Zehn Jahre AfD - Die Rechtspopulisten zählen zum Erbe Merkels

Als die AfD bereits ihre ersten politischen Erfolge feierte, redeten Unionspolitiker noch davon, dass die Partei bald wieder verschwinden werde. Die CDU-Strategie, die AfD analog zu den Piraten einfach auszusitzen, ist krachend gescheitert.

Im Bundestag liest AfD-Mitgründer Alexander Gauland einen Zeitungsbericht über Angela Merkel / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Anfang September 2014, die „Alternative für Deutschland“ hatte bei der Landtagswahl in Sachsen stolze 9,7 Prozent erzielt, wagte der damalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber eine Prognose zur Zukunft der erst 2013 gegründeten Partei: „Jetzt mag sie vielleicht noch in ein oder zwei Landtage einziehen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie den Weg der Piraten gehen wird.“ 

Die Piraten waren bekanntlich nach einigen Anfangserfolgen schnell wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Nicht so die AfD. Die erreichte kurz nach Taubers Untergangsprognose in Brandenburg 12,2 Prozent. Bald darauf überwanden die Rechtspopulisten selbst in den tendenziell linken Stadtstaaten Hamburg und Bremen glatt die Fünf-Prozent-Hürde. Was aber den CDU-Generalsekretär, der seine Partei „jünger, weiblicher und bunter“ zu machen versuchte, nicht im Geringsten beeindruckte. 

Ein Schicksal wie das der Piraten?

Im Mai 2015 gab er der Huffington Post ein Interview. Hier ein Auszug:

HuffPo: Bei Landtagswahlen hat die AfD vergleichsweise gut abgeschnitten.

Tauber: Aber das war doch bei den Piraten zunächst auch so.

Ist die AfD denn jetzt die neue Piratenpartei, was den Weg des politischen Niedergangs angeht?

Tauber: Sie sehen ein wenig verkniffener aus und sind stellenweise braun lackiert, aber ansonsten: ja.

Nun ja, Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Und damals rächte sich schnell, dass die CDU das Aufkommen der neuen Kraft am rechten Rand sträflich unterschätzt hatte. Das war schon deshalb bemerkenswert, weil die CDU viele Mitglieder und Funktionäre an die neue Konkurrenz verlor – und Wähler obendrein.

Parteigründer Bernd Lucke war einst CDU-Mitglied gewesen. Alexander Gauland wiederum, der ehemalige Chef der hessischen Staatskanzlei unter Ministerpräsident Walter Wallmann (CDU), hatte bis 2012 versucht, innerhalb der Partei das konservative Element zu stärken. Bis er frustriert die AfD mitbegründete. Dennoch lautete die Parole im Konrad-Adenauer-Haus: „nicht einmal negieren“. War es Naivität oder Überheblichkeit, was die CDU zu dieser Strategie verleitete?

Kauder wollte AfD nicht interessant machen

Volker Kauder, der damals mächtige Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, begründete diese Strategie mit seinen Erfahrungen als Generalsekretär der CDU Baden-Württemberg Anfang der 1990-er Jahre. 1992 nutzten die rechtsradikalen „Republikaner“ den großen Zustrom von Balkan-Flüchtlingen für ihre Agitation. Die CDU habe sich damals auf eine Auseinandersetzung eingelassen, so Kauder im Rückblick, und damit den „Republikanern“ indirekt geholfen. Sie kamen auf 10,9 Prozent.  

Mehr als ein Jahrzehnt später wollte Kauder diesen Fehler nicht wiederholen. Im Dezember 2015 sagte er mit Blick auf die Landtagswahlen 2016 und die AfD: „Aus Erfahrung weiß ich, je mehr wir über NPD, Republikaner, AfD sprechen, umso interessanter machen wir diese. Deswegen möchte ich nicht darüber reden. Es wäre kontraproduktiv.“ Diese Strategie des „Nicht-interessanter-Machens“ hat der AfD nicht geschadet. Im Gegenteil: Für die AfD wurde jede Landtagswahl zu einem Erfolg. 

Fatale Fehleinschätzung: „AfD als Chance für die Union“

Diese Selbsttäuschung der CDU im Umgang mit der AfD basierte nicht nur auf den Erfahrungen eines Volker Kauder oder den „Befehlen“, die Peter Tauber, der Sekretär der Generalin Angela Merkel, ausführte. Dies alles fußte auch auf den Einschätzungen von Matthias Jung, dem Chef der Forschungsgruppe Wahlen und Hausdemoskopen Merkels. Jung hatte schon vor der Gründung der AfD stets die These vertreten, die konservativen Wähler würden mehr oder wenig „automatisch“ CDU wählen, allem Grummeln über die „Sozialdemokratisierung“ ihrer Partei zum Trotz. 
 

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Im Oktober 2014 stellte Jung in einem Vortrag bei der Konrad-Adenauer-Stiftung sogar die gewagte These auf, durch das Auftreten der AfD entstünden „Chancen für die Union“. Der Wahlforscher begründete das mit zwei Argumenten. Erstens: Durch die Existenz der AfD gewönnen der „Modernisierungsprozess“ der CDU und ihr „Kurs der Mitte“ eine „größere Glaubwürdigkeit“. Zweitens würden Mehrheiten ohne die Union schwieriger werden. In der Tat hatte die CDU darauf spekuliert, „dank“ der AfD könnten SPD und Grüne kaum noch Mehrheiten gegen die CDU zustande bringen. Auch das erwies sich als Trugschluss.

AfD nützt indirekt den Grünen und der SPD 

Natürlich ist es für eine Partei und ihren Generalsekretär einfacher und bequemer, auf ein „automatisches“ Verschwinden eines ungeliebten Konkurrenten zu setzen. Doch diese Hoffnung trog. Da SPD und Grüne die Linkspartei längst als lupenreine Demokraten einstufen und deren DDR-Nostalgie geflissentlich übersehen, steht die CDU deutlich schwächer da als „vor der AfD“. Wenn SPD und Grüne bei der Suche nach einer Mehrheit die Wahl zwischen der CDU und der Linken haben, ziehen sie fast immer die umbenannte SED vor. Da findet sich zusammen, was in gewisser Weise zusammengehört.

Unabhängig vom Versagen der CDU haben viele Faktoren die Gründung der AfD und ihre Etablierung im Parteiensystem befördert: die Eurokrise, die Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel, die inhaltliche Entkernung der CDU, von mit SPD und Grünen sympathisierenden Medien gerne als Modernisierung gelobt. Vor allem aber hat die CDU in der Ära-Merkel ihre Fähigkeit aus den Zeiten als große Volkspartei weitgehend eingebüßt, auch national-konservative Wähler einzubinden. So konnte die AfD entstehen und die politischen Koordinaten zu Lasten der CDU verschieben.  

Unter Angela Merkel ist passiert, wovor Strauß und Kohl immer gewarnt haben: die Etablierung einer Kraft rechts von der Union. Die „Wirklichkeit ist real“, beliebte Merkel gerne im DDR-Duktus zu spotten. Sehr real ist in diesem Fall eines: Die CDU-Strategie, die AfD analog zu den Piraten einfach auszusitzen, ist krachend gescheitert. Die AfD als Chance für die Union zu verstehen, war das richtige Rezept – für die AfD. 

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