Neue Beweise im Impeachment gegen Trump - „Unser Präsident will uns hier haben“

Nach drei Tagen im zweiten Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump wird allmählich klar, wie nah der aufgebrachte Mob den Abgeordneten beim Sturm aufs Kapitol kam. Eine besondere Rolle bei der Verhandlung im Senat spielte überraschenderweise Mike Pence.

Sturm aufs Capitol: Waren die Eindringlinge einem Befehl von US-Präsident Trump gefolgt? / dpa
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Autoreninfo

Daniel C. Schmidt ist freier Reporter. Er studierte in Manchester und London (BA Politics & Economics, MSc Asian Politics) und lebt zur Zeit in Washington, D.C.. Schmidt schreibt über Pop, Kultur und Politik.

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An diesen grauen Februartagen erinnert augenscheinlich nicht mehr viel an das, was vor fünf Wochen hier stattgefunden hat: Um das amerikanische Kapitol herum ist es ruhig, kalter Wind fegt durch die umliegenden Straßen. Anfang der Woche hat es zwischendurch geschneit, da und dort stehen Fernsehkameras aufgebaut. Nur die Abzäunung ums Gelände wirkt wie eine eiserne Gedächtnisstütze, dass am 6. Januar ein aufgebrachter Mob versucht hat, sich auf brutalste Weise Zugang zu verschaffen. Fünf Menschen kamen dabei ums Leben.

Im Kapitol wird seit ein paar Tagen über das Wie diskutiert, aber viel mehr noch über das Warum: Wie genau lief dieser Aufstand ab, wie nah kamen die Fanatiker ihrem Ziel, hochrangige Abgeordnete und Politiker abzupassen? Und warum kam es überhaupt so weit, warum waren die Eindringlinge derart aufgepeitscht und angestachelt? Lag es an Präsident Trump und dessen Rhetorik?

Der angebliche Wahlbetrug

Wochenlang hatte der Noch-Präsident wieder und wieder davon gesprochen, dass es bei der Wahl nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Bislang gibt es keine Hinweise für systematischen oder flächendeckenden Betrug. Joe Biden ist der rechtmäßige Wahlsieger.

Das zweite Amtsenthebungsverfahren gegen Trump, das seit drei Tagen vor dem amerikanischen Senat läuft, beschäftigt sich beinahe ausschließlich mit der Frage der Schuldzuweisung. Rein juristisch betrachtet ist der Fall womöglich gar nicht so aufregend: Kein erwachsener Amerikaner, der halbwegs bei Verstand ist und über die Grundschule hinaus ein Klassenzimmer von innen gesehen hat, dürfte sich ernsthaft darauf berufen, dass ein gewaltsamer Sturm auf das Parlamensgebäude rechtens sein könnte – vor allem, wenn der Aufruf von der Exekutive gekommen sein sollte, sprich vom Präsidenten.

Kein juristisches, sondern politisches Verfahren

Weil Impeachment jedoch kein juristisches, sondern ein politisches Verfahren ist, wird seit Tagen genau dieser eine Sachverhalt seziert: Inwiefern ist Donald Trump dafür verantwortlich zu machen, dass es zu diesem Aufstand kam?

Die neun Impeachment-Manager, eigens ausgewählte Politiker, die den Fall vor dem Senat gegen den Beschuldigten vortragen müssen, hatten am Donnerstag, dem dritten Verhandlungstag, einen klaren Fokus: Die eindeutige Verbindung zwischen Trumps Worten und den Taten der Aufständischen darzulegen. Die akribische Vorbereitung war ihnen schnell anzumerken. Sie hatten die zwingendsten Argumente zusammengetragen und sich dabei einen einfachen, aber dramatischen Kniff überlegt, um diese Argumente gegen den Ex-Präsidenten einzusetzen: Sie ließen die Schuldzuweisung von seinen eigenen Anhängern vortragen.

In Video- und Audioaufnahmen vom Tag der Erstürmung, in Interviews und Polizeiprotokollen von und mit den Delinquenten setzten sie ein unmissverständliches Bild zusammen. Hier, so der Streitpunkt der Impeachment-Manager, waren Amerikanerinnen und Amerikaner zusammengekommen, weil sie den expliziten Anweisungen des Präsidenten gefolgt waren.

„Unser Präsident will uns hier haben“

„Unser Präsident will uns hier haben”, sagte ein Mann in einem Livestream aus dem Kapitol, den die Demokraten noch einmal als Beweismittel abspielten. „Wir warten und nehmen Anweisungen von unserem Präsidenten entgegen."

Ein anderer Mann sagte zu einem Polizeibeamten, der sich ihm entgegenstellte: „Da [draußen] ist eine verdammte Million von uns, und wir hören auf Trump – deinen Boss!”

Auch eine Frau war zu hören, die auf Joe Bidens beschwichtigende Worte reagierte: „Kapiert er denn nicht, dass Präsident Trump uns aufgerufen hat, den Ort hier zu erstürmen?”

Für die Demokraten war und ist der Fall eindeutig. „Sie haben wahrhaft geglaubt, dass das Eindringen auf Anweisung des Präsidenten erfolgte, und wir wissen das, weil sie es selbst gesagt haben”, sagte Diana DeGette, eine der Impeachment-Managerinnen und Demokratische Abgeordnete aus Colorado. „Viele von ihnen posierten für Aufnahmen, prahlten damit im Netz und verlinkten Mr. Trump in ihren Tweets.”

Die 50 Demokratischen Senatoren und Senatorinnen müssen nicht mehr überzeugt werden, Donald Trump für seine anstiftenden Worte abzustrafen. Den Impeachment-Managern ging es offensichtlich auch darum, Republikaner auf ihre Seite zu ziehen.

Mike Pence muss herhalten

Herhalten für diese Taktik musste am Donnerstag wie schon am Mittwoch erneut der damalige Vizepräsident Mike Pence. Am Tag des Ansturms befand er sich im Kapitol, um der formalen Zertifizierung der Wahlergebnisse aus den einzelnen Bundesstaaten vorzusitzen. Für seine Rolle während der Geschehnisse bekam er ungewohntes Lob vom politischen Gegner. „Während des gesamten Angriffs hat der Vizepräsident zu keiner Zeit das Kapitol verlassen”, sagte Stacey E. Plaskett, Abgeordnete der Virgin Islands. „Vergessen Sie das nicht, wenn Sie sich an die Bilder und Aufnahmen dieser hinterhältigen Attacke erinnern. Der Vizepräsident, der zweite Mann im Staat, war zu jeder Zeit im Zentrum des Geschehens. Die Anhänger des Präsidenten trachteten ihm nach dem Leben, weil er Trumps Anweisung widersprach, das Wahlergebnis aufzuheben.”

Bereits am Mittwoch hatten die Demokraten auf emotionale Weise an die Republikanischen Senatoren appelliert, die richtige Entscheidung zu treffen und Trump zu verurteilen. In bislang ungesehenen Aufnahmen aus dem Kapitol wurde noch einmal deutlich, wie haarscharf einige hochrangige Politiker den gewaltbereiten Randalierern entkommen waren.

Haarschaf den Randalierern ausgewichen

In einem Überwachungsvideo ist der oft Trump-kritische Republikanische Senator Mitt Romney aus Utah zu sehen, wie ihn ein Beamter auf einem Gang in eine andere Richtung weist, um Sekunden später dem Mob zu entgehen. Eine ähnliche Szene wurde von Chuck Schumer gezeigt, dem damals ranghöchsten Demokraten im Senat und jetzigem Mehrheitsführer, den die Meute nur knapp verpasste. Aus Sorge um ihr Leben wurde Nancy Pelosi, die ranghöchste Demokratin im gesamten Kongress, aus dem Gebäude geschafft, während sich die Aufständischen Mike Pence bis auf wenige Meter näherten, unwissentlich getrennt nur durch ein paar Türen. „Hang Mike Pence”, hängt Mike Pence, war als regelrechter Schlachtruf klar und deutlich in einem Video zu hören, das die Impeachment-Manager abspielten. 

Dass der Vizepräsident immer mit einer Reservevariante des „Nuclear Football” unterwegs ist, also dem Sicherheitskoffer, mit dessen Hilfe Atomraketen gestartet werden können, ist die eine Sache. Dass Donald Trump laut mehreren Medienberichten von Pence’ Sicherheitsstatus wusste und Minuten später trotzdem einen Tweet absetzte, in dem er seinem Stellvertreter absprach, „den Mut zu besitzen, das Wahlergebnis aufzuheben”, ist eine andere Angelegenheit, die einigen Republikanern zu denken geben könnte.

Verurteilung trotzdem unwahrscheinlich

Eine Verurteilung, für die 17 der 50 Republikanischen Senatoren und Senatorinnen mit den Demokraten stimmen müssten, bleibt trotzdem unwahrscheinlich. „Sie rannten um ihr Leben”, schrieb der New Yorker noch am Donnerstagabend, „aber vor Trump laufen sie nicht weg.” „Mit gebührender Demut bitten wir Sie, Präsident Trump für das Verbrechen zu verurteilen, für das er so klar verantwortlich ist. Denn falls Sie es nicht tun”, sagte der Impeachment-Manager und Abgeordnete Joe Neguse aus Colorado, „wer kann dann schon sagen, dass es nicht wieder passiert?”

Und damit endete die Anklage der Demokraten. Am heutigen Freitag beginnt die Verteidigung mit ihrem Plädoyer. In der Eröffnungsrede Anfang der Woche wirkten Trumps Anwälte fahrig und nur mäßig gut vorbereitet. Je nach Verlauf heute könnte es am Wochenende trotzdem schon zu einer finalen Abstimmung über Trumps Schicksal kommen.

Am Kapitol wehen die Flaggen nach wie vor auf Halbmast. Die Aufräumarbeiten für das politische Geröll, das Donald Trump hinterlassen hat, gehen weiter.

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