eu-ratsvorsitz-deutschland-angela-merkel-kroatien
2020 ist es Fünf vor Zwölf für Bundeskanzlerin Angela Merkel / picture alliance

Deutscher EU-Ratsvorsitz - Merkels letztes Mal in der Manege

Nach dem kroatischen EU-Ratsvorsitz folgt im zweiten Halbjahr 2020 Deutschland. Die deutsche Bundeskanzlerin muss dann den Brexit, den „Green Deal“ und den versprochenen Aufbruch in Europa managen. Es geht um nicht weniger als ihr europapolitisches Erbe

Autoreninfo

Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

So erreichen Sie Eric Bonse:

Eigentlich ist es fast schon ein Ritual: Jedes halbe Jahr wechselt in der Europäischen Union der sogenannte Ratsvorsitz. Alle sechs Monate reist die EU-Kommission in eines der (noch) 28 Mitgliedsländer, um die Regierung zur kommenden Ratspräsidentschaft zu beglückwünschen und Prioritäten abzustimmen. Nun ist Kroatien dran, das jüngste EU-Mitglied. Am 9. Januar werden Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihr Team deshalb in Zagreb erwartet. Ein Gala-Konzert im   Nationaltheater steht auf dem Programm, danach geht es zu Gesprächen mit dem kroatischen Premierminister Andrej Plenković.

Dieses Mal aber ist das Ritual symbolisch besonders aufgeladen. Denn Plenković hat seine Führungsrolle zu einer Frage der nationalen Ehre gemacht. Dass seine Regierung für sechs Monate die Geschicke der EU leiten darf, sei der „größte Erfolg seit der Gründung des kroatischen Staates“, ließ er wissen. Der konservative Premier will die glücklosen Jahre vergessen machen, in denen Kroatien eher ein Schattendasein fristete. Nach dem EU-Beitritt 2013 ging fast alles schief: Die Wirtschaft schwächelte, zehntausende Kroaten wanderten aus, die Zustimmungswerte für die EU gingen in den Keller.

PR-Sprüche und Selbstüberschätzung

Damit soll nun Schluß sein. Andrej Plenković hat sich und Europa große Ziele gesetzt. Seine Regierung verspricht „ein Europa, das wächst und sich entwickelt; ein Europa, das verbindet; ein Europa, das schützt und ein Europa, das eine globale Rolle spielt.“ Es klingt nach den PR-Sprüchen der neuen EU-Kommission; nur von der Leyens umstrittener Slogan „European Way of Life“ fehlt. Es klingt aber auch nach Selbstüberschätzung. Denn natürlich kann das kleine Kroatien diese großen Ziele nie und nimmer in den nächsten sechs Monaten umsetzen.

Die Regierung in Zagreb kann schon zufrieden sein, wenn sie wenigstens ihr wichtigstes Ziel erreicht, die stockende EU-Erweiterung auf dem Westbalkan voranzutreiben. Frankreich hat die Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien blockiert, Kroatien will den Weg dafür hingegen wieder frei machen.

Das entscheidendere zweite Halbjahr 2020

Alle anderen wichtigen Themen – vom „European Green Deal“ bis zum neuen EU-Budget für die Jahre 2021 bis 2027 – dürften erst im zweiten Halbjahr entscheidungsreif werden, dann unter deutschem Ratsvorsitz. Auch die entscheidende zweite Phase des Brexit wird unter Angela Merkels Ägide fallen.

Die kroatische EU-Präsidentschaft wird in Brüssel deshalb nur als eine Art Vorspeise betrachtet; das Hauptgericht kommt unter deutschem Vorsitz am 1. Juli. Fast sieht es so aus, als seien kleine EU-Länder wie Kroatien zu einer Kellnerrolle verdammt. Als Chefs de Cuisine rühren immer noch die großen Staaten in den großen Töpfen – vor allem Deutschland.

So wurde unter dem vergangenen deutschen EU-Vorsitz im Jahr 2007 die langjährige Blockade bei der EU-Reform beendet. Mit der „Berliner Erklärung“ gelang es Angela Merkel, das Nein der Franzosen und Niederländer zum gescheiterten Verfassungsvertrag zu überwinden und den Weg für den heute noch gültigen Lissabon-Vertrag frei zumachen.

Merkel mit Vollgas auf der Bremse

Auch 13 Jahre später ruhen wieder große Erwartungen auf Merkel. Gemeinsam mit ihrer Parteifreundin von der Leyen soll sie nicht nur den „Green Deal“ besiegeln und den Brexit abschließen, sondern auch den längst überfälligen „Aufbruch für Europa“ liefern. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron spricht sogar von einer „Renaissance“.

Doch die wird aber nur möglich sein, wenn alle an einem Strang ziehen – Ratsvorsitz, EU-Kommission und Mitgliedsländer. Ein Land allein – und sei es so mächtig wie Deutschland – kann den Karren nicht aus dem Dreck ziehen und die bei der Europawahl 2019 geweckten überhohen Erwartungen erfüllen. Merkel ist kein Messias, zuletzt stand sie in der Europapolitik fast nur noch auf der Bremse.

Der deutsche Ratsvorsitz wäre zwar eine große – und vielleicht die letzte – Chance für die Kanzlerin, ihre magere europapolitische Bilanz aufzubessern. Er birgt aber auch große Risiken. Wenn sich die Kanzlerin allzu eng mit von der Leyen verbündet, dürfte schnell wieder die Angst vor der „deutschen Übermacht“ aufkommen. Selten war Deutschland europapolitisch so exponiert wie 2020.

Kann Deutschland seinen Rabatt behalten?

Zum anderen muss das ratsvorsitzende Land immer auch Kompromisse eingehen – und die könnten für Deutschland teuer werden. Dies gilt insbesondere für das künftige EU-Budget. Bisher nimmt Merkel noch eine harte Haltung ein: Der EU-Beitrag soll auf ein Prozent der Wirtschaftsleistung strikt begrenzt werden, der deutsche Rabatt soll auch nach dem Brexit weiter gelten.

Doch dies kann, da ist man sich in Brüssel sicher, nicht das letze Wort sein. Merkel wird tiefer in die Tasche greifen müssen, um Zustimmung zu teuren Vorhaben wie dem „Green Deal“ zu erkaufen und den Widerstand aus Osteuropa zu brechen. Dagegen kann Andrej Plenkovic auf Zeit spielen – und versuchen, sich eine gute Ausgangslage für das Endspiel zu sichern.

Letzter europapolitischer Akt

All das zeigt, dass der Ratsvorsitz der Europäischen Union ein Balanceakt ist ist. Er erlaubt es einem EU-Land zwar einerseits, politische Prioritäten zu setzen und seine Herzensanliegen voranzubringen. Er beschränkt andererseits jedoch die eigenen Handlungsmöglichkeiten; nationale Egoismen müssen für sechs Monate zurückstehen.

In Brüssel wird der Ratsvorsitz denn auch gern als eine Art Reifeprüfung betrachtet. Ob Kroatien sie besteht, ist längst nicht ausgemacht. Aber auch Deutschland könnte überfordert sein. Nach der Europawahl 2019 mit seinen hochfliegenden Versprechen und ungedeckten Schecks wird 2020 zum Jahr der Wahrheit – auch für Merkel.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Heidemarie Heim | So., 5. Januar 2020 - 15:34

In Sachen Rücknahme nationaler Interessen und im schmieden von Kompromissen haben Frau Dr.Merkel und Gefolge die Reifeprüfung längstens abgelegt und mit Bravour bestanden. Deutsche Übermacht?
Höchstens wenn es um den Haushaltsbeitrag geht;-)
Das wir einen erklecklichen Teil der durch den BREXIT irgendwann auftretenden finanziellen Verlust beflissen tragen werden wie schon angekündigt, wird die übrigen Gemüter bestimmt
beruhigen. Denn mit den Briten fällt auch die letzte Bastion, bzw. verlassen die letzten Mitstreiter Deutschlands das Feld gegen die ausgabefreudigeren Schuldenmacher Europas.
Den Rest besorgt ganz in deren Sinn weiterhin die EZB,die in Sachen hochfliegender Versprechen (Null-Zinspolitik bis in alle €-Ewigkeit!) und ungedeckter Schecks ganz sicher ihre guten Erfahrungen an Frau Kanzlerin und die Kommission weitergibt. Was die Zustimmung einzel auftretender Pessimisten unter den Wählern betrifft,so kennen wir den Umgang/Verfahren damit bestens aus 2019!
Alles gut!

Ich empfehle zu diesem Thema den Artikel in der Wirtschaftswoche vom 27.12. 2019 mit dem Titel „Wie steht Deutschland Ende 2019 da“
Dort werden meiner Meinung nach unsere gegenwärtigen Probleme gut zusammen gefasst.
Ich hoffe nur, dass die nun anbrechenden 20er Jahre besser werden. Aber dies erreichen wir nicht mit rechten Hass- und Gewaltparolen oder linken Träumereien, sondern nur mit Innovationen und harter konzeptioneller Arbeit.

Der Haß ist immer auf Seiten der Revoluzzer. Ob in Kirche oder Gesellschaft.
Ich bin seit 1956 ideologieresistent und jetzt 77..
Die Konservativen (Schlafmützen) haben nie begriffen, daß die Vernunft k e i n Selbstläufer ist. Die Angreifer bestimmen das Klima. Und es geht immer gegen die 'Wahrheit

In den letzten Jahren wurden in der Bundesrepublik gravierende politische Fehlentscheidungen getroffen. Kurz vor Weihnachten bekam Frau Merkel Besuch von „Knecht Rupprecht“ in Form von Kommentaren in renommierten internationalen Zeitungen, die ihr gehörig die Leviten lasen. Die Bundesrepublik steht vor einer der größten wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Herausforderungen seiner Geschichte. Viele aus dem Ausland können kaum verstehen, warum sich dieses Land noch eine Kanzlerin „leistet“, „die nicht sieht, was sie anders machen sollte“. In Deutschland ist eine bedenkliche Entwicklung erkennbar. Während sich die politisch gemäßigten Bürger aufgrund der überhitzten Debatten zunehmend zurückziehen, bekommen die Polarisierer allmählich Oberwasser. Die Bürger haben einen Anspruch auf eine kompetente Führung, die in der Lage ist, die Gesellschaft wieder zu versöhnen. Wie soll Frau Merkel Europa führen, wenn sie nicht einmal in der Lage ist, den Laden zu Hause zusammenzuhalten?

Christoph Kuhlmann | So., 5. Januar 2020 - 16:03

Wie sagte Gerhard Schröder doch einst: Die Zeiten in denen jeder dritte Euro, der in Europa verbrannt wird, aus Deutschland kommt sind vorbei.

Bernd Muhlack | So., 5. Januar 2020 - 16:22

Ein tolles Bild!
"Merkel ist kein Messias" heißt es in dem Artikel.
Das trifft zu, denn der Messias sitzt im Hintergrund zwischen Merkel und vdL.
Der Knabe passt prima zum "Das letzte Abendmahl" von da Vinci.

Im Übrigen nur soviel: Deutschland wird sich zu Tode zahlen!

Rob Schuberth | So., 5. Januar 2020 - 20:00

Antwort auf von Bernd Muhlack

Das mit dem Messias haben Sie gut bemerkt.
Schätze mal, dass das dem Autor entgangen ist.

Ich frage mich ob es wirklich das Ziel v. Frau Merkel war/ist uns als Land so zu destabilisieren, wie sie es seit 2015 noch immer zulässt.
Kommt nun bald noch schwarz/grün als Regierung dazu, dann wird es doppelt teuer.
Durch den Wegfall der Briten(deren fin. Ausfall wir am stärksten kompensieren werden) u. die dann kommende Öko-Diktatur.

Was hat diese Frau unserem Land nur angetan.

Bernd Muhlack | So., 5. Januar 2020 - 22:46

Antwort auf von Rob Schuberth

Herr Schuberth, der "Messias" fiel mir erst während der Lektüre des Artikels ein.

Spontan ob des Bildes: Paulchen Panther!
"Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät?
Stimmt es, das es sein muss, dass ich wirklich gehen muss?
Heute ist nicht alle Tage, ich komm wieder, keine Frage!"

Gott bewahre, obwohl es keinen Gott gibt!

Mögen die Hells Bells von AC/DC wahrhaftig das Finale einläuten!
Dong, Dong, …
( …und sie ertönten zur 5. Vereidigung alternativlos im Reichstagsgebäude!)

Rob Schuberth | So., 5. Januar 2020 - 19:54

Warum wird hier wieder die Gemeinschaft der EU-Länder mit Europa gleichgesetzt?

Das ist falsch u. sollte gerade diesem Autor eigtl. nicht unterlaufen.

Ihren "Stempel" hat Frau Merkel bereits im Sept. 2015 der EU aufgedrückt.
Und daran, und nicht an ihrer letzten Ratspräsidentschaft, wird man sie ewig messen und in schlechter Erinnerung behalten.

Denn sie hat damit sehr gr. Schaden angerichtet.

Gerhard Lenz | Mo., 6. Januar 2020 - 10:22

Antwort auf von Rob Schuberth

Die EU ist nun mal die politische Vereinigung Europas. Selbst wenn es noch dreieinhalb bis fünf Staaten gibt, die kein Mitglied sind.

Norbert Heyer | Mo., 6. Januar 2020 - 06:59

Im zweiten Halbjahr dieses Jahres wird also Deutschland die Präsidentschaft der EU ausüben. Ohne sich weit aus dem Fenster zu lehnen: Das wird für uns sehr teuer. Nachdem der letzte Mitstreiter jetzt „brexit“, stehen wir ziemlich im Regen. Seinen Mitgliedsbeitrag werden wir -wie schon vorauseilend verkündet- zu weiten Teilen übernehmen. Dazu dann das von der ehemaligen Verteidigungsministerin verkündete milliardenschwere grüne Umgestaltungsprogramm, das wir weitgehend finanzieren, da die Begeisterung der anderen EU-Staaten sich hier in engen Grenzen hält. Die nehmen uns in der Mehrzahl sowieso nicht mehr ernst- Hauptsache, wir zahlen die Zeche. Wenn eines Tages alle unsere finanziellen Verpflichtungen eingelöst werden müssen, werden wir die wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten der neueren EU-Mitgliedsländer noch unterbieten. Frau Merkel wird die letzte große Chance, ihrer Heimat weiteren Schaden zuzufügen, nicht ungenutzt lassen. Die EU rettet sie damit aber auch nicht mehr.

helmut armbruster | Di., 7. Januar 2020 - 09:35

So stellt sich die EU dem Betrachter dar.
Ein Vergleich mit dem Straßenverkehr verdeutlicht die Sache:
Es gibt die StVO mit Regeln und Verboten, aber trotzdem fährt jeder wie er will und es gibt keine Polizei, die Regelverstöße ahndet.
Angenommen es wäre tatsächlich so, dann könnte man das Autofahren einstellen, denn im allgemeinen Chaos käme man nirgendwo hin.
Dieses Bild passt für die EU. Und solange es nicht gelingt eine EU-Ordnung zu etablieren, die von allen Mitgliedern respektiert und umgesetzt wird, so lange können wir von der EU nicht viel erwarten.
Merkel wird das kaum ändern können und ich glaube nicht einmal, dass sie die Absicht hat etwas zu ändern.