Die US-Republikaner nach Trump - Zwischen Clown-Show und Arbeiterpartei

Die Abwahl Donald Trumps hat die Republikaner in den Vereinigten Staaten in eine Sinnkrise gestürzt. Derzeit wird eifrig um den künftigen Kurs der Partei gerungen. Es sieht alles danach aus, als wolle sie sich auf die Interessen der Arbeiter konzentrieren und dem Neoliberalismus endgültig abschwören.

Marco Rubio, Senator aus Florida, ist einer der großen Hoffnungsträger der Republikaner / dpa
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Gregor Baszak ist freier Journalist und lebt in Chicago. Er publizierte unter anderem in The American Conservative, Makroskop und UnHerd.

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Oren Cass sagt, was man von Sozialdemokraten alter Schule erwartet. „Die Politik muss Kompromisse machen, um die nationale Industrie zu beschützen. Dabei wird uns die Wirtschaftswissenschaft nicht immer helfen.“ Denn letztere könne nicht langfristig denken. Viele Ökonomen seien nur auf Effizienz erpicht, nicht jedoch auf wahren Wohlstand, der den Arbeitern ein stabiles Leben ermögliche. Darum sei es auch an der Zeit, die Dogmen neoliberaler Granden wie Friedrich Hayek und Milton Friedman zu überdenken.

Im Konferenzraum des Hilton-Hotels in Alexandria, einem wohlhabenden Vorort von Washington DC, kamen diese Aussagen von Cass sehr gut an. Das ist keineswegs selbstverständlich, denn Cass sprach dort auf einer Konferenz des konservativen Intercollegiate Studies Institute (ISI), die vom 23. bis 24. Juli die „Zukunft der amerikanischen politischen Ökonomie“ beleuchtet hat. Das ISI wurde 1953 gegründet, um als intellektuelles Gegengewicht zum dominanten New Deal zu fungieren. Der New Deal, so die damals aufstrebende konservative Bewegung, hätte den Staat zu sehr ermächtigt und dafür die Eigenverantwortung des Individuums herabgesetzt.

Kulturkampf wegen Bibo

Cass selbst war 2012 Wahlkampfberater des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney, der die Wahl gegen Barack Obama auch deswegen klar verlor, weil Romney als ökonomisch kaltherziger und mit Staatsausgaben knauserig umgehender Neoliberaler galt. Dem Image arbeitete Romney kaum entgegen. Während einer Debatte mit Obama, die vom öffentlich finanzierten Fernsehsender PBS ausgestrahlt wurde, erklärte er, dass PBS der Geldhahn abgedreht werden müsse, um die Staatsschulden zu reduzieren. Das hieße auch, so Romney in einem fatalen Moment, dass davon die quirlige Figur „Big Bird“ (Bibo) aus der PBS-Sendung „Sesamstraße“ von den Budgetkürzungen nicht unbetroffen bleiben würde. Der Fauxpas wurde vom Obama-Team schonungslos ausgebeutet, und Romney konnte seinen Ruf des rücksichtslosen Gegners beliebter Kinderhelden nie mehr abschütteln.

Heute sitzt Romney im US-Kongress als republikanischer Senator aus Utah – und plädiert für die Einführung eines pauschalen Kindergeldes, das von Experten als viel großzügiger angesehen wird als ähnliche Reformvorschläge der Biden-Regierung. Ob Cass wohl etwas mit diesem Herzenswandel zu tun gehabt haben könnte?

2020 gründete er den rechten Think Tank „American Compass“, dessen Mission nach eigener Aussage die „Neuausrichtung der politischen Aufmerksamkeit weg von Wachstum um des Wachstums willen“ ist. Stattdessen solle die industrielle Basis der USA neu begründet werden, was wiederum den Bürgern des Landes dabei helfen solle, Wurzeln zu schlagen und Familien aufzubauen. Ein dringendes Vorhaben, denn Amerika schreitet auf die demographische Klippe zu, da immer mehr Menschen die Familiengründung aufgrund akuten ökonomischen Druckes bis auf ungewisse Zeit aufschieben.

Zukunftsthema Familienpolitik

Darum war auch die Diskussion einer konservativen und doch zukunftsweisenden Familienpolitik eines der Hauptaugenmerke der ISI-Konferenz. Ein ganzes Panel widmete sich dem Thema, und keiner der Sprecher schien der Einführung eines großzügigen Kindergeldes sonderlich abgeneigt – und das, obwohl sich die Republikaner in den vergangenen 40 Jahren eher die Verhinderung neuer Sozialleistungen zur Räson gemacht hatten. 

Dieser neoliberale Konsens zerbrach jedoch nicht aus heiterem Himmel. Der Anstoß zur Neuausrichtung kam aus unübersehbarer Richtung, wie die Gründerin der Organisation „Network of Enlightened Women“, Karin Lips, auf dem Familienpanel erinnert – nämlich von Donald Trump, der während des Wahlkampfes 2016 auch eine Einführung des staatlich garantierten Elternurlaubs forderte.

Der größere Widerstand gegenüber der Idee, wie auch sonst jeglicher Wohlfahrtsstaatspolitik, kam während seiner Präsidentschaft aus eigenem Lager. Die Republikaner beharren seit einem halben Jahrhundert auf innenpolitischer Austerität und außenpolitisch auf ungezügeltem Freihandel, der zur rapiden Deindustrialisierung des Landes geführt hat. Zwar waren im selben Zeitraum beide Ansichten auch weit unter den Demokraten verbreitet, doch werden sie vor allem mit den Republikanern identifiziert – insbesondere wegen des regelrechten Kultes, den die Partei um Ronald Reagan aufgebaut hat. 

Für Reagan roch staatliches Eingreifen stets nach Totalitarismus. So wütete er schon in den 1960er Jahren gegen die Einführung einer öffentlichen Gesundheitsversorgung, da diese den Sozialismus verhieße. Millionen Amerikaner haben bis heute die zweifelhafte Freude, dem sozialistischen Joch entgangen zu sein – denn sie sind unversichert, ein Schicksal an dem auch die hoffnungslos bürokratische Gesundheitsreform Barack Obamas wenig änderte.

Trumps Revolution

„Ich bin ein Konservativer, aber wen juckt das schon heutzutage“, polterte Trump 2016 gegenüber dem ansonsten eintönigen Feld an republikanischen Präsidentschaftsbewerbern, die sich stets zur Reinkarnation Reagans aufblähten. „Wir müssen das Land wieder auf Kurs bringen.“ Und das bedeutete für Trump eben, dass man viele republikanische Orthodoxien über den Haufen werfen müsse. Die Grenze gehöre für Billigarbeitskräfte geschlossen und nicht, wie von den Arbeitgebern gefordert, weit geöffnet. Die von George Bush angestifteten Kriege nannte Trump einen fatalen Fehler. Der Freihandel müsse gedrosselt werden, um der US-Industrie zur Renaissance zu verhelfen. Das Kindergeld wurde bereits erwähnt. Die staatliche Sozialversicherung solle nicht angetastet werden, obwohl selbst Obama mit versteckten Mitteln ihre Kürzung hatte herbeiführen wollen. Und einer Ausweitung der staatlichen Gesundheitsversorgung war Trump noch nie abgeneigt. Das alles war den Ansichten des neoliberalen Konsenses, der in beiden Parteien lange Zeit vorherrschte, diametral entgegengesetzt.

Seit Richard Nixon ging kein republikanischer Präsidentschaftskandidat mit einer ähnlich populistischen Agenda ins Rennen. Das Label des „Populismus“ haftete auch dem selbsterklärten Sozialisten Bernie Sanders an, der Hillary Clinton 2016 das Leben schwer gemacht hatte und damals die unter Demokraten verpönte Aussage traf, dass offene Grenzen nur den Arbeitgebern nützten. Letzten Endes markiert der Populismus-Begriff heutzutage wenig mehr als eine Abwendung vom Neoliberalismus hin zu einer eher nationalistisch ausgerichteten Politik.

Starke Wählerwanderung

Und dass Trump sich den Begriff nutzbar machte, führte zu bemerkenswerten Wählerwanderungen: Bis dato eher eine Partei reicher Country-Club-Mitglieder, verloren die Republikaner unter Trump weite Teile dieser Stammwählerschaft an die Demokraten. Fast ausschließlich alle der reichsten Wahlbezirke gingen 2016 und 2020 an die Demokraten, während sich die Arbeiterschaft vermehrt zu Trump hinwendete. 

Im US-politischen Diskurs redet man daher wieder vermehrt vom sogenannten „realignment“, also der Neuordnung der sozio-politischen Zusammensetzungen der beiden großen Parteien. Die Republikaner und Demokraten sind keine Parteien im klassischen Sinne, da sie formal keine Mitglieder haben. Stattdessen „registriert“ man sich auf von den einzelnen Bundesstaaten geführten Wählerverzeichnissen zumeist als republikanisch, demokratisch, oder „unabhängig“. Der oftmals einzige Nutzen dieser Registrierung besteht darin, dass man dann bei den Vorwahlen der jeweiligen Parteien abstimmen darf.

Doch führt dieses lose Verhältnis eben auch dazu, dass die Loyalitäten der Wähler nicht absolut sind und schließlich zu solchen Schockergebnissen wie 2016 führen können.

Was wiederum Trump dazu bewegte, die Republikaner von nun an „die Partei des amerikanischen Arbeiters“ zu nennen. Nur machte er die Rechnung ohne den Rest der republikanischen Elite, die auf Gewerkschaften oder staatliche Intervention weiterhin verachtend herabblickt. Eine Arbeiterpartei also, die keine sein will. Noch nicht.

„Das ist eine lange Schlacht, und sie lässt sich nicht im Zuge einer vierjährigen Amtszeit gewinnen“, sagt Daniel McCarthy, der Chefredakteur des ISI-Magazins Modern Age, während einer Tagungspause. „Eine neugeordnete, populistische Rechte muss genauso langfristig denken wie die Anhänger des Freihandels vor ihr. Diese brauchte nämlich etwa 15 Jahre, um die Republikaner hin zur Partei Ronald Reagans zu verwandeln.“

Denn bis zur Präsidentschaft Richard Nixons, erinnert Cass bei seinem Vortrag, galten die Republikaner alles andere als marktradikal. Letzteres war eher die Ideologie der Demokraten, einer Partei, die sich historisch aus Sklavenhaltern und Plantagenbesitzern zusammensetzte, die lange auf die Absatzmärkte Englands angewiesen war, um die landwirtschaftlichen Erträge aus dem Süden der USA verkaufen zu können. 

Das „American System“

Seit der Gründung der Vereinigten Staaten bis hin zur Mitte des 20. Jahrhunderts nannte man das republikanische Programm das „American System“. Dieses schrieb hohe Strafzölle vor, um die heimische Industrie zu fördern. Eine mächtige Zentralbank wiederum sollte dieser Industrie einfache Kredite ermöglichen. Für Cass wäre eine Rückkehr zu dieser interventionistischen Politik alles andere als ein Verrat am Konservatismus, sondern seine Verwirklichung. „Wir hatten schon lange keinen Konservatismus in den USA“, pointierte er seinen Vortrag. „Bloß einen linken und rechten Liberalismus.“

Trumps einzige größere Reform während seiner Präsidentschaft war eine vor allem den Wohlhabenden nützliche Steuerkürzung. Reagan hätte es nicht anders gemacht. Und doch gibt es Risse in der marktradikalen Front unter den Republikanern.

Marco Rubio, der amtierende Senator aus Florida, schaltete sich per Video in die ISI-Konferenz zu und beharrte darauf, dass es im nationalen Interesse der USA sei, eine starke industrielle Basis zu haben. Dabei sei auf die multinationalen Unternehmen mit Sitz in den USA kein Verlass, denn diese seien vor allem ihren Aktionären verpflichtet, welche wiederum quer durch die Welt verstreut sind und sich kaum ums Wohl der amerikanischen Arbeiterschaft scheren. Trumps Steuerreform wäre damals fast an Rubios Widerstand gescheitert, bis dieser ein (wenn auch eher moderates) Kindergeld durchsetzen konnte. Und kürzlich stellte Rubio sich abermals quer und stimmte gegen ein Reformvorhaben, das die heimische Halbleiterindustrie stärken sollte, weil der Gesetzesvorschlag ihm zu zahm war und keine expliziten protektionistischen Maßnahmen beinhaltete. Da fand Rubio sich plötzlich auf einer Seite mit Bernie Sanders, der ebenfalls gegen die Reform stimmte.

J.D. Vance und seine „Hillbilly Elegy“

Der Star der Konferenz jedoch war J.D. Vance. Mit seiner Autobiographie „Hillbilly Elegy“ gelang ihm 2016 literarischer Ruhm. Das Buch schildert sein Großwerden in Middletown, einer Industriestadt in Ohio, die mit den Umwälzungen der sich wandelnden Wirtschaft zu kämpfen hat. „Hillbilly Elegy“ wurde voriges Jahr vom Regisseur Ron Howard verfilmt – Amy Adams und Glenn Close spielten die Hauptrollen – und bescherte Vance den Ruf eines intellektuellen Konservativen, der auch unter Lesern der liberalen New York Times Sympathien sammeln konnte. Nicht zuletzt fußte dieser parteiübergreifende Appeal auch darauf, dass Vance den damaligen Kandidaten Trump in mehreren Tweets scharf angegriffen hatte.

Doch da Vance sich jetzt um die Nominierung zum Senator von Ohio in den republikanischen Vorwahlen bemüht, entschuldigte er sich kürzlich für diese Kritiken und schwört nun, ganz auf einer Linie mit Trump zu sein. Entsprechend populistisch sind seine Wahlkampfthemen ausgerichtet. Besonders die Familienpolitik steht bei ihm im Fokus: „Was haben Kamala Harris, der jetzige Verkehrsminister Pete Buttigieg und die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez gemein? Keiner von ihnen hat Kinder.“ Um den Einfluss von Familien zu stärken, so Vance, gehöre das Wahlrecht reformiert. Für jedes Kind sollten Eltern eine zusätzliche Stimme erhalten, die sie in deren Namen abgeben könnten.

Unter den Konferenzteilnehmern führte diese Vorschläge zu feurigstem Applaus. Vance hatte offenbar ein zentrales Thema formuliert, mit dem populistische Republikaner um Wähler buhlen könnten: die familienfreundlichen Republikaner gegen die kinderlosen Säkularisten der Demokratischen Partei.

Chancen auf Realisierung hat Vance’ Reformvorschlag eher nicht. Und auch sein eigener Wahlerfolg steht in den Sternen. Derzeit dümpelt er in Umfragen bei sechs Prozent vor sich hin; klar vorne liegt der Kandidat Josh Mandel, der gerne mit demagogischen Aussagen Aufmerksamkeit erregt. So wurde Mandels Twitter-Konto kurzzeitig gesperrt, als er seine Follower darüber abstimmen ließ, welche „Illegalen“ wohl mehr Verbrechen begehen würden, „muslimische Terroristen“ oder „mexikanische Gangster“.

Ein junger republikanischer Student, der Vance’ Rede gebannt verfolgte, ist zwar ebenso vom Schriftsteller aus Ohio hingerissen, erklärt jedoch, dass genau das Vance zum Verhängnis werden würde: „Wenn er wirklich die populistische Energie innerhalb der republikanischen Wählerschaft anzapfen möchte, dann sollte er öffentlich eine Maske verbrennen.“ Alles, um irgendwie Mandel zu überholen.

Ungezügelte Trump-Epigonen

Die Beobachtung fasst den Richtungskampf, der die sich neu ordnenden Republikaner seit Trumps Wahl in Bann hält, sehr gut zusammen. Auf der einen Seite findet sich die Intelligenzija der Partei, die im Hilton-Hotel vom Heranwachsen einer Arbeiterpartei träumt; auf der anderen Seite sind die ungezügelten Trump-Epigonen, die eher dem Celebrity-Status hinterher trachten, als sonderlich durch neue Ideen zu überzeugen.

Der Ausgang dieses Konflikts wird also darüber entscheiden, ob das „realignment“ die Rückkehr einer gewissen Seriosität in der amerikanischen Politik zur Folge haben wird – oder eine unendliche Fortsetzung der Clown-Show, die die Supermacht dem Abgrund immer näher treibt.

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