Debatte um Autobiografie - Die wahren Mängel in Baerbocks Buch

Wieder einmal ist Annalena Baerbock Gesprächsthema. Es geht um ihr Buch „Jetzt – Wie wir unser Land erneuern“. Doch anstatt darüber zu diskutieren, ob sie plagiiert hat – so der Vorwurf, sollten wir darüber sprechen, wie schlampig die Kanzlerkandidatin beim Verfassen der 240 Seiten gearbeitet hat.

Annalena Baerbock im Deutschen Bundestag / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Von Jochen Zenthöfer erscheint in diesen Tagen das Buch Plagiate in der Wissenschaft - Wie „VroniPlag Wiki“ Betrug in Doktorarbeiten aufdeckt, transcript Verlag, Bielefeld, 188 Seiten, ISBN: 978-3-8376-6258-0, 19.50 Euro. Zenthöfer berichtet seit acht Jahren als Sachbuchrezensent in der FAZ. über Plagiate in Doktorarbeiten – nicht nur bei Politikern.

So erreichen Sie Jochen Zenthöfer:

Anzeige

Gerade einmal 240 Seiten sind die Druckfahnen lang, die der Ullstein-Verlag zum Buch „Jetzt“ von Annalena Baerbock verschickt hat. Im Werbetext heißt es, dass die Kanzlerkandidatin von den Grünen für „Veränderungen mit Leidenschaft und Sachverstand“ kämpft. Zur aktuellen Plagiatsdebatte erklärte Ullstein, dass das Manuskript sorgfältig lektoriert worden sei. Daran aber bestehen Zweifel, wie mehrere Textpassagen nahelegen.

So beschreibt Baerbock auf Seite 18 die kyrillischen Inschriften, die Soldaten der Roten Armee im Jahre 1945 im Reichstagsgebäude hinterlassen haben. Ihr Blick fällt sodann auf den großen Schriftzug „Der Bevölkerung“, „der von Sträuchern und Gräsern überwachsen ist, weil jede*r neue Abgeordnete eine Handvoll Erde aus seinem/ihrem Wahlkreis mitbringt und die Pflanzen, die da wachsen, mittlerweile so bunt sind wie dieses Land selbst“. Kurz darauf heißt es: „Der Reichstag erinnert auch an die schlimmste Zeit der deutschen Geschichte. Hier wurde das Ermächtigungsgesetz beschlossen, mit dem die Demokratie sich selbst abschaffte und eine Diktatur begründete.“ Allerdings wurde das Ermächtigungsgesetz im März 1933 in der Krolloper beschlossen, da das Reichstagsgebäude nach dem Reichstagsbrand nicht benutzt werden konnte. Zwar könnte Baerbock die Institution „Reichstag“ als Vorläufer des Bundestages meinen, allerdings lassen die Gebäudebeschreibungen eher den Schluss zu, dass sie den Ort „Reichstag“ mit einem Ereignis assoziiert, das hier nicht stattgefunden hat.

Wikipedia als Quelle

An anderer Stelle beschäftigt sich Baerbock mit den Schengener Abkommen. Die ersten Abkommen wurden 1985 an Bord des luxemburgischen Schiffs Princesse Marie-Astrid beschlossen. Baerbock meint fälschlicherweise, dass Spanien und Portugal bei den ersten Ländern dabei gewesen sind und verlegt das historische Treffen zugleich eine Dekade nach hinten auf das Jahr 1995. Wie kann man einen solchen Fehler machen? Grund könnte ein missverständlicher Eintrag bei Wikipedia sein. Dort heißt es unter dem Stichwort „Schengen-Raum“: „Orientiert am Merkmal des Wegfalls der Personenkontrollen an den Binnengrenzen in Anwendung des Schengen-Besitzstands gehören folgende Länder und Gebiete zum Schengen-Raum: Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Spanien (seit 26. März 1995).“ Dabei bezieht sich die Angabe der Jahreszahl nur auf die beiden letztgenannten Länder. Weil sich Baerbock im falschen Jahrzehnt befindet, schreibt sie auch, dass die Grenzkontrollen in der „EU“ wegfielen. Im Jahr 1985 war von der EU aber noch nicht die Rede. Deren „drei Säulen“ wurden erst im Vertrag von Maastricht definiert; vor 1992 sprach man von den „Europäischen Gemeinschaften“. 

Auch bei einer außenpolitischen Frage ist Baerbock nicht trittsicher. Sie schreibt auf Seite 203: „George Bush senior hat Deutschland schon 1991 ein solches ,Partners in Leadership' angeboten. Für die frisch wiedervereinigte Bundesrepublik war das damals allerdings zu Recht nicht denkbar.“ Bis heute zugängliche Berichte zeigen aber, dass Bush dieses Angebot schon 1989, vor dem Mauerfall, machte und 1990 wiederholte – dies zeigt eine Rede, deren Manuskript auf der Webseite der US-Botschaft in Deutschland auffindbar ist.

Baerbock verlegt zudem das im Juni 2018 zwischen Griechenland und Nordmazedonien abgeschlossene Prespa-Abkommen auf den „Herbst 2018“. Die Parlamentsbeschlüsse dazu ergingen in beiden Ländern erst 2019. Das Lektorat des Verlages fehlte auch, wenn Baerbock etwas „subsummiert“ (richtig, wie jeder Jurist weiß: subsumiert) oder über den „bayrischen Ministerpräsidenten“ schreibt (richtig: bayerisch). Baerbock erwähnt auf Seite 166 den Mord an „Walter Lübke“, kann sich aber nicht der Schreibweise seines Namens erinnern (Lübcke). Auf Seite 175 spricht sie von einem Buch ihres Großvaters. Es ist unklar, welches Buch sie meint, sie geht auch nicht weiter darauf ein. Von Waldemar Baerbock ist bei der Deutschen Nationalbibliothek kein Buch zu finden. Alles in allem bleibt der Eindruck, dass das kurze Buch mit einer gewissen Schlampigkeit entstanden ist.  
 

Anzeige