehafteten Prozedur einer medizinischen Transition zu unterziehen, wurden von den Verfassungsrichtern bis heute nicht beanstandet. Trotzdem behauptet das die Translobby immer wieder, und Marco Buschmann machte sich dieses Narrativ zu eigen, was er niemals hätte tun dürfen, weil es kontrafaktisch ist. Schade, dass sich keine einzige der 16 Roten Roben in den vergangenen 14 Monaten dazu aufraffen konnte, das klarzustellen.

Trans-Prüfung nie verfassungswidrig

Man hätte diese Begutachtungen jederzeit ohne viel Aufhebens per einfacher Gesetzesnovelle anpassen können, wenn sie denn so unwürdig sind. Nur: In Wirklichkeit sind sie nicht aufdringlicher als jede Prüfung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen zwecks Ermittlung der Pflegestufe. Und eben deshalb wurde dieses Verfahren, das so gut wie immer zugunsten des transsexuellen Antragstellers ausging, eben nicht als grundgesetzwidrig verworfen und ist heute noch geltende Rechtslage.

Unterdessen gibt es für die Einstufung des Pflegegrades durch den Medizinischen Dienst, eine existentielle Frage für viele Menschen, ob alt, krank oder behindert, ähnlich wie für den „Idiotentest“ nach Führerscheinverlust (nur mit umgekehrter Intention) regelrechte Vorbereitungskurse: Bloß keine falschen Reaktionen, falschen Antworten, bloß nicht zu fit wirken. Für das Vorsprechen bei den Gutachtern für Transsexualität sind solche Angebote nicht bekannt. Kein Bedarf, denn sie urteilen regelmäßig wohlwollend, „affirmativ“.   

„Damit sind wir auch weg“

Wir haben auch deshalb im Moment noch eine Rechtslage, der „klassische“ Transsexuelle, wie sie sich selbst bezeichnen, jetzt bereits nachtrauern, denn sie finden in Zukunft schlicht für den Gesetzgeber und damit für die Gesellschaft insgesamt nicht mehr statt. Frank Gommert von der Vereinigung transsexueller Menschen, ursprünglich eine Frau, vor zwei Monaten gegenüber Cicero:

„Wir traditionellen Transsexuellen sind quasi die Ewiggestrigen. Was glauben Sie, wie lange eine geschlechtsangleichende Operation noch von der Krankenkasse übernommen wird, wenn doch jeder eine Frau oder ein Mann sein kann, ohne dass der Körper angepasst wird? Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass unsere Thematik [im neuen Gesetz] gar nicht beachtet wird. Gleichzeitig soll das alte Transsexuellengesetz, das für unsere Thematik geschaffen wurde, weg. Damit sind auch wir weg.“

Damit erledigte sich auch das Hauptargument von Marco Buschmann für sein „Selbstbestimmungsgesetz“, er wolle „jetzt einfach einer kleinen Gruppe, für die das große Bedeutung hat, das Leben etwas leichter machen“. Diese Rechtfertigung ist deshalb in der Translobby so beliebt, weil sie alle Kritiker und vor allem Kritikerinnen unausgesprochen als missgünstig, kleingeistig und menschenfeindlich hinstellt. Nur müssen künftig die Interessen der „klassischen“ Transsexuellen zurückstehen. Ihre Gruppe ist tatsächlich so winzig, dass ihre Meinung in der öffentlichen Debatte nie zur Geltung kam.

Buschmann – ein Skandal im Skandal

Wie groß muss die argumentative Not eines Justizministers sein, wenn er noch am Tag der Beschlussfassung des Bundeskabinetts über diesen Gesetzentwurf
im Fernsehen Zuflucht nimmt zu solchen Sätzen, die jeder, der sich auch nur ein wenig mit der Materie auskennt, noch in der Sekunde ihres Entstehens vor laufender Kamera als grob wahrheitswidrig erkennt? Es ist ein Skandal im Skandal.  

Schließlich ist auch Buschmanns Behauptung falsch, nur eine kleine Gruppe sei vom neuen SBGG betroffen, weshalb schon deshalb jede Aufregung unsinnig und übertrieben sei. Das Gegenteil ist der Fall. Tiefer hat selten ein Gesetz in das Leben der gesamten Bevölkerung eingegriffen, ist es doch zentraler Bestandteil der großen „gesellschaftlichen Transformation“, die durchzusetzen die Grünen in diese Bundesregierung eingetreten sind.  

Den „Verfassungsauftrag“, den der Bundesjustizminister behauptet, gibt es nicht. Dieses Projekt ist ein durch und durch ideologisches, was von den Grünen und der Lobby auch gar nicht bestritten wird.

Wenn sich jeder ohne weiteres als „trans“ bezeichnen kann, ist es niemand mehr. Mehr noch: Wenn sich jeder ohne weiteres als „Frau“ bezeichnen kann, mit juristisch bindender Wirkung, ist es niemand mehr. Lisa Paus trat das Gender Mainstreaming, offizielles Leitbild ihres „Frauenministeriums“, festgeschrieben im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, mit der heutigen Kabinettssitzung höchstpersönlich in die Tonne.

Fatale Folgen der neuen Beliebigkeit

Gender Mainstreaming ist Ausfluss der Erkenntnis, dass es – so ihr eigenes Ministerium – „keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt und Männer und Frauen in sehr unterschiedlicher Weise von politischen und administrativen Entscheidungen betroffen sein können“. Die neue Beliebigkeit ist schon denklogisch unvereinbar mit diesem jahrzehntelang gerade von SPD und Grünen gefeierten Regierungsprinzip. Nur: Dieses „Selbstbestimmungsgesetz“ ist im Kern schlicht irre, und deswegen kann es der Öffentlichkeit auch nur mit Lügen als notwendig, ja als vermeintliche Wohltat verkauft werden.

 

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Hoffnung auf wirksame Opposition im bevorstehenden parlamentarischen Beratungs- und Beschlussverfahren ist nach Lage der Dinge verfehlt. Von der Union war noch nie ein einziger klarer und zugleich in der Partei mehrheitsfähiger Satz der fundamentalen Kritik an diesem Projekt zu vernehmen.

Am Ende, das steht an diesem Tag zu befürchten, wird wiederum allein die AfD mit klarer Ablehnung und einem Versprechen der Revision auftreten, im Bundestag und in den anstehenden Wahlkämpfen, und diese Erkenntnis ist im Hinblick auf die Zukunft unserer Demokratie vielleicht sogar die vollends deprimierende. Sollten in der dritten Lesung einzelne Stimmen aus den Reihen von SPD und FDP fehlen, werden Linke und sich feministisch dünkende Christdemokratinnen, das muss als wahrscheinlich gelten, gerne aushelfen.

Die schmutzigen Tricks von Lisa Paus

Ganz nebenbei bestätigte der Verlauf der vergangenen Tage inklusive des Machtwörtchens des Bundeskanzlers beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung eine gewisse Vermutung: Lisa Paus ging es bei ihrem Zoff mit dem Finanzminister um dessen Wirtschaftsförderung in Wirklichkeit gar nicht um die „Kindergrundsicherung“, jedenfalls nicht im Moment. Vielmehr wollte sie sicherstellen, dass sie ihr „Selbstbestimmungsgesetz“ im vierten Anlauf per Kuhhandel und knallharter Erpressung endlich durchs Kabinett bringt.

Ihre Überlegung: Irgendetwas werden ihr die anderen bieten müssen, insbesondere nun die SPD, wenn schon nicht die geforderten Milliarden für ihren Kindersozialplan. Die FDP war gar nicht mehr das Problem – sie hatte ihren Widerstand gegen das SBGG schon vor Monaten aufgegeben. Also spielte Lisa Paus über Bande: Den Finanzminister blocken, um die Innenministerin zu treffen, die vor der Sommerpause in letzter Minute „Sicherheitsbedenken“ entdeckt hatte. Der Trick funktionierte; der sonntägliche Wink von Olaf Scholz, sich nicht länger querzulegen, ist bei Nancy Faeser angekommen.

Buschmann verbiegt die Wahrheit, bis es quietscht, Paus nutzt Erpressung der FDP als Werkzeug, ihr Gesetz bei der SPD-Kollegin durchzubringen. Und der Bundeskanzler belohnt das alles auch noch. Ein auch nur einigermaßen vernünftiges Gesetz hätte solche Methoden nicht nötig. Eine auch nur einigermaßen vernünftige Regierung wäre auf eine solche „Reform“ gar nicht gekommen.

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