US-Präsident Biden - Neue Welt, alte Konzepte

Joe Biden hat mit einem Luftangriff in Syrien den ersten Militärschlag der neuen US-Regierung angeordnet. Der Präsident war mit dem Versprechen ins Amt gestartet, die Außenpolitik von Donald Trump zu revidieren. Doch das ist leichter gesagt als getan.

Joe Biden erbt ein unangenehmes Amt / dpa
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Autoreninfo

George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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So ziemlich jeder neue US-Präsident verspricht zu Beginn seiner Amtszeit eine neue Ära der amerikanischen Außenpolitik. George W. Bush kündigte an, vom Ziel des Nation Building abzulassen. Barack Obama versprach, die Welt (und insbesondere die muslimische Welt) dazu zu bringen, Amerika mehr wertzuschätzen. Donald Trump wiederum stellte eine Außenpolitik in Aussicht, die einzig den Vereinigten Staaten dient. Joe Biden verspricht nun seinerseits, jene Schäden rückgängig zu machen, die Trump in den diplomatischen Beziehungen angerichtet hat. Das Grundprinzip ist stets: Das Zurückliegende war schlecht, und in Zukunft wird alles besser. Und um es besser zu machen, muss das Schlechte revidiert werden.

Doch diese ­Ankündigungspolitik entspricht lediglich den präsidialen Wünschen und nicht der Realität. Bush verbrachte seine beiden Amtszeiten erfolglos mit dem Versuch, Staatswesen in Afghanistan, im Irak und anderswo aufzubauen. Der Dschihadismus erlag Obamas Charme keineswegs. Und Donald Trump verfolgte zwar die Interessen der USA, definierte jedoch nur selten, worin diese eigentlich bestehen sollen. Sämtliche hehren Absichten der erwähnten Präsidenten waren real – doch die Welt richtet sich eben nicht nach ihnen.

Keystone XL-Pipeline

Als Beispiel für eine seiner ersten politischen Initiativen kündigte Biden Mitte Januar an, dass er die Keystone-XL-­Pipeline, ein 50-Milliarden-Dollar-­Projekt, das von Kanada in die Vereinigten Staaten führt, absagen werde. Trump hatte die Pipeline seinerzeit genehmigt, und die Kanadier gingen vernünftigerweise davon aus, die Sache wäre damit klar. Auf Bidens jüngste Absage reagierte die ölreiche Provinz Alberta deshalb erzürnt, und sogar der kanadische Premierminister Justin Trudeau, mit dem Alberta oft im Streit liegt, verurteilte die Entscheidung.

Aus Bidens Sicht hingegen ist der Schritt durchaus konsequent, weil er sich erklärtermaßen für Umweltschutz einsetzen will und er die Pipeline als eine Bedrohung der Natur sieht. Dennoch ist seine Handlungsweise insofern bemerkenswert, als dass er ebenfalls versprochen hatte, Trumps Beschwörungen von wegen „America first“ nicht fortzusetzen. Und nun bestand seine erste bedeutende Amtshandlung prompt in der einseitigen Aufkündigung eines Abkommens – womit er ausgerechnet Kanada brüskierte, einen der wohl engsten Verbündeten Washingtons. Den Kanadiern wird deshalb womöglich kaum eine andere Wahl bleiben, als das US-Mexiko-­Kanada-Abkommen in mehreren Punkten zu revidieren, die den USA am Herzen liegen.

Atomabkommen mit dem Iran

Ein weiteres Beispiel dieser zweischneidigen Politik ist Bidens Engagement für die Wiederaufnahme der Gespräche mit dem Iran einschließlich der Wiederbelebung des Atomabkommens. Trump hatte das Abkommen mit dem Argument gekippt, es biete keinen garantierten Schutz vor anderen iranischen Aktionen wie etwa Spezialoperationen gegen Israel und die Staaten am Persischen Golf. Er nahm deshalb eine viel härtere Haltung gegenüber Teheran ein und verhängte massive Sanktionen, die die iranische Wirtschaft lahmgelegt haben.

Für Biden wird es nun extrem schwierig sein, auf das vorangegangene Abkommen zu rekurrieren. Unter Trump haben die Vereinigten Staaten das Abraham-Abkommen unterstützt, bei dem sunnitisch-arabische Länder den Staat Israel im Zuge der Aufnahme diplomatischer Beziehungen formell anerkannten. Der wesentliche Antrieb für diese Aktion war die gemeinsame Angst vor dem Iran. Die sunnitisch-arabischen Staaten rund um den Golf waren besonders anfällig für iranische Machenschaften; Israel wiederum kämpfte in Syrien und im Libanon direkt gegen iranische Stellvertreter. Allesamt nahmen sie dem Regime in Teheran nicht ab, es werde sich an ein Nuklear­abkommen halten – zumal sie von dort mit nichtnuklearen Bedrohungsszenarien konfrontiert sind. Die Rückkehr zum Status quo ante ohne gleichzeitige Einigung auf ein Ende der feindlichen Aktionen seitens Iran würde der neuen Allianz zuwiderlaufen.

Die israelisch-sunnitische Allianz hat den Nahen Osten radikal umgestaltet. Sie wurde zwar von Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten in die Wege geleitet, aber die USA, die sie hätten blockieren können, leisteten starke Unterstützung. Jeder Versuch, das Atomabkommen mit Iran wiederzubeleben und die Sanktionen gegen Teheran auszusetzen, ohne dass der Iran valide Verpflichtungen eingeht, sein aggressives Verhalten aufzugeben, steht dieser Allianz diametral entgegen. Teheran wird aber nicht bereit sein, seine regionalen Interessen zurückzustellen – und die Mitglieder der Allianz werden keinem Vertrag zustimmen, der die Sanktionen beendet und die Kontrollen des iranischen Atomprogramms nicht gleichzeitig drastisch verschärft. Einfach ausgedrückt: Das Abkommen, das die Obama-Administration durchgesetzt hatte, war damals möglich. Jetzt ist es das nicht mehr.

USA und Europa

Dann ist da noch Bidens Ankündigung, er werde die Beziehungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten heilen. Es ist allerdings nicht klar, was er damit genau meint – außer eben das rüpelhafte Verhalten bei internationalen Treffen zu beenden. Die einzige existierende transatlantische Institution von Bedeutung ist die Nato. Die USA haben mit den anderen Nato-Partnern eine Vereinbarung getroffen, wonach jedes Mitglied ein Verteidigungsbudget in Höhe von 2 Prozent seines Bruttoinlands­produkts gewährleistet. Die Vereinigten Staaten haben dies in der Vergangenheit getan; die meisten europäischen Staaten hingegen nicht. Frage aus amerikanischer Sicht: Gehört es zu einer besseren Beziehung, in dieser Angelegenheit gegenüber Europa klein beizugeben?

Noch wichtiger ist allerdings die Frage, wie die Versöhnung zwischen Europa und den USA überhaupt aussehen soll. Großbritannien ist nicht mehr Teil der Europäischen Union und fordert ein Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten. Schließt Bidens Engagement für Europa diesen wichtigen Verbündeten der USA ein? Dies könnte andere Mitglieder der EU verärgern. Gehört zu besseren Beziehungen auch die Zustimmung zu Europas Position hinsichtlich von Digitalsteuern? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Nicht zu vergessen: Brüssel droht Polen und Ungarn mit Sanktionen für das, was es als Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit betrachtet. Wie wird sich das auf die dort stationierten US-Truppen auswirken?

Die Vereinigten Staaten und Europa haben seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs innige und intensive Beziehungen, die nicht zuletzt auf der sowjetischen Bedrohung gründeten. Doch in den 30 Jahren seit dem Zusammenbruch der Sowjet­union hat sich Europa verändert – es ist insularer geworden, verwaltet sein Wirtschaftssystem und betrachtet militärische Angelegenheiten als zweitrangig. 

Was bedeuten seine Versprechungen konkret?

Was bedeutet es vor diesem Hintergrund, die Beziehungen zu Europa „wieder aufleben“ zu lassen? Was erwartet Amerika von Europa, und was wird Europa im Gegenzug leisten? Und was genau ist Europa ohne Großbritannien? Wie ist es aus amerikanischer Perspektive zu bewerten, wenn Polen und Ungarn sich von einer EU kujoniert sehen, der sie freiwillig beigetreten sind?

Joe Biden hat eine neue Kooperation mit dem Rest der Welt versprochen. Für einen Präsidentschaftskandidaten ist es immer einfach, Dinge zu versprechen, die allen gefallen. Für einen amtierenden Präsidenten ist es aber ungleich schwieriger, sich dann auch tatsächlich daran zu halten. Biden ist von Beamten umgeben, die eine starke Bindung an den alten Politikstil haben, der nicht mehr mit der aktuellen Weltordnung übereinstimmt. Der nicht mehr zu Ideologen passt, die ohne Rücksicht auf Verluste handeln wollen. Doch beides sind die neuen Realitäten unserer Zeit.

Alle neu ins Amt gewählten Präsidenten dürfen sich über ein paar Flitterwochen freuen – die allerdings schnell zu Ende sind. Biden geht es da nicht anders. Er hat viele Versprechungen gemacht, die er nicht wird halten können. Das wird noch für viel Unmut sorgen. Genauso wie es für Unmut sorgen wird, wenn er manche seiner Versprechungen tatsächlich einlöst.

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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