Ukraine-Gespräch - Putin und Biden telefonieren wieder

Heute Abend werden US-Präsident Joe Biden und der russische Präsident Wladimir Putin erneut über die Lage in der Ukraine reden. Deutschland und die EU haben im Gespräch über die künftige europäische Sicherheitsordnung keine Stimme mehr.

Waldimir Putin und Joe Biden bei ihrem Treffen im Juni / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Zum zweiten Mal im Dezember sprechen der amerikanische und der russische Präsident am späten Abend des 30. Dezember miteinander. Damit hat Präsident Putin sein erstes diplomatisches Ziel erreicht: Er verhandelt auf Augenhöhe mit den USA. Dass nicht alleine China ein international bedeutsamer strategischer Gegenpol zur Weltmacht USA ist, wollte der russische Präsident beweisen, sowohl dem ehemaligen US-Präsidenten Obama – der Russland als Regionalmacht diskreditierte – als auch dem chinesischen Präsidenten Xi. Die politische Eigenständigkeit Russlands erfordert dies. Putin leistet es.

Präsident Putin hat gleichzeitig ein zweites politisches Ziel erreicht. Er spricht mit den USA über Europas Sicherheitsordnung, wie beide Staaten zuletzt 1945 in Jalta. Nur wird es diesmal am 10. Januar in Genf sein. Dort traf er im Juni Präsident Biden, und in zwei Wochen werden ihre Vertreter versuchen, eine Lösung für die widerstreitenden Interessen zu finden. Zwei Tage später folgen Verhandlungen mit der Nato, die von den USA dominiert wird, und tags darauf mit der OSZE, in der ohne russisch-amerikanische Einigkeit wenig ernsthaft bewegt werden kann. Den Ton aber setzen die bilateralen russisch-amerikanischen Gespräche. Einen Kompromiss zu finden, wird nicht einfach sein, weil die USA auf dem Prinzip beharren, dass souveräne Staaten ihre Bündnisse selbst wählen können, während die russische Regierung anstrebt, die Einflusszonen in Europa neu abzustecken.

Russland will zwei Verträge abschließen

Das russische Kalkül ist, dass die USA angesichts der vorherrschenden Auseinandersetzung mit China keinen zweiten internationalen Konflikt anschwellen lassen wollen. Zudem keinen, der sie angesichts der Unfähigkeit der EU-Staaten, in der Auseinandersetzung eine aktive und effektive Rolle zu übernehmen, nachhaltig fordern wird. So hat Russland zwei Verträge vorgelegt und sogleich veröffentlicht, die das Land mit den USA und den Nato-Staaten abschließen möchte. Im Kern geht es darum, dass die ehemaligen Sowjetrepubliken für die Nato tabu sind. Keiner dieser Staaten darf zukünftig in das westliche Bündnis aufgenommen werden. Konkret: Ukraine, Georgien, Moldawien. Darüber hinaus sollen in den osteuropäischen Nato-Staaten keine fremden Truppen stationiert werden dürfen. Das belebt die Warschauer-Pakt-Grenze (minus DDR) wieder. Mittelstreckenraketen sollen nur im eigenen Land verbleiben, weshalb sie in Kaliningrad und auf der Krim erlaubt, in den europäischen Nicht-Nuklearwaffenstaaten aber verboten sein sollen.

Das ist Salamitaktik ohne doppelten Boden: Zuerst soll die transatlantische Sicherheit in eine amerikanische und europäische Sicherheitszone geschieden, sodann die europäische Sicherheitsordnung in eine westeuropäische und eine osteuropäische sowie postsowjetische unterteilt werden. Stück für Stück will Russland, parallel zum nachlassenden Interesse der USA, seinen dominanten Einfluss ausweiten. Andrei Gromyko, von 1957 bis 1985 Außenminister der Sowjetunion, hätte seine helle Freude an Putins Plan.

Die USA werden kaum in einen militärischen Konflikt eingreifen

Politisch, diplomatisch und militärisch verfügt Präsident Putin über die Eskalationsdominanz in dem Konflikt über die europäische Sicherheitsordnung. Die Ukraine, die derzeit am heftigsten bedroht wird – was Russland von sich weist –, ist nur ein Testfall, dem weitere folgen, sollte Präsident Putins Rechnung aufgehen. Die USA erklären, weder das Prinzip der souveränen Selbstbestimmung einschränken lassen, noch die Ukraine sich selbst überlassen zu wollen. Dass die USA oder die Nato in einen militärischen Konflikt eingreifen, ist völlig unwahrscheinlich. Die USA setzen darauf, dass die angeblich mit den EU-Staaten abgesprochenen Sanktionsdrohungen den russischen Präsidenten abschrecken können. Parallel könnten sie Russland Sicherheitsgarantien anbieten, ohne die ukrainische Souveränität einzuschränken. Der Nutzen für die russische Seite müsste allerdings so groß und sichtbar sein, dass Präsident Putin damit als Sieger betrachtet wird. Darunter wird es nicht gehen. Gesucht wird hinsichtlich der Prinzipien der internationalen Ordnung und der Sicherheitsordnung in Europa die Quadratur des Kreises.

Die EU-Staaten müssen sich darauf verlassen, von den USA konsultiert zu werden. Sie spielen keine eigenständige Rolle. Das ist selbstverschuldet, weil – insbesondere die vier Kabinette Merkel als Regierungen des größten EU-Staats – nichts zur Ertüchtigung der EU unternommen, sondern vieles unterlassen haben. In die Brüsseler (und Berliner) Scheinwelt, in der sie sich behaglich eingerichtet hatten, bricht nun die Wirklichkeit ein. Noch ist nicht zu erkennen, dass die politisch Verantwortlichen daraus irgendwelche belangvollen Schlüsse gezogen haben. Vielmehr scheinen sie sich gegenseitig in der Stabilisierung ihrer alternativen Realität auszuhelfen.

Das Normandie-Format ist tot

Bundeskanzler Scholz betonte nach dem letzten EU-Gipfel „eine wichtige Schlussfolgerung, die aus allem herausgekommen ist ..., dass wir das eine gute Gesprächsformat, das wir haben, als Europäer, nämlich das Normandie-Format, neu beleben wollen. Und dass wir damit auch unseren Beitrag leisten wollen, die Situation in eine gute Richtung zu wenden.“ Auch Außenministerin Baerbock erklärte: „Diese Krise (zwischen Russland und der Ukraine; T.J.) kann nur gemeinsam auf diplomatischem Wege gelöst werden. Darum habe ich mit dem russischen Außenminister Lawrow telefoniert und ihm gesagt, dass wir im Normandie-Format wieder in Gespräche einsteigen sollten.“

Ungünstig an dieser Einschätzung der Lage ist, dass Russland dies seit zwei Jahren verweigert und nicht das geringste Interesse daran zeigt, mit Deutschland oder der Ukraine ernsthaft über ordnungspolitische Fragen zu verhandeln. Und die Bundesregierung über nullkommanull Mittel verfügt, an dieser Lage etwas zu ändern. Deshalb ist dies eine alternative Realität. In der wirklichen Wirklichkeit hat Präsident Putin diese Vorstellung schon seit Jahren pulverisiert. Das Normandie-Format ist tot. Es war eigentlich nie lebendig, sondern sicherte Russland die Zeit, die es benötigte, um die derzeitige Lage herzustellen und mit den USA über die Gestaltung der europäischen Sicherheitsordnung bilateral verhandeln zu können. Solange das von den Regierungen der EU-Staaten nicht verstanden wird und solange daraus nicht die offensichtlichen Schlüsse gezogen werden – sich selbst zu ertüchtigen, die eigenen Interessen vertreten zu können –, bleibt die Lage wie sie ist: Die beiden Großmächte verhandeln über Europa.

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