Volksmudschahedin - Wie eine exiliranische Politgruppe die Berliner CDU unterwandert

Die stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus und ein CDU-Bezirksstadtrat suchen die Nähe zu iranischen Volksmudschahedin. In der Partei sorgt das für Unmut. 

Maryam Rajavi, Präsidentin des Nationalen Widerstandsrats, bei einer Veranstaltung in Paris / dpa
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Nathan Giwerzew ist Journalist in Berlin.

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An diesem Samstag hat CDU-Bezirksstadtrat Detlef Wagner gute Laune: Im Tagungshotel Estrel an der Sonnenallee ist CDU-Landesparteitag. Wagner, ein stämmiger Mann im grauen Anzug, stimmt im spärlich ausgeleuchteten Konferenzsaal ab, klatscht, schüttelt Hände und macht Selfies. Vor knapp zwei Monaten wählten Delegierte den 55-Jährigen zum Kreisvorsitzenden der CDU Charlottenburg-Wilmersdorf. Das ist die wichtigste Position, die Wagner in der Berliner CDU bislang bekleidet hat. 

Für den Kommunalpolitiker läuft es gut – doch jetzt belasten ihn schwere Vorwürfe. Wagners CDU-Ortsverband Kurfürstendamm City sei durch exiliranische Volksmudschahedin unterwandert, ist in einem Textentwurf zu lesen, der derzeit unter Berliner Christdemokraten kursiert. 

Volksmudschahedin: Eine iranische Politgruppe mit bewegter Geschichte 

Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich eine iranische Politgruppe, die jahrelang auf diversen Terrorlisten stand. Ihre Ideologie: eine krude Mischung aus Marxismus und schiitischem Fundamentalismus. Ihr Ziel: die Errichtung eines islamisch-sozialistischen Systems im Iran. Ihre Kader: straff geführt. Das amerikanische Forschungsinstitut RAND nennt die Arbeitsweise der Gruppe „sektenhaft“

Schon in den 70er Jahren schweißte das die „Volksmudschahedin“ zu einer schlagkräftigen Kampfgruppe zusammen. Damals kämpften die Volksmudschahedin noch gemeinsam mit den konservativen Mullahs für den Sturz des Schahs. Doch als dieser gestürzt war, kam es zum Bruch – und die Terroranschläge der Volksmudschahedin richteten sich nunmehr gegen die Mullahs. Spätestens ab 1985 unterstützten sie Saddam Husseins Angriffskrieg gegen den Iran mit eigenen Soldaten. 

Achtzehn Jahre später besetzten die USA den Irak, die Volksmudschahedin wurden weitgehend entwaffnet. Dadurch büßten sie zwar den größten Teil ihrer militärischen Kampfkraft ein. Doch dann änderten sie ihre Taktik: Ohne auf Gewaltanwendung als Handlungsoption ausdrücklich verzichtet zu haben, begannen sie nun, einen großen Teil ihrer Kräfte für Lobbyarbeit in Europa und den USA zu verwenden. 

Wagner sitzt im erweiterten Vorstand des „Nationalen Widerstandsrats“ 

Sollten die Vorwürfe zutreffen, die CDU-Mitglieder in dem anonymen Schreiben erheben, dann wäre die aktive Einbindung des Bezirksstadtrats und stellvertretenden Bezirksbürgermeisters Detlef Wagner ein mögliches Beispiel für die erfolgreiche Lobbyarbeit der Volksmudschahedin. So heißt es in dem Schreiben, Wagner sei für die Volksmudschahedin-Organisation „Nationaler Widerstandsrat des Iran“ (NWRI) zum „Dreh- und Angelpunkt in Berlin“ geworden – und er habe mehrere NWRI-Aktivisten in den Vorstand seiner Ortsgruppe geholt. Im Gegenzug verschaffe ihm eine „gut organisierte Gruppe“ iranischstämmiger CDU-Mitglieder regelmäßig Mehrheiten auf Wahlversammlungen. 

Deren Anteil belaufe sich in Wagners Ortsverband zwar nur auf etwas „mehr als zehn Prozent“ – doch angesichts dessen, dass an den Wahlversammlungen der CDU meist nur rund 15 Prozent der Mitglieder teilnehmen würden, könne eine solche Gruppe einen Unterschied machen, schreiben die anonymen Verfasser. Das Schreiben liegt der Berliner Zeitung vor. Dass Wagner bereits mehrfach auf Kundgebungen des NWRI als Redner aufgetreten war, ist darüber hinaus in sozialen Medien dokumentiert

Die Berliner Zeitung konfrontierte Wagner mit den Vorwürfen aus dem anonymen Schreiben. Seine Nähe zu den „Volksmudschahedin“ gibt er freimütig zu: Auf Anfrage teilt er mit, dass er sogar dem erweiterten Vorstand des NWRI angehöre. Den Vorwurf, er vertraue auf die Stimmen von NWRI-nahen CDU-Mitgliedern, um sich auf diese Weise Mehrheiten zu sichern, weist er aber zurück. Die geringe Anzahl an Mitgliedern mit iranischen Wurzeln würde ihm „bei den verschiedenen Wahlverfahren“ nicht helfen, beteuert er. 

Der NWRI gilt als politischer Arm der Volksmudschahedin. Seine Zentrale hat der NWRI in einem Vorort von Paris, seine Berlin-Außenstelle befindet sich in einer unscheinbaren Villa in Berlin-Schmargendorf. Oppositionelle Exiliraner werfen dem NWRI in einem Bericht von Zeit Online vor, sie darin mittels Psychotechniken manipuliert und festgehalten zu haben. 

So soll dort demonstrative „Selbstkritik“ in ideologischen Gruppensitzungen zum Alltag gehört haben, in der Mitglieder alle Details über sexuelle Gedanken offengelegt haben sollen. Ebenso sollen sie mit Zwang von ihren Familien getrennt worden sein. Die Vorwürfe gegen den NWRI, wonach er seine Mitglieder indoktriniere, bezeichnete Detlef Wagner gegenüber der Berliner Zeitung als „haltlos“. Gegen diese Vorwürfe werde „von uns im NWRI regelmäßig vorgegangen“, so Wagner. 

Verfassungsschutzbericht: NWRI betreibt „intensive Lobbyarbeit“ 

Ein Meilenstein in der Geschichte der Volksmudschahedin war zweifellos das Jahr 2009. Damals beschloss der Rat der Europäischen Union, sie von der europäischen Liste terroristischer Organisationen zu streichen. Das Gericht der Europäischen Union hatte zuvor die Listung aus verfahrenstechnischen Gründen für nichtig erklärt. Seither werden sie in den Berichten des Verfassungsschutzes auch nicht mehr unter der Kategorie „Iranische Extremisten“ gelistet. 

Der NWRI konnte dadurch politisch schrittweise an Boden gewinnen. Insbesondere im konservativen Parteienspektrum gewannen die Volksmudschahedin in den vergangenen Jahren prominente internationale Unterstützer; nicht nur in der CDU, sondern beispielsweise auch bei den amerikanischen Republikanern. So traten etwa der frühere amerikanische Vize-Präsident Mike Pence oder Donald Trumps Anwalt Rudy Giuliani als bezahlte Redner auf Großveranstaltungen der Volksmudschahedin in Paris auf – Pence im Juli dieses Jahres, Giuliani im Juni 2018. Die USA hatten die „Volksmudschahedin“ 2012 von ihrer Liste der terroristischen Organisationen gestrichen. 

Auch der Berliner Verfassungsschutz hatte den NWRI in der Vergangenheit beobachtet. Die Aktivitäten des NWRI konzentrierten sich laut Verfassungsschutzbericht des Jahres 2008 darauf, die Volksmudschahedin „als friedliche und demokratische Exil-Oppositionsbewegung darzustellen“. Um internationale politische Unterstützung werbe der NWRI, indem er „eine intensive Lobbyarbeit unter Einbindung von gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsträgern“ betreibe – insbesondere unter Parlamentariern und Menschenrechtsorganisationen. Eine Beschreibung, die angesichts der Anwerbung von CDU-Politikern wie Detlef Wagner erschreckend aktuell klingt. Ob der Verfassungsschutz die Volksmudschahedin auch aktuell im Blick hat, wollte dieser allerdings auf Anfrage nicht kommentieren. 

CDU-Fraktionsvize Stefanie Bung zeigt Verständnis für Personenkult 

Doch Detlef Wagner ist nur ein kleines Licht im politischen Netzwerk der Volksmudschahedin in Berlin. Auch Stefanie Bung, stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und CDU-Abgeordnete für Charlottenburg-Wilmersdorf, steht dem in CDU-Kreisen zirkulierenden Schreiben zufolge mit dem NWRI in engem Austausch. 

Eine Internetrecherche ergibt, dass sie gemeinsam mit Detlef Wagner und anderen Unionspolitikern den „Free Iran World Summit“ Anfang Juli dieses Jahres in Paris besucht hatte. Bilder ihres Besuchs hatte sie auch auf Instagram geteilt und dabei ein offizielles CDU-Logo verwendet. Pikant: Auf den Bildern ist auch der ehemalige Chef des Bundeskanzleramts Peter Altmaier (CDU) zu sehen.  

 

Mehr zum Iran:

 

Bung war auch auf anderen Veranstaltungen des NWRI zugegen, wie etwa im Dezember 2022 auf einem Treffen im Deutschen Bundestag. Sie unterzeichnete einen Neujahrsgruß des „Deutschen Solidaritätskomitees für einen freien Iran“ (DSFI), einer weiteren Vorfeldorganisation der Volksmudschahedin, der namhafte Ex-Bundespolitiker der CDU und der FDP angehören. Und Ende Juli 2022 besuchte sie sogar das „Camp Ashraf 3“ der Volksmudschahedin in Albanien – nach eigener Aussage, um sich „ein eigenes Bild“ zu verschaffen und sich „mit den Betroffenen zu unterhalten“. 

Auf ihrer Terminliste stand unter anderem ein Gespräch mit Maryam Rajavi, der selbsternannten Präsidentin des NWRI. Laut verschiedenen Medienberichten betreiben die Volksmudschahedin einen regelrechten Personenkult um Rajavi. Bung teilte auf Anfrage mit, dass sie dafür Verständnis habe: Man könne diesen „für uns eher fremden Kult um eine Person“ verstehen, so Bung, wenn man um die „besondere Kultur und Mentalität der iranischen Menschen, die Opfer und deren Einsatz für einen freien Iran“ wisse. Eine Indoktrinierung der Camp-Bewohner habe sie nicht feststellen können. 

Um ihr Engagement zu rechtfertigen, verwies sie gegenüber dieser Zeitung auf die Nähe mehrerer früherer Bundespolitiker der Union zu den Volksmudschahedin: So nannte sie Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth sowie die früheren Bundestagsabgeordneten Leo Dautzenberg und Martin Patzelt, die sich im Kreis der „Volksmudschahedin“ auf verschiedene Weise engagieren. Sie führte aber auch die einmalige Teilnahme des Hamburger CDU-Bundestagsabgeordneten Christoph de Vries an einer Videokonferenz des NWRI vor drei Jahren an. 

Unions-Bundestagsabgeordnete: Volksmudschahedin für sie „kein Partner“ 

Für die Bundes-CDU wird indes die Nähe mehrerer ihrer Politiker zu den Volksmudschahedin immer stärker zum Problem. Als die Volksmudschahedin im Mai dieses Jahres erneut um Treffen mit Bundestagsabgeordneten baten und mit einer Unterschriftenaktion für eine vorgeblich „säkulare, demokratische Republik“ Iran warben, platzte den hochrangigen Fraktionsabgeordneten Johann Wadephul und Jürgen Hardt der Kragen. 

In einem Rundschreiben an die Unions-Bundestagsfraktion vom 25. Mai raten der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Wadephul und der außenpolitische Sprecher der Fraktion Hardt allen Unionsabgeordneten nachdrücklich davon ab, an Treffen mit Vertretern des NWRI teilzunehmen oder sich an Unterschriftenaktionen zu beteiligen. Das interne Schreiben mit dem Titel „Umgang mit dem Nationalen Widerstandsrat des Iran / Iranische Volksmudschahedin“ liegt der Berliner Zeitung vor. 

Über den NWRI schreiben Wadephul und Hardt, er sei eine Organisation, „die nach wie vor streng hierarchisch/autoritär verfasst ist und eine links-extremistische Prägung hat“. Nach außen gebe sich der NWRI zwar „zahm, säkular und demokratisch“, nach innen werde aber „nahezu bedingungslose Loyalität für die ‚Präsidentin‘ des NWRI, Maryam Rajavi, verlangt“. Dieser Druck auf die einzelnen Mitglieder habe „sektenähnliche Züge.“ Daher sei der NWRI für die Union „kein Partner“. 

Die Abgeordneten verweisen zudem darauf, dass die Volksmudschahedin unter Exiliranern einen „bleibend schlechten Ruf“ hätten – unter anderem durch „zahlreiche Anschläge“ gegen iranische Institutionen und Bürger, von denen sich die Volksmudschahedin nie distanziert hätten. Im Gegenteil deckten europäische Nachrichtendienste sogar regelmäßig Anschlagsplanungen der Gruppe auf. Es sei daher geboten, „von Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern des NWRI Abstand zu halten und sich nicht für dessen Agenda instrumentalisieren zu lassen. Der Feind unseres Feindes ist nicht automatisch unser Freund“. 

Jürgen Hardt (CDU): NWRI belästigt Unions-Bundestagsabgeordnete 

Auf Anfrage teilte Jürgen Hardt mit, die Verwandlung des NWRI von den früheren Volksmudschahedin hin zu den angeblichen Anführern der Demokratiebewegung sei „angesichts undurchsichtiger Finanzierungsstrukturen und einer wenig demokratischen kadermäßigen Führung“ wenig glaubwürdig. Unter Iranern und Exiliranern sei noch gut in Erinnerung, so der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion weiter, „dass die Vorgänger des NWRI auf der Seite des Irak standen, als dieser einen blutigen Krieg gegen den Iran mit vielen zivilen Opfern führte“. 

Der NWRI hat darüber hinaus nach Einschätzung der Unionsfraktion weder im Iran noch in Europa „auch nur im Ansatz“ die Bedeutung, die er von sich behauptet. Zudem sei der sogenannte Widerstandsrat insbesondere für Bundestagsabgeordnete eine ständige Belastung, denn er tritt laut Hardt „seit vielen Monaten an den Eingängen des Reichstags auf“ und spricht Abgeordnete „teilweise aggressiv an“. Hardt erklärt, Wadephul und er hätten die Bundestagskollegen angeschrieben, weil sie eine Zusammenarbeit mit den Volksmudschahedin „nicht empfehlen“ könnten. Weder Hardt noch Wadephul wollten gegenüber dieser Zeitung die Aktivitäten von Detlef Wagner und Stefanie Bung im Umfeld der Volksmudschahedin kommentieren. 

Lobbyismus des NWRI: Berliner FDP und Grüne sind alarmiert 

Saba Farzan, Vorsitzende des Ortsverbands Gendarmenmarkt der FDP und Mitglied des FDP-Landesvorstandes, zeigt sich von der Lobbyarbeit der Volksmudschahedin in Berlin alarmiert. Die Volksmudschahedin seien „ideologisch hochproblematisch“, so Farzan, und „eine politische Organisation, die in ihren eigenen Reihen Menschenrechtsverletzungen begeht“. Wer ernsthaft die iranische Freiheitsbewegung unterstützen möchte, nehme in diese „bedenkliche Richtung“ keine Gespräche auf. 

Auch Gollaleh Ahmadi, sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, warnt eindringlich vor der Zusammenarbeit mit dem NWRI. Sie hat sich mit ihrer deutlichen Kritik an der Lobbyarbeit des „Widerstandsrats“ bereits im Dezember vergangenen Jahres Feinde aus dessen Umfeld zugezogen. 

So wandte sich der dem NWRI nahestehende Verein „Exil-Iranische Gesellschaft e.V.“ per Brief an das Abgeordnetenhaus und an seinen damaligen Präsidenten Dennis Buchner (SPD), nachdem Ahmadi auf Twitter auf die personelle und ideologische Identität des NWRI und der Volksmudschahedin hingewiesen hatte. Sie hatte die Volksmudschahedin darüber hinaus eine „Terrorsekte“ genannt. Der Verein warf Ahmadi vor, eine „Hetz- und Hasskampagne gegen iranische Oppositionelle“ zu betreiben und forderte die Adressaten auf, „in Wahrnehmung Ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse unverzüglich“ tätig zu werden. Der Brief des Vereins liegt der Berliner Zeitung vor. 

Ahmadi sagte, die Grünen-Fraktion stehe weiter „fest an der Seite der feministischen Revolution im Iran“ und unterstütze alle dort protestierenden Menschen, „insbesondere die Frauen und Mädchen, die dort für ihre Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung kämpfen“. Eine Gruppierung wie die Volksmudschahedin, „der immer wieder sektenähnliche Strukturen nachgesagt werden, die selbst für Terroranschläge verantwortlich ist und bis vor einigen Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wurde“, kann aber Ahmadi zufolge auf keinen Fall ein demokratischer Bündnispartner bei der Unterstützung der Revolution im Iran sein. 

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