Ausgang der US-Präsidenschaftswahlen - Joe Biden steht vor einer fast übermenschlichen Aufgabe

Der 46. Präsident der USA wird Joe Biden heißen. Der Mann, den sie „Sleepy Joe“ nennen, muss eine extrem aggressive Stimmung im Land wieder runterkühlen und die Gemüter sedieren. Denn Donald Trump mag bald Geschichte sein. Der Trumpismus aber bleibt.

Feiernde Biden-Anhänger in Philadelphia / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Amerika bekommt einen neuen Präsidenten. Ein Land im Lot ist es deshalb noch lange nicht. Die Eskapaden des Bullys im Weißen Haus nahmen am Ende immer groteskere Züge an. Er sah verrammelte Wahllokale und Betrug überall. Es hätte auch nichts weiter verändert, wenn er behauptet hätte, jemand leite Gas in seine Büros im Weißen Haus. Vielleicht sollte man den Umstand nutzen, dass er sich, wie man lesen und sehen konnte, für eine Partie Golf aus dem Weißen Haus begeben hat und gleich neue Schlösser einbauen. Sonst wird der Tag noch kommen, an dem ihn Spezialkräfte dort rauseskortieren müssen.

Auch direkt nach der Verkündigung von Bidens Sieg, reagierte Trump, wie erwartet. Er wird nicht freiwillig gehen.

Waffenstarrend vor den Wahllokalen

Es war ein erbärmliches Schauspiel, dass der erste Mann der ältesten Demokratie der Welt in den vergangenen Tagen abgeliefert hat. Er warf mit haltlosen Vorwürfen um sich und steigerte sich in eine immer grotesker wirkende Rage, je mehr Biden aufholte und ihn nun uneinholbar hinter sich ließ.

Die Amtsjahre Trumps und seine letzte große Show als Präsident wären zu ertragen und abzuhaken, wenn sie nicht weiterwirken würden. Vor den Wahllokalen sind Trump-Anhänger nicht einfach so aufgetaucht, sondern zum Teil schwer bewaffnet mit Schnellfeuerwaffen jeder Art. Wer solche Waffen vor einem Wahllokal präsentiert, bei dem sollte man besser nicht davon ausgehen, dass es nur bei der Show of Force bleibt. Die USA sind gespalten und angeheizt und voller Aggressivität.

Biden muss die Gemüter kühlen

Joe Bidens erste Aufgabe wird es sein, dieses aufgeheizte und hochgefährliche gesellschaftliche Klima wieder herunterzukühlen und die Leute buchstäblich zur Besinnung zu bringen. Bei vielen wird das schwer werden. Denn so wie hierzulande die völlig Vermauerten und Vernagelten auch noch jeden Irrsinn des US-Präsidenten verteidigten, so werden das mit Sicherheit dessen Anhänger auch in den USA tun.

Wir erinnern uns alle noch an große Reden von Wahlverlierern in den USA, die diesen Gemeinschaftssinn unmittelbar nach der aufgeheizten Phase des Wahlkampfes hergestellt haben. Allen voran John McCain, den Republikanischen Patrioten, den Donald Trump mit Lust und Häme versucht hatte lächerlich zu machen – selbst noch nach dessen Tod.

Der Golfspieler lässt seine Rechtsanwälte von der Leine 

Von Trump wird das zu keinem Zeitpunkt zu erwarten sein. Just nachdem Biden sich mit der Nase über die Marke der 270 Wahlmänner geschoben hatte, ließ der Golfspieler seine Rechtsanwälte von der Leine, um wieder gegen die Briefwahlunterlagen zu agitieren und die Richtmäßigkeit des Ergebnisses anzuzweifeln und den weiteren Klageweg zu bekräftigen. Substanziell hatten sie den Tiraden ihres Chefs aber nichts hinzuzufügen. 

Es wäre gut, wenn die Zählungen in allen umstrittenen Bundesstaaten wiederholt werden, um Legendenbildung nicht Vorschub zu leisten. Aber man soll sich da nichts vormachen. Und wenn jede einzelne Briefwahlunterlage einzeln beglaubigt wäre, würden Trump und seine Leute nicht aufhören, weiter an dieser Legende zu stricken. Eher erklärt man einer Wildschweinrotte, dass sie doch jetzt bitte nicht diesen Rasen weiter zertrampeln soll, als dass Trump und seine Truppe zur Besinnung kommen.

Daher wird es nicht reichen, wenn Joe Biden sich zum Präsidenten aller Amerikaner erklärt, auch jener, die ihn nicht gewählt haben. Namhafte Republikaner müssen an Trumps Stelle dem Wahlsieger gratulieren und erklären, dass die GOP, die große alte Partei, auch dieses Mal wie immer den Wählerwillen und das Wahlergebnis akzeptiert. George W. Bush und alle noch lebenden Republikanischen Ex-Präsidenten müssten diese Geste gemeinsam zeigen und Biden zum Wahlsieg gratulieren. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie ein Zeichen setzen, dass Trump nicht für die Republikaner insgesamt steht. Aber es wäre wichtiger denn je. 

Aber selbst dann stehen den USA mit großer Wahrscheinlichkeit noch schwere Wochen und Monate bevor. Trump ist vorbei. Der Trumpismus noch lange nicht.

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