Ukraine-Krieg - Putins Kinderfrau

Als „Bevollmächtigte für Kinderrechte“ ist Maria Lwowa-Belowa verantwortlich für die Verschleppung ukrainischer Kinder – der Haager Gerichtshof will ihr den Prozess machen.

Maria Lwowa-Belowa wird direkt von Wladimir Putin beauftragt / Creative Commons
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Autoreninfo

Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Vermutlich ist sich Maria Lwowa-­Belowa keiner Schuld bewusst. Vermutlich betrachtet sie den Haftbefehl des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag für sie als große Ungerechtigkeit, als Ergebnis einer bösen Intrige des dekadenten Westens, der Russland erniedrigen, gar zerstören wolle. Dabei hat die 38-Jährige, die den offiziellen Titel „Bevollmächtigte im Amt des Präsidenten der Russischen Föderation für die Rechte des Kindes“ trägt, nur Gutes gewollt, zumindest so, wie sie es versteht – und wie ihr oberster Dienstherr im Kreml es ihr aufgetragen hat. Wladimir Putin ist eigentlich die Person, dem die Haager Richter wegen russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine den Prozess machen wollen, sie ist nur eine Nebenfigur.

Lwowa-Belowa beteuert, sie habe mit den allerbesten Absichten die Rettung von Waisenkindern aus den Kampfzonen in der Ukraine organisiert. Im Haager Schriftsatz ist jedoch von Verschleppung und Zwangsadoption die Rede, ganz abgesehen davon, dass es sich in vielen Fällen nicht um Waisen handelt, sondern um ukrainische Kinder, die durch die Kriegsereignisse von ihren Eltern getrennt worden sind. Im Lichte des Völkerrechts handelt es sich um Kriegsverbrechen, die Behörden in Kiew haben knapp 20 000 Fälle dokumentiert.

Mit dem Segen der Kirche

Die Argumentation Lwowa-Belowas, dass die betreffenden Regionen ja gar nicht mehr ukrainisches Staatsgebiet seien, weil die Bevölkerung für den Anschluss an die Russische Föderation gestimmt habe, weist Den Haag zurück: Das Völkerrecht verbietet Annexionen sowie einseitig durchgeführte Wahlen und Referenden in Zonen militärischer Konflikte.

Putin allerdings behauptet, die ukrainische Nation sei ein Konstrukt, das ursprünglich der Revolutionär Lenin und in der aktuellen Neuauflage der Westen geschaffen habe. Diese Argumentation, von der Putin offenkundig fest überzeugt ist, hat sich auch Lwowa-­Belowa zu eigen gemacht: Es seien ja eigentlich russische Kinder, die sie gerettet habe. Sie kann sich dabei auch auf keinen Geringeren als den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. berufen, der den „heiligen Krieg gegen die Faschisten in Kiew“ unterstützt. Kyrill lobpreist die imperialistischen Ambitionen Putins, weil er die Orthodoxe Kirche der Ukraine, die sich vom Moskauer Patriarchat losgesagt hat, wieder eingemeinden möchte. 

 

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Das Gebot der christlichen Nächstenliebe sei ihr Leitstern, betont Lwowa-­Belowa. Ihr Mann, mit dem sie neben den eigenen fünf noch fünf weitere Kinder adoptiert hat, ist orthodoxer Priester. Ursprünglich hatte sie Dirigentin werden wollen, an der Musikakademie der Provinzstadt Pensa bestand sie das Abschlussexamen im Fach „Leitung eines Unterhaltungsorchesters“. Doch sie fand nur eine Stelle als Gitarrenlehrerin in einer Musikschule. In dieser Zeit begann ihr Einsatz für behinderte Kinder, mit Erfolg warb sie für die Überwindung des starren, aus den Sowjetzeiten stammenden Systems, nach der Invaliden jeder Art in Heimen weitgehend isoliert von der Gesellschaft leben müssen. Sie setzte bei den örtlichen Behörden mehrere Häuser für das moderne Konzept vom „gemeinsamen Wohnen und Lernen“ durch.

Das Corpus Delicti

Diese Modellversuche fanden die Aufmerksamkeit führender russischer Sozialpolitiker – so begann ihr politischer Aufstieg, der sie bis ins Moskauer Präsidialamt führte. In sozialen Medien berichtete sie stolz von einer Gruppe „geretteter Kinder“: Diese hätten erst trotzig die ukrainische Nationalhymne gesungen, aber nach mehreren Wochen liebevoller Betreuung ihre „russische Seele“ entdeckt. Menschenrechtler sprechen von Gehirnwäsche, rund 50 Heime mit zwangsweise dorthin gebrachten ukrainischen Kindern sind mittlerweile bekannt. Auf den Tagesplänen stehen nicht nur viele Stunden des Schulfachs „russische Geschichte und Kultur“, sondern auch vormilitärischer Unterricht. Berichtet wird von Drill und körperlichen Züchtigungen.

Es ist das Pech Lwowa-Belowas, dass das Fernsehen ausführlich über eines ihrer Treffen mit Putin berichtete: Der Kremlchef forderte sie dabei auf, mit ihrer „Rettungsmission“ fortzufahren. Die TV-Bilder sind ein Geschenk für die Haager Juristen, denn sie beweisen, dass Putin an der Spitze der Befehlskette für die Ausführung von Straftaten im Sinne des Völkerrechts steht. So kam es, dass das Foto einer zwar ideologisch verblendeten, aber nach eigener Überzeugung richtig handelnden jungen Frau auf den Steckbrief des Internationalen Gerichtshofs geriet. Ihr selbst fiel dazu der sarkastische Kommentar ein: „Es ist großartig, dass die internationale Gemeinschaft unsere Arbeit würdigt, die darauf abzielt, den Kindern unseres Landes zu helfen.“

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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