Wiederaufbau - Ukraine will Wirtschaftswunder mit russischem Geld

Die Ukraine braucht hunderte Milliarden und hat jetzt erste konkrete Pläne für den Wiederaufbau vorgelegt. Sie setzt auf Expertise von Partnerländern. Und sie will Russland zur Kasse bitten. Doch letzteres dürfte juristisch schwierig werden. Auf die europäischen Steuerzahler kommen jedenfalls hohe Kosten zu.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hält per Video eine Rede auf der Ukraine Recovery Conference (URC) in Lugano / dpa
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Die ukrainische Regierung will den Wiederaufbau ihres kriegszerstörten Landes zu einem großen Teil mit russischem Geld finanzieren. Nötig seien nach Schätzungen mindestens 750 Milliarden Dollar (knapp 720 Milliarden Euro), sagte Regierungschef Denys Schmyhal am Montag bei der ersten großen Wiederaufbau-Konferenz in Lugano in der Schweiz. Der Wiederaufbau sei eine „gemeinsame Aufgabe der zivilisierten Welt“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj per Videoschaltung. „Diese Konferenz kann zum ersten großen Schritt für den historischen Sieg der demokratischen Welt werden“, meinte er.

Herangezogen werden sollten die rund 300 bis 500 Milliarden Dollar Vermögenswerte des russischen Staates und von Oligarchen, die weltweit eingefroren seien, sagte Schmyhal. Sein Land habe schon Infrastruktur im Wert von 100 Milliarden Dollar verloren. Juristen betonen dagegen, wie schwierig es ist, eingefrorene Vermögenswerte zu konfiszieren und auszugeben. Nötig wären unter Umständen Urteile vor internationalen Gerichten. Oligarchen müsste eine direkte Verantwortung für Beiträge zum Kriegsgeschehen nachgewiesen werden.

Schmyhal präsentierte rund 1000 Vertretern von Geberländern sowie internationalen Organisation und Finanzinstitutionen einen hunderte Seiten dicken Wiederaufplan. Die Ukraine strebe ein Wirtschaftswunder an, sagte er, und zähle auf Partner, die nicht nur Geld, sondern vor allem Expertise für „smarte Städte“ beisteuern können. Einzelne Länder sollten sich in einzelnen Regionen engagieren und dort den Wiederaufbau nach modernsten Standards voranbringen.

Die Menschen brauchen eine Rückkehrperspektive

Er appellierte an Partnerländer, die dringendsten Reparaturen trotz Kämpfen sofort in Angriff zu nehmen, etwa Wasserversorgung und Brücken. Selenskyj sagte nach Angaben des Übersetzers: „Solange es Ruinen gibt, geht der Krieg weiter. Solange der Aggressor glaubt, er könne die Grundlagen des Lebens zerstören, gibt es keinen Frieden.“

„Wir brauchen Investitionen, sonst bricht die Wirtschaft komplett zusammen, und dann würden wir die wichtigste Säule für den Wiederaufbau verlieren“, sagte Markus Berndt, bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) geschäftsführender Direktor der Abteilung EIB Global, der Deutschen Presse-Agentur. Die Grundversorgung mit Wasser, Energie und digitaler Vernetzung müsse umgehend wiederhergestellt werden, auch auf die Gefahr hin, dass etwa eine Wasserleitung erneut zerstört werden könnte.

„Wenn wir nicht dafür sorgen, dass die Städte wieder funktionieren und die Menschen dort leben können, sind die Kosten langfristig deutlich höher, als wenn wir eine Wasserversorgung zweimal finanzieren“, sagte Berndt. Die Menschen brauchten auch eine Rückkehrperspektive. Von den einst 44 Millionen Einwohnern sind mehr als 5,5 Millionen ins Ausland geflohen und mehr als 6,2 Millionen innerhalb des Landes vertrieben.

Ursula von der Leyen verspricht noch mehr Geld

Die Europäische Union werde die Ukraine unterstützen, bekräftigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Europa hat eine besondere Verantwortung und ein strategisches Interesse daran, die Ukraine auf diesem Weg zu begleiten“, sagte sie. „Seit dem Beginn des Krieges hat die EU 6,2 Milliarden Euro finanzielle Unterstützung mobilisiert. Und Sie wissen: es kommt noch mehr.“

Geber müssten sich gut absprechen, sagte Berndt. „Die Ukrainer werden jeden um alles bitten. Wenn man nicht gut koordiniert, fördern alle dieselbe Brücke, und niemand baut das Krankenhaus wieder auf, das womöglich dringender benötigt wird“, sagte Berndt. Mit Soforthilfe müssten schon Grundlagen für einen nachhaltigen Wiederaufbau gelegt werden, sagte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD). Ziele seien eine moderne Verwaltung, effektive Korruptionsbekämpfung, nachhaltige Infrastruktur und Energiesicherheit.

Der Chef des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, Achim Steiner, appellierte an die Solidarität der Steuerzahler, die den Wiederaufbau mitfinanzieren. Auch Deutschland habe in seiner Geschichte schon Solidarität erlebt. Die Hilfe werde die westlichen Volkswirtschaften nicht über Gebühr belasten. „Und es wird gleichzeitig auch im Eigeninteresse Europas dazu beitragen, dass wir nicht in eine noch katastrophalere Situation kommen“, sagte Steiner. dpa

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