US-Präsidentschaftswahl - Schöne neue Welt

Anders als zu Beginn seiner ersten US-Präsidentschaft sind Donald Trump und seine Anhänger bestens vorbereitet auf eine mögliche zweite. Die amerikanische Politik wollen sie nach innen und außen grundlegend verändern.

Trump-Unterstützer in New Hampshire / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Davor bekleidete er verschiedene Funktionen bei Goldman Sachs, Salomon Brothers und – bevor er in die Privatwirtschaft wechselte – beim Internationalen Währungsfonds in Washington und Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Thomas Mayer promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und hält (seit 2003) die CFA Charter des CFA Institute. Seit 2015 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Die Vermessung des Unbekannten“ (2021) und „Das Inflationsgespenst“ (2022).

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Das Wort von der „Zeitenwende“, das Olaf Scholz kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine geprägt hat, ist inzwischen im englischen Wortschatz angekommen. Doch steht es dort für etwas spezifisch Deutsches, wie Kindergarten, Angst oder Bockwurst. Es markiert das jähe Erwachen des deutschen Michel in einer veränderten Welt, die er sich lange schöngeträumt hatte. Andere waren wacher und hatten das Unheil schon länger kommen sehen. 

Nun dräut dem Michel, dass die „Zeitenwende“ keine Kehrtwende war, nach der es in eine andere Richtung auf neuem Kurs geradlinig weitergeht. Der Blick in die USA lässt ihn ahnen, dass er, statt eine „Wende“ vollzogen zu haben, auf einer Achterbahn fährt, an deren Endstation ihn eine ganz andere Welt erwarten dürfte. Die Rede ist hier von einer Welt, in welcher der nächste Präsident der USA erneut Donald Trump heißen könnte.

Trump, der neue Pulcher

Damit muss man ernstlich rechnen. Denn trotz seiner zahlreichen laufenden Strafverfahren ist Trumps Nominierung zum Kandidaten der Republikanischen Partei für die nächste Präsidentschaftswahl im November so gut wie sicher. Und die gegenwärtigen Wahlumfragen legen nahe, dass er erneut ins Weiße Haus einziehen könnte. Doch anders als zu Beginn seiner ersten Amtszeit wären er und seine Anhänger bestens vorbereitet und würden die zweite Amtszeit nutzen, die amerikanische Politik nach innen und außen grundlegend zu verändern.

Trump ist kein kühl kalkulierender Autokrat wie der chinesische Staatschef Xi Jinping oder der russische Präsident Wladimir Putin. Vielmehr hat er sich seit seinem Aufstieg zur Macht als ein impulsiver und unberechenbarer Narzisst erwiesen. Mein Kollege Norbert Tofall hat ihn schon vor Jahren mit dem römischen Volkstribun Clodius Pulcher verglichen, der gegen die etablierten Eliten kämpfte, obwohl er diesen angehörte und sich für alle sichtbar noch schamloser als sie bereicherte. Seinen politischen Erfolg erzielte Pulcher gerade damit, dass er diese Schamlosigkeit und die Verachtung der tradierten Sitten und Regeln zum Prinzip erhob. 

Wie Pulcher stachelt Trump die Masse zum Aufstand gegen die Eliten an, indem er die maßgeblich von diesen Eliten geformte Ordnung zerstört. Aus Angst, dabei selbst zerstört zu werden, folgt ihm die Elite der Republikanischen Partei. Viele Wähler, möglicherweise sogar die Mehrheit, sehen in ihm den Kämpfer gegen einen von einflussreichen Teilen der Demokratischen Partei vorangetriebenen Umbau der Gesellschaft, in welcher der „amerikanische Traum“ vom eigenverantwortlichen Aufstieg zum wirtschaftlichen Wohlstand durch einen von einflussreichen gesellschaftlichen Minderheiten vorgeschriebenen Lebensplan ersetzt werden soll. 

Wider die „woke“ Gesellschaft

In der „woken“ („erwachten“) Gesellschaft sollen früher aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht und sexueller Orientierung benachteiligte Minderheiten systematisch bevorzugt und die weiße, heterosexuelle Mehrheit wegen der Vergehen ihrer Vorfahren benachteiligt werden. Die woke Gesellschaft wird an den Universitäten konzeptionell vorangetrieben und vorexerziert. Und sie wird von Politikern und ihnen nahestehenden Medien vertreten, welche die Rolle des Opferanwalts für die diversen Minderheiten als Geschäftsmodell entdeckt haben. Sie sind zu „Opferentrepreneuren“ (Sandra Kostner) geworden. 

Dabei werden die Forderungen der selbsternannten Opferentrepreneure immer schriller, so dass sogar (mehrheitlich katholische) spanisch-stämmige Wähler und (von aggressivem Feminismus frustrierte) schwarze junger Männer in das Lager von Donald Trump überlaufen. Dem sichtlich gealterten Präsidenten Joe Biden trauen viele nicht mehr zu, die immer tiefer werdende Spaltung der Gesellschaft zu überbrücken und das Land durch eine immer gefährlichere Welt zu steuern. Von Trump erwarten sie, dass er mit der Schläue des windigen Geschäftsmanns zu ihrem Vorteil handelt.

Der windige Geschäftsmann und „Il Principe“

Der „windige Geschäftsmann“ verachtet jede Ordnung und hält sich an keine Regel, wenn es um seinen Vorteil geht. Damit hat er eine gewisse Ähnlichkeit mit dem „Principe“ des Nicolò Machiavelli. Machiavellis „Fürst“ handelt in einem Spannungsfeld von menschlichen und animalischen Beweggründen. Da ein Fürst genötigt sei, so Machiavelli, die Rolle eines wilden Tieres zu spielen, müsse er sich den Fuchs und den Löwen gleichermaßen zum Muster nehmen. Nur den Löwen spielen zu wollen, würde bedeuten, dass er seine Sache sehr schlecht verstünde, denn der Löwe entgehe den Netzen nicht. Auch der Fuchs könne dem Wolf nicht entwischen. Daher müsse der Fürst nicht nur ein Fuchs sein, um die Schlingen zu wittern, sondern auch ein Löwe, um die Wölfe zu schrecken.

Ein kluger Fürst würde seine Versprechen nie halten, wenn diese ihm schädlich seien oder die Umstände, unter denen er sie gab, sich geändert hätten. Da alle Menschen böse und schlecht seien, könne man getrost davon ausgehen, dass auch die andere Seite unter diesen Umständen ihr Wort nie halten würde. 

„Nur muss man es gleich dem Fuchs verstehen, seine Rolle durch geschickte Wendungen meisterhaft zu verstecken. Denn die Menschen sind so einfältig und so gewöhnt, den herrschenden Verhältnissen nachzugeben, dass der, welcher betrügen will, immer Leute findet, welche sich betrügen lassen.“ 

Am Ende zählt bei Machiavelli nur der Erfolg: 

„Man beurteilt die Handlungen aller Menschen, besonders aber die Handlungen der Fürsten, welche keinen Richter über sich haben, bloß nach dem Erfolg. Es muss also des Fürsten einziger Zweck sein, sein Leben und seine Herrschaft zu erhalten. Man wird alle Mittel, deren er sich hierzu bedient, rechtfertigen, und jeder wird ihn loben, denn der Pöbel hält sich nur an den äußeren Schein und beurteilt die Dinge nur nach ihrem Erfolg. Nun ist aber fast nichts in der Welt als Pöbel, und die bessere Minorität entscheidet bloß da, wo die Majorität nicht zu entscheiden weiß.“ 

Dann heiligt der Zweck die Mittel 

Anders als Machiavellis Fürst, der die Ruchlosigkeit (unter seiner Anleitung) erst erlernen und dann planmäßig umsetzen muss, handelt der windige Geschäftsmann intuitiv ruchlos. US-Präsident Donald Trump würde weder eine neue Ordnung schaffen wollen, wie Xi Jinping, noch mythische Großmachtsambitionen hegen, wie Wladimir Putin, oder Machiavellis Anleitung bewusst folgen, sondern er würde intuitiv so handeln, wie dieser es in seiner Ausführung zum Worthalten beschrieben hat. 

Unter Trumps Herrschaft würde die auf Regeln fußende Wirtschaftsordnung des liberalen Rechtsstaats durch eine willkürliche Günstlingswirtschaft ersetzt. Unternehmer, Manager und Vertreter gesellschaftlicher Interessenverbände müssten um die Gunst des Präsidenten buhlen, um ihre Ziele zu erreichen. Und der Präsident würde nach Lust und Laune – und mit der Schläue des Fuchses – mal hier eine Gunst gewähren oder dort versagen. 

Auf die gleiche Weise würde er auch die Beziehungen zu anderen Ländern gestalten. Wo es von Vorteil ist, tritt er freundlich auf, wo Nachteile drohen, wird er zum Gegner. Dann heiligt der Zweck die Mittel und weder Versprechen noch Verträge haben einen Wert. Zur intuitiven Schläue des Fuchses und Mut des Löwen käme bei Donald Trump noch die Emotionalität des menschlichen Narzissten.

Hobbes’ Welt

Gemäß dem englischen Staatsphilosophen Thomas Hobbes ist im „Naturzustand (...) der Mensch dem Menschen ein Wolf“ –  das heißt, ohne staatliche Ordnung kämpft jeder gegen jeden. Auf der Ebene der zwischenstaatlichen Beziehungen wurden immer wieder Versuche unternommen, den „Naturzustand“ in einer „Friedensordnung“ zu bändigen. In seinem klugen Buch „Welt in Aufruhr“ hat der Politikwissenschaftler Herfried Münkler die im Laufe der Geschichte entstandenen Friedensordnungen beschrieben. Was Olaf Scholz mit „Zeitenwende“ bezeichnete, war demnach die jähe Erkenntnis, dass die unipolare Ordnung mit den USA als Ordnungshüter, die nach dem Fall des Sowjetimperiums zeitweilig aufschien, endgültig gescheitert war. 
 

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Mit Joe Biden im Weißen Haus schien es jedoch möglich, eine multipolare Ordnung zu schaffen, in der ein militärisches Patt verhinderte, dass die verschiedenen Pole einander an die Gurgel gingen. Russlands Überfall auf die Ukraine hat diese Ordnung schwer beschädigt. Sowohl Biden als auch Scholz scheinen sie dadurch noch retten zu wollen, dass sie der Ukraine zum Überleben, aber nicht zum Sieg über Russland verhelfen. Olaf Scholz’ Taktik der verzögerten Hilfeleistungen – zuletzt seine Weigerung, der Ukraine weiterreichende Taurus-Raketen zu liefern – stehen beispielhaft dafür.

Donald Trumps Herrschaft würde jedoch dazu führen, dass die multipolare Ordnung in eine „Anarchie der Staatenwelt“ (Münkler) zerfällt. Denn Trump würde mit jedem, ob liberalem Rechtsstaat oder autoritärem Schurkenstaat, ein Geschäft machen, wenn es ihm nur im Augenblick nützlich erscheint. Mitte Februar offenbarte er seine Vorgehensweise, als er auf einer Wahlkampfveranstaltung ankündigte, Nato-Bündnispartnern im Falle eines russischen Angriffs nicht beizustehen, wenn diese ihre Verteidigungsausgaben nicht auf das Mindestziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts angehoben hätten. Dann würde er Russland „sogar dazu ermutigen, zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen“. Mit ihm würden die USA daher zur losen „Dicken Berta“, einer auf dem Deck des Weltzerstörers im Seegang herumschliddernden Riesenkanone. Auf Deck würde Thomas Hobbes’ „Naturzustand“ herrschen, und der US-Präsident würde – ähnlich wie Machiavellis Fürst, nur weniger überlegt – mit allen Mitteln – einschließlich des Wort- und Vertragsbruchs – nur seinen Vorteil suchen.

Europa allein zu Haus

Für eine „Anarchie der Staatenwelt“ ist Europa, nachdem es die Katastrophen der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hinter sich hat, denkbar schlecht gerüstet. Das europäische Einigungswerk entstand nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Schirmherrschaft der USA. Die Stationierung amerikanischer Truppen in Westdeutschland schützte nicht nur Westeuropa vor der sowjetrussischen Bedrohung, sondern war auch die Versicherung gegen eine erneute Bedrohung westeuropäischer Länder durch Deutschland. Geschützt vor sowjetischem Imperialismus und potenziellem deutschen Revanchismus konnten sich die Europäer auf die Mehrung ihres wirtschaftlichen Wohlstandes konzentrieren und sich mit Inbrunst ihren kleinteiligen Streitigkeiten hingeben. Ohne die schützende Hand der USA steht Europa in einer Anarchie der Staatenwelt nackt da.

Europa steht der Test bevor, ob es den Willen zur eigenen Verteidigung aufbringt oder in Teile zerfällt, die sich Russland unterwerfen. Um den Test zu bestehen, müssten die Staaten der Europäischen Union im Verbund mit Großbritannien alle verfügbaren Ressourcen zur schnellen Herstellung der Kriegsfähigkeit mobilisieren – unter anderem zum Beispiel dadurch, dass die Europäische Union noch nicht verausgabte Mittel des Next-Generation-Fonds für die Rüstung statt den „Green Deal“ umwidmet. 

Das heißt aber nichts anderes, als dass Europa sich neu erfinden müsste. Heute gleicht es einer fetten Tischgesellschaft, deren Mitglieder vornehmlich damit beschäftigt sind, die Rechnungen für die Festmahlzeiten auf andere Mitglieder abzuwälzen, oder sich das nötige Geld von der gemeinsamen Zentralbank drucken zu lassen. Damit Europa aber in Hobbes Welt der Anarchie unter Staaten in Freiheit überlebt, müsste es sich schleunigst zu einer entschlossenen „Hard Power“ wandeln. Bisher fehlt es jedoch sowohl am gesellschaftlichen Bewusstsein dafür als auch an Politikern für die Umsetzung. Statt uns auf Hobbes Welt vorzubereiten, träumen wir lieber weiter von der Welt von gestern.
 

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