Fake News im US-Wahlkampf - Gibt’s doch gar nicht. Oder?

Desinformation und Fake News spielen auch fast vier Jahre nach Russlands Einflussnahme auf die Präsidentschaftswahlen im November 2016 wieder eine Rolle. Neuestes Ziel der Attacken: Die frischgekürte Vize-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris.

Verbreitet gerne Unwahrheiten: US-Präsident Donald Trump / dpa
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Autoreninfo

Daniel C. Schmidt ist freier Reporter. Er studierte in Manchester und London (BA Politics & Economics, MSc Asian Politics) und lebt zur Zeit in Washington, D.C.. Schmidt schreibt über Pop, Kultur und Politik.

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Inzwischen ist das Schema altbekannt. Ein Satz des Präsidenten, der Aufregung erzeugen soll und gleichzeitig haltlos ist, wird von den Medien aufgegriffen und als unwahr bestätigt. Nur: ein bisschen was bleibt immer hängen. 

„Ich habe heute gehört, dass sie den Anforderungen nicht entspricht”, sagte Donald Trump vor Reportern im Weißen Haus vergangene Woche. „Ich habe keine Ahnung, ob das stimmt. Ich hätte gedacht, also, ich hätte angenommen, dass die Demokraten das vorher überprüft hätten, bevor sie sich um das Amt als Vizepräsidentin bewirbt.”

Es ging um Kamala Harris, die in Oakland geborene Tochter einer indischen Mutter und eines jamaikanischen Vaters und amtierende Senatorin aus Kalifornien. Seit etwas über einer Woche ist klar, dass die Demokratin mit Joe Biden gemeinsam als mögliche Vizepräsidentin ins Rennen bei der Präsidentschaftswahl im November gehen wird. Auf dem virtuellen Parteitag der Demokraten nahm sie offiziell die Kandidatur an. Ihre Wählbarkeit infrage zu stellen, war eine von Präsident Trumps ersten Reaktionen auf die Ankündigung dieser Kandidatur. Trump hatte schon vor Jahren an Barack Obamas Herkunft und damit an dessen Wählbarkeit als Präsident gezweifelt („birtherism”). Sein Satz über Harris, ohne eine Quelle zu nennen („habe heute gehört”), klingt wie ein ähnlich irreführender Empörungsversuch. 

Anstrengende Zeiten für Faktenchecker 

In was für einer Desinformationshölle sich die USA auch fast vier Jahre nach Trumps Wahl im Sommer 2020 immer noch befinden, kann man sich relativ schnell zusammensuchen. Die amerikanische Webseite snopes.com hat sich darauf spezialisiert, fragwürdige Aussagen, urbane Mythen, Gerüchte und andere halbformulierte Anklagen, die durchs Internet kursieren, auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Wie es so um den Interessens- und Informationsstand im Land bestellt ist, lässt sich am einfachsten an einem Ort ablesen: der „Hot 50”, der Liste mit den meistgelesenen Geschichten der Webseite. 

Ein paar Highlights aus dieser Woche: „Ist Putins Tochter gestorben, nachdem ihr ein Covid-19-Impfstoff verabreicht wurde?” (Platz 2, snopes.com-Wertung: Falschmeldung), „Besaßen die Vorfahren von Senatorin Kamala Harris Sklaven auf Jamaika?” (Platz 6, unbewiesen; eine Geschichte von 2019, die jetzt wieder in den „Hot 50” aufgetaucht ist), „Hat die Obama-Regierung die Käfige gebaut, in denen Migranten-Kinder an der US-Mexikanischen Grenzen untergebracht sind?” (Platz 10, wahr; auch das eine Geschichte von 2019), „Wurden Postkästen der Bundespost in Oregon abmontiert?”, Platz 11, größtenteils wahr), oder „Hat Joe Biden gesagt, dass er seine Kinder nicht in einem ,racial jungle’ aufwachsen sehen will?” (Platz 16, tatsächliche Aussage aus den 70ern). 

Manchmal sind unter den Internetgerüchten auch ein paar ganz ausgefallene Perlen dabei, wie „Ist McDonald’s erwischt worden, Menschenfleisch zu benutzen?” (Platz 13, wahr – nur Spaß, natürlich: falsch) oder „Ist ein Tritt in die Hoden hundertfach schmerzvoller als ein Kind zur Welt zu bringen?” (Platz 28, falsch). Die Liste ist ein Blick in Amerikas Onlineseele: Falschmeldungen über den Facebook-Algorithmus, Ghislaine Maxwell und Jeffrey Epstein, Pädophilie, Hollywood-Größen.

Falschmeldungen lenken von eigentlichen Inhalten ab 

Aber immer haben sie eine Ursache. Die Fragen mit dem Menschenfleisch hat sich snopes.com nicht selbst überlegt, sie beruht auf einem Internetpost aus dem Jahr 2014. Fast alle ihrer Faktenchecks beruhen auf einer Art Internet-„Stille Post”. Irgendwo wird Hörensagen im Netz verbreitet, das tausendfach geteilt wird und plötzlich zu einem „Hast du gehört, dass..?” wird. Und so ist es auch eher besorgniserregend, dass neun der fünfzig meistgelesenen Geschichten auf snopes.com alle Kamala Harris zum Thema haben. Naturgemäß ist in der Woche nach Bekanntgabe ihrer Kandidatur das Interesse groß an ihrer Person. Diese neun Artikel sind jedoch keine Nachrichtenartikel, die über ihr politisches Schaffen berichten, es sind alles Artikel, die versuchen, Falschaussagen und Halbwahrheiten richtigzustellen, die über Harris im Internet kursieren. 

Fast vier Jahre nach Russlands versuchter Einflussnahme auf die US-Wahlen im November 2016 ist die Summe an Gemunkel über eine von Amerikas bekanntesten und bald vielleicht mächtigsten Politikerinnen schon seltsam. Egal wer es steuert, egal von wem es ausgeht – es besteht offensichtlich weiterhin ein Interesse daran, gewisse politische Figuren zu diskreditieren. 

Laut einem Bericht des Nieman Journalism Lab, die sich auf eine Studie der NGO Avaaz aus dem Jahr 2019 beruft, „nehmen Fake News auf Facebook zu – und erreichen mehr Menschen als 2016”.  Von den im Zeitraum der Studie 100 meistgeteilten Fake-Geschichten auf Facebook, die zudem bereits einem Wahrheitscheck unterzogen und als falsch bestätigt worden waren, waren 91 Prozent negative, diskreditierende Fake News, davon 62 Prozent über die Demokraten. Neun Prozent waren positive Fake News, 100 Prozent davon über Trump und die Republikaner. 

Auch Russland weiterhin an Wiederwahl interessiert 

In den Vorwahlen im Frühjahr 2020 gab es bereits einige Fälle von Desinformationen über Wahltermine und Wahllokale. Da wurden falsche Wochentage und Orte über soziale Netzwerke verbreitet. Für die eigentliche Wahl im November erwarten Experten keine Verbesserung der Situation. Soziale Medien wie Facebook kommen kaum hinterher, Falschmeldungen zur Corona-Pandemie auszusortieren, geschweige denn zur Wahl. „November wird der Super Bowl für Misinformationstaktiken”, sagte Graham Brookie, Direktor des Digital Forensics Lab vom Atlantic Council, das Online-Falschmeldungen untersucht, kürzlich in einem Interview.  

Vor ihrer Rede am Parteitag der Demokraten sagte Kamala Harris am vergangenen Mittwoch in einem kurzen Wahlaufruf, dass man sich immer überlegen sollte, warum eine Seite versucht, Desinformationen zu streuen und den Gang zur Urne zu unterdrücken: „Wenn wir zur Wahl gehen, verändern sich die Dinge”, sagte sie in Hinblick auf einen möglichen Machtwechsel im November, „wenn wir zur Wahl gehen, verändern sich die Umstände.” 

Wie die Umstände am 4. November aussehen, am Tag nach der Wahl, wissen wir nicht. Ein Bericht des Geheimdienstausschusses im Senat von dieser Woche warnt unterdessen, dass Russland weiterhin aktiv daran arbeitet, Donald Trump bei seiner Wiederwahl zu unterstützen.  

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