Von der Leyen trifft sich mit Boris Johnson - Die neuen Leiden der Mrs. Europe

Ein Jahr nach ihrem Amtsantritt in Brüssel läuft es nicht rund für die erste deutsche Frau an der Spitze der EU-Kommission. Dabei wurde Ursula von der Leyen schon als „Mrs. Europe“ gefeiert. Doch nun droht eine harte Landung, nicht nur beim Brexit.

Wenn von der Leyen heute Boris Johnson trifft, wird sie von keinem Zettel ablesen können / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

So erreichen Sie Eric Bonse:

Anzeige

Ende Juli war für Ursula von der Leyen die Welt noch in Ordnung. Die erste Welle der Corona-Pandemie war abgeebbt, der EU-Gipfel hatte ein 750 Milliarden Euro schweres Hilfsprogramm aufgelegt. „Es ist ein historischer Moment für Europa“, freute sich die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission. Noch nie hatten die Staats- und Regierungschefs so viel Geld auf einen Schlag bewilligt.

Von der Leyen war auf dem Weg zur mächtigsten EU-Politikerin aller Zeiten, sie hatte sich die Kontrolle über den neuen, schuldenfinanzierten Hilfsfonds gesichert. Das britische Magazin The Critic porträtierte die CDU-Politikerin als „Mrs. Europe“, die die EU zu neuen Ufern führe. Gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel, die am 1. Juli den Ratsvorsitz übernommen hatte, schien alles möglich.

Viel Gegenwind

Vier Monate später darf das deutsche Damen-Doppel schon froh sein, wenn sich wenigstens ein Teil des Erreichten retten lässt. Der „historische“ Corona-Hilfsfonds steht ebenso auf der Kippe wie das neue EU-Budget. Ungarn und Polen haben ein Veto eingelegt, weil sie die mit dem Finanzpaket verbundenen Rechtsstaats-Klausel ablehnen. Zu allem Überfluss drohen auch noch die Verhandlungen mit Großbritannien über einen Post-Brexit-Deal zu scheitern.

Doch von der Leyen lässt sich nichts anmerken. Kurz vor einem womöglich entscheidenden Treffen mit dem britischen Premier Boris Johnson präsentiert sie sich dem Publikum, als laufe alles nach Plan. Ein virtuelles Grußwort an den Digitalgipfel in Berlin, eine Video-Ansprache beim EU-Gesundheitsgipfel in Brüssel. Die Behördenchefin beißt die Zähne zusammen und macht weiter, als sei nichts geschehen. Bloß nichts anmerken lassen, heißt wohl die Devise.

Das Leiden von der Leyen

Wie sie wirklich denkt, verrät nur ein unscheinbarer Tweet. „Das Jahr, das hinter uns liegt, war ein Jahr des Durchhaltens“, heißt es da. „Wir haben uns an unvorhergesehene und dramatische Umstände angepasst und alles getan, um Europa so schnell wie möglich aus der Krise zu holen.“ Manchmal lässt sich das Leiden auch aus einem einzigen Satz herauslesen. Von der Leyen muss in den letzten zwölf Monaten viel gelitten haben.

Es fing schon kurz nach dem Start am 1. Dezember 2019 an. Das Europaparlament, das sie nach ihrer Nominierung massiv angefeindet hatte, empfing die neu gewählte Kommissionschefin mit der Ausrufung des „Klimanotstands“. Von der Leyen parierte das mit ihrem „European Green Deal“ und dem Versprechen, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Damit konnte sie sogar ihre ärgsten Kritiker bei den Grünen und den Sozialdemokraten für sich gewinnen.

Lässt sich nicht unterkriegen

Doch für einen Schulterschluss mit dem Parlament, wie unter Amtsvorgänger Jean-Claude Juncker, hat es nicht gereicht. Kaum, dass ein wenig Ruhe eingekehrt war in Brüssel, stellte die Corona-Pandemie alles infrage. Die studierte Medizinerin von der Leyen hatte die Krise zu spät kommen sehen und mußte hilflos mitansehen, wie die EU-Staaten die Grenzen schlossen und Solidarität verweigerten. Es war eine der dunkelsten Stunden der EU-Geschichte.

Doch von der Leyen ließ sich nicht unterkriegen. Wie bei ihrer Nominierung 2019 setzte sie auf Kanzlerin Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron – und gewann. Das deutsch-französische Paar schlug nach quälenden wochenlangen Beratungen einen Corona-Hilfsfonds von 500 Milliarden Euro vor, von der Leyen setzte nochmal 250 Milliarden Euro drauf. Dass sie damit beim EU-Gipfel im Juli durchkam, ist ihr bisher größter Erfolg.

„Bad cop“

Doch nun steht die „Next Generation EU“ – so der offizielle Titel des Programms – auf der Kippe. Mit ihrem Veto haben Ungarns Regierungschef Viktor Orban und Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die Erfolge der letzten Monate infrage gestellt. Mit ihrer sturen Haltung zum Rechtsstaat fordern sie die EU zudem an einer besonders sensiblen Stelle heraus – bei den Grundwerten der Union.

Von der Leyen kommt nun die undankbare Rolle zu, den „bad cop“ zu spielen – und Orban und Morawiecki die Folterwerkzeuge zu zeigen. Zur Not könne die „Next Generation EU“ auch ohne Ungarn und Polen kommen, heißt es in der Brüsseler Behörde. Entsprechende Pläne werden schon ausgearbeitet – für den Fall, dass die beiden Quertreiber nicht einlenken und es beim EU-Gipfel zu keiner Einigung kommt.

Brexit mit „No Deal“?

Die Kommissionschefin muss sich aber noch an einer weiteren Front bewähren: Beim Brexit und dem Streit um ein neues Handels- und Partnerschaftsabkommen. Der Deal sollte schon im Oktober fertig sein, nun läuft die Zeit davon. Denn am 31. Dezember endet die Übergangsfrist, bei der trotz Brexit alles beim Alten bleibt. Danach droht ein harter Bruch – wenn man sich nicht doch noch einigt.

EU-Verhandlungsführer Michel Barnier hat kaum noch Hoffnung. Ein „No Deal“ sei mittlerweile wahrscheinlicher als eine Einigung, sagte der Franzose nach der letzten Verhandlungsrunde in Brüssel, die EU sollte ihre Notfallpläne aktivieren. Doch genau das will Kanzlerin Merkel vermeiden. Sie drängt auf einen Abschluss in letzter Minute – nicht zuletzt, um den Handel mit Großbritannien zu retten.

Doch nicht Merkel, sondern von der Leyen soll das Wunder bewirken. Am Mittwochabend trifft sie sich zum „Dinner for two“ mit Johnson in Brüssel. Wenn das Gespräch gut läuft, kann Merkel beim EU-Gipfel am Donnerstag den Erfolg einfahren. Wenn es schlecht läuft, dann bleibt es an der Kommissionschefin hängen. Sie wollte die EU retten – und muß nun immer neue Probleme lösen und Krisen durchleiden.

Anzeige