Bundespräsidentenwahl - Das überflüssige Staatsoberhaupt

Die meisten der dem Bundespräsidenten obliegenden Aufgaben könnten Bundesregierung und Bundestag mindestens genauso gut erledigen. Braucht eine demokratische Gesellschaft einen Bundespräsidenten? Oder ist er nur eine Art bedeutungsloser Monarch, der den Steuerzahler zudem rund 45 Millionen Euro im Jahr kostet?

Flaggenmast auf Schloss Bellevue in Berlin, dem Dienstsitz des Bundespräsidenten / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Ich muss Sie vorsorglich mit einer Triggerwarnung konfrontieren: Nach der Wahl des Bundespräsidenten werden die Medien wieder vor huldigenden Ergebenheitsadressen überquellen. Von einem hohen „Fest der Demokratie“ wird angesichts der Wahl von Deutschlands angeblichem „Staatsoberhaupt“ die Rede sein. Ein Hauch von säkularisierter Monarchie wird in der Luft liegen.

Ich hingegen stelle mir die Frage, und das könnte Sie verstören, ob wir als demokratische Gesellschaft überhaupt so etwas wie einen Bundespräsidenten brauchen oder ob er nicht einfach unsere sehr teure, politisch letztlich bedeutungslose Queen ist.

Ich bedauere: Mit dem ganzen post-monarchischen Gedusel rund um das Präsidentenamt kann ich nicht allzu viel anfangen. In Sachen Demokratie halte ich es mit dem guten alten Popper, nicht mit dem noch älteren Rousseau: Für mich ist sie eine ziemlich rationale und keine romantische Angelegenheit. Es kommt mir darauf an, was hinten rauskommt, und nicht darauf, wie es sich dabei anfühlt.

Der machtlose Präsident

Schauen wir uns ganz nüchtern an, was der Bundespräsident politisch zu entscheiden hat: im Grunde nichts. Er ernennt Bundesbeamte und Bundesrichter - das könnte auch die Bundesregierung. Er fertigt die Gesetze aus - das könnten Bundesregierung oder Bundestag auch selbst erledigen, was übrigens sogar noch passender wäre. Er schließt Verträge mit ausländischen Staaten ab, allerdings im Namen der Bundesregierung. Er ist in diesem Falle bloß der Dienstbote, zu sagen hat er nichts. In den meisten Fällen delegiert er wohl auch deshalb die Aufgabe ohnehin an die Bundesregierung zurück. Das ist übrigens auch bei der Ernennung von Bundesbeamten so.

Schließlich schlägt er dem Bundestag den Kanzlerkandidaten vor - das könnte der Bundestag allerdings auch ganz allein, denn schließlich muss er ihn am Ende wählen. Und er ernennt auf Vorschlag des Kanzlers die Bundesminister - das wiederum könnte der Bundeskanzler auch ganz problemlos im Rahmen seiner Richtlinienkompetenz allein besorgen. Die Ernennung des Bundeskanzlers durch den Bundespräsidenten wird mit dessen Wahl durch den Bundestag ohnehin zu einem rein symbolischen Akt.

Bleibt nur noch die Kompetenz des Bundespräsidenten, im Krisenfall das Parlament aufzulösen. Das allerdings ließe sich vielleicht, es kommt ja selten genug vor, nebenbei noch durch das Bundesverfassungsgericht erledigen und läge dadurch wohl auch in fachlich besseren oder zumindest unabhängigeren Händen. Mit anderen Worten: Die meisten der dem Bundespräsidenten obliegenden Aufgaben könnten andere viel besser erledigen - und tun es de facto heute schon.

45 Millionen Euro pro Jahr

Damit Sie nicht denken, dass ich respektlos wäre: All’ das, was im Bund der Bundespräsident zu tun hat, wird in den Ländern funktional einfach zwischen Regierung und Parlament aufgeteilt. Für lau! Oder haben Sie schon einmal von einem „Landespräsidenten“ gehört? Dass man den Bundespräsidenten nicht unbedingt benötigt, zeigt auch das Grundgesetz. Artikel 57 bestimmt: Wenn der Bundespräsident verhindert ist, werden dessen Amtsgeschäfte einfach vom Präsidenten des Bundesrates wahrgenommen.

Für lau gibt es den Bundespräsidenten als Institution indes nicht. Rund 45 Millionen Euro muss der deutsche Steuerzahler jährlich für ein Amt berappen, dass man - ganz nüchtern und funktionell betrachtet - gar nicht bräuchte. Zum Vergleich: Das Britische Königshaus hat politisch auch nichts zu sagen und kostet den dortigen Steuerzahler im Jahr rund doppelt so viel wie der Deutsche Bundespräsident. Nur sollte man auch bedenken, dass die Queen dafür immerhin den Buckingham Palace sowie zahlreiche weitere Schlösser und Anwesen an der kulturhistorischen Backe hat. Und was ist im Vergleich dazu schon das Schloss Bellevue?

„Moralischer Repräsentant der Volkseinheit“

Es sind dabei auch gar nicht die soeben genannten Aufgaben, die den Bundespräsidenten als Institution rechtfertigen. So vermessen, das zu behaupten, ist nicht einmal das Bundespräsidialamt selbst. Auch wenn davon im Grundgesetz rein gar nichts steht, sieht es dessen Kernaufgabe ganz woanders, nämlich in der Vertretung der BRD in der Welt und als „moralischer Repräsentant der Volkseinheit“. Womit wir wieder bei Rousseau und der demokratischen Romantik wären, beim Gefühl und nicht der nüchtern zu erledigenden Aufgabe.

Das Zitat stammt dabei gar nicht vom Bundespräsidialamt, sondern direkt aus den Akten des „Parlamentarischen Rates“, also den Müttern und Vätern des Grundgesetzes. Genauer von Adolf Süsterhenn, dem ehemaligen Vorsitzenden eines Verfassungsgerichtshofes und Mitglied des Deutschen Bundestages für die CDU.

Bereits Süsterhenn erörterte am 8. September 1948 in der zweiten Sitzung des Rates die Frage, ob der Bundespräsident nicht vielleicht bloß „eine rein dekorative und deshalb im Grunde überflüssige und unter dem Gesichtspunkt der Kosten vielleicht sogar unerwünschte Figur“ sei. Er kam aber nicht nur zu dem Ergebnis, dass selbst der demokratische Rechtsstaat ein wenig Dekoration nötig, sondern der Bundespräsident vor allem eine „wichtige volkspsychologische Bedeutung“ habe.

Theoretisch waren die Präsidenten in modernen Gesellschaften ohnehin schon immer so etwas wie demokratisch legitimierte Ersatz-Monarchen. Es ging darum, trotz aller Rationalisierung des Politischen in der Moderne die „Autorität und Würde“ des Staates zu wahren, so formulierte es selbst im Jahre 2014 noch das Bundesverfassungsgericht und bestätigte dem Bundespräsidenten damit eine Aufgabe, die laut Verfassung gar nicht besteht.

Ohne Direktwahl kein moralisches Gewicht

Aber nicht nur um „Autorität und Würde“ und damit den Glanz des Staates geht es, sondern um die „Volkseinheit“, wie Süsterhenn sich ausdrückte. Der Präsident soll, über den Dingen und den Einzelinteressen schwebend, parteipolitisch neutral nicht nur Teile, sondern das Ganze verkörpern - und die Parteien im Bedarfsfall zur Ordnung rufen. Folgerichtig wurde in der Weimarer Republik der Präsident vom Volke gewählt.

Der deutsche Reichspräsident Hindenburg allerdings hatte eine unrühmliche Rolle bei der Machtergreifung Hitlers gespielt, und dem „Parlamentarischen Rat“ war dies Grund genug, nicht nur die politische Macht des Präsidenten empfindlich zu beschneiden, sondern ihn auch nicht mehr durch das Volk wählen zu lassen, sondern durch die Bundesversammlung. Das wäre allerdings so, als ob man die Produktion von Hämmern verbieten würde, falls irgendein Idiot dieses nützliche Instrument gebrauchte, um damit jemanden zu erschlagen.

Die Bundesversammlung besteht zur einen Hälfte aus den Abgeordneten des Bundestages und zur anderen aus von den Landesparlamenten gewählten Vertretern, diesmal also aus 1.472 Personen. Am Ende entscheiden damit die Parteien und nicht das Volk, wer Bundespräsident wird.

Selbst wenn man unbedingt ein Demokratieromantiker sein wollte, ist es genau durch diese Regelung mit aller „Würde“ und Wahrung der „Volkseinheit“ dahin. Die Parteien tragen ihren Namen nicht umsonst. Ein Präsident, der nicht vom ganzen Volk gewählt wird, kann es auch nicht glaubwürdig repräsentieren. Gewiss, man kann sich das Gegenteil einreden, aber dadurch wird es nicht besser. Das Feuer der Fackel der Legitimation muss der Souverän schon selber weitergeben. Ansonsten ist alle demokratische Romantik perdu.

Wenn der neue und alte Bundespräsident, und ich wünsche ihm wirklich von Herzen alles Gute, denn tatsächlich die moralische „Volkseinheit“ repräsentieren soll, müsste er künftig auch wieder direkt vom Volk gewählt werden. So ist es in Österreich und anderswo noch heute.

Demokratie predigen, Aristokratie praktizieren

Gewiss, ich höre sie sofort, die Bedenkenträger, die zwar öffentlich der Demokratie huldigen, aber beständig vor dem Volke warnen, was freilich darauf hinausläuft, in Wahrheit für eine Aristokratie einzutreten. Schon Süsterhenn fürchtete im Zusammenhang mit einer Direktwahl des Bundespräsidenten die „emotionalen Kräfte des Volkes“, hatte aber offenbar keine Probleme damit, wenn exakt dieselben Kräfte zur Wahl seiner eigenen Person als Abgeordneter führten.

Demokratie zu predigen und Aristokratie zu praktizieren ist dabei ungefähr ebenso glaubwürdig, wie den Diebstahl abzulehnen und bei schummerigem Lichte dennoch alte Damen zu beklauen. Erst ein direktes Volksmandat würde dem Bundespräsidenten das Gewicht und die Unabhängigkeit gegenüber den Parteien gewährleisten, um moralisch die „Volkseinheit“ überhaupt glaubwürdig sichern zu können. Das sehen in Umfragen regelmäßig auch fast drei Viertel der Bevölkerung so. Aber was weiß denn schon der Souverän von seiner Demokratie!

Die Macht des öffentlichen Wortes

Nicht nur diese Legitimation durch Verfahren wäre erforderlich, sondern auch die Begabung zum moralisch relevanten Sprechen. Anders ist die „volkspsychologische Bedeutung“ des Bundespräsidenten nicht zu haben. Auf einer Meta-Ebene, also oberhalb der Interessen der Parteien über die Substanz der Demokratie zu sprechen, ist dabei etwas ganz anderes, als mit vielen Worten in Wahrheit gar nichts zu sagen. Das schärfste Instrument des Bundespräsidenten ist das öffentliche Wort, man muss es allerdings auch gebrauchen.

Joachim Gauck hatte häufig Substanzielles zu sagen. In fast jeder Rede war fast jeder seiner Sätze ein intellektueller Pfeil. Das lag wohl auch daran, dass er den politischen Parteien im Grunde nichts verdankte und daher aussprechen konnte, was er für richtig hielt. Aber es lag nicht nur daran, sondern wohl auch an ihm selbst.

Immer wieder mutete er als tatsächliches moralisches Staatsoberhaupt der „Volkseinheit“ zum Beispiel die Einsicht zu, dass die wahre Freiheit des erwachsenen Menschen in seiner Verantwortung gegenüber dem Gemeinwesen bestehe - und nicht in seiner kindischen Anspruchshaltung gegenüber dem Ganzen.

Mehr als nur die Queen

Vielleicht gelingt es Frank-Walter Steinmeier in seiner zweiten Amtszeit, diesbezüglich zu seinem Amtsvorgänger aufzuschließen. Dazu bräuchte es freilich nicht nur die Begabung, sondern auch die Bereitschaft, unangenehme Wahrheiten auszusprechen und so als moralisches, überparteiliches Gewissen der Nation in Erscheinung zu treten. Ohne ein Mindestmaß an post-monarchischem Gedusel kommt am Ende nämlich auch der demokratische Rechtsstaat nicht aus.

Das würde nicht nur einen wesentlichen Unterschied zur Queen markieren, sondern könnte tatsächlich 45 Mio. Euro im Jahre wert sein - obwohl die Verfassung das alles so gar nicht vorsieht. Aber entscheidend ist in der Politik ja ohnehin, was am Ende rauskommt.

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