Ukraine-Konflikt - Warum Russland seine Drohung wahr machen musste

Der Osten des Landes ist zwar formal Teil der Ukraine, steht faktisch aber schon lange unter dem festen Einfluss Moskaus. Die Russen sind also in ein Gebiet eingedrungen, das sie ohnehin schon beherrschten. Für Putin war der jüngste Schritt fast unausweichlich: Russland musste seine Drohung wahr machen, ohne einen militärischen Konflikt zu riskieren.

Einwohner von Donetsk feiern die Anerkennung durch Russland / dpa
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Autoreninfo

George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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Russland hat offiziell Soldaten nach Donezk und Luhansk geschickt, und obwohl dies sicherlich das Gefühl der Krise verstärkt, muss dieser Schritt auch im Kontext gesehen werden. Die Region steht seit den Folgen der Maidan-Revolution von 2014 faktisch unter russischer Kontrolle. Sie ist ethnisch stark russisch geprägt und steht der Ukraine feindlich gegenüber. Verschiedene Milizen und paramilitärische Kräfte bekämpfen sich hier seit Jahren, wobei Russland die Separatisten unterstützt.

Der Osten ist zwar formal Teil der Ukraine, hat aber eigene Verwaltungsstrukturen und Militärs aufgebaut, die stark unter dem Einfluss Russlands stehen. Mit anderen Worten: Russland ist in ein Gebiet eingedrungen, das es bereits nahezu vollständig kontrollierte. Aus völkerrechtlicher Sicht handelt es sich eindeutig um eine Invasion. In der Praxis ist die Sache jedoch nicht so eindeutig.

Russland hat seit geraumer Zeit Truppen und Ausrüstung in Grenznähe zusammengezogen, konnte aber die ständige Kriegsdrohung nicht ewig aufrechterhalten – vor allem nicht, wenn Washington immer wieder behauptete, ein Krieg stehe unmittelbar bevor. Moskau war sich auch darüber im Klaren, dass die militärische Aufrüstung zwar ein beängstigendes Bild bot, ein tatsächlicher Einmarsch in ein Land von der Größe der Ukraine jedoch mit Schwierigkeiten verbunden sein würde – selbst wenn man sich sicher war, dass die USA nicht mit Gewalt reagieren würden.

Vorspiel zur umfassenden Invasion?

Russland musste also seine Drohung wahr machen, ohne eine theoretische militärische Reaktion oder eine viel wahrscheinlichere finanzielle Reaktion auszulösen. Es musste das Engagement der USA und im Gegenzug das Engagement Europas für sein Bündnis mit Amerika abschätzen. Die Invasion einer Region, die praktisch, wenn auch nicht nominell, zu Russland gehörte, war ein gutes Mittel, um dies zu erreichen. Sie hat ihre Aggression gezeigt, ohne einen aggressiven Schritt zu unternehmen.

Die Gefahr besteht natürlich darin, dass dies als Vorspiel zu einer umfassenden Invasion angesehen werden könnte. In der Tat wird dies von den meisten so dargestellt. Die Wahrheit ist jedoch, dass es dadurch nicht weniger schwierig wird, die Ukraine gewaltsam einzunehmen, dass die Rechtfertigung nicht weniger schwierig zu verkaufen ist und dass das Überraschungsmoment völlig verloren geht.

Dennoch stehen die Vereinigten Staaten vor einem Problem. Es steht außer Frage, dass Russland die Kontrolle über die Ukraine übernehmen will. Doch bevor das passiert, muss Moskau die Solidarität des Westens auf die Probe stellen. Es hat die USA zum Handeln gezwungen, auch wenn sie die Kosten dafür nicht wirklich auf sich nehmen wollen. Wenn Washington nichts tut – weil es nichts zu tun gibt –, dann kann das allein schon das westliche Bündnis untergraben.

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