Streit um Pluralpronomen „they/them/their“ - Irischer Lehrer verweigert das Gendern – und landet im Gefängnis

Was in vermeintlich progressiven Kreisen in Deutschland das Gendersternchen ist, sind im angloamerikanischen Raum die pronouns. Wer nicht als Frau oder Mann angesprochen werden will, pocht dort auf die Pluralpronomen „they/them/their“. Weil sich der irische Lehrer Enoch Burke dem aus religiösen Gründen verweigert, muss er erst dem Schulgelände fernbleiben – und landet schließlich im Gefängnis.

Genderzwang durch die Hintertür: Lehrer Enoch Burke / dpa
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Autoreninfo

Julien Reitzenstein befasst sich als Historiker in Forschung und Lehre mit NS-Verbrechen und Ideologiegeschichte. Als Autor betrachtet er aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen.

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Veränderte Sprache verändert das Denken – dies ist das Mantra jener, die sich für geschlechtergerechte Sprache einsetzen. Die Evidenz dieser These wird jedoch von zahlreichen Wissenschaftlern bezweifelt, gerade von Germanisten und Linguisten. Dies begründen sie unter anderem mit methodischen Mängeln beim Aufbau jener Versuche, die diese These beweisen sollen. Gleichwohl ist das Ziel der Vermeidung tatsächlicher oder scheinbarer maskuliner Worte nobel, nämlich zur Gleichstellung von Frauen und LBGTQ* und deren Emanzipation beizutragen. Welcher Demokrat könnte dieses Ziel nicht begrüßen?

Allerdings kann es auch nicht schaden, über die Gründe nachzudenken, weshalb dort, wo Sprachen keine männlichen und weiblichen Substantivformen kennen, beispielsweise im Türkischen, die Gleichstellung – nun ja – sich anders gestaltet als in Deutschland. Ebenso könnte man überlegen, ob in der kanadischen Provinz Quebec, in der Französisch Amtssprache ist, die Sache mit der Gleichstellung weniger weitgekommen ist als in den englischsprachigen Provinzen Kanadas.

Denn in der englischen Sprache haben viele Begriffe, die im Deutschen gegendert werden, keine geschlechtliche Zuordnung. Statt Richterin, Richter oder Richter*in heißt es schlicht Judge – die deutsche Idee der Schaffung weiblicher Formen, Binnen-I oder * wird dort in aller Regel gar nicht verstanden. Statt Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler heißt es im Englischen einfach Mr oder Mrs Prime Minister. Aber was, wenn eine nicht-binäre Person Premierminister in London oder Ottawa würde?

Idee ist weder neu noch originell

Und da kommen wir zu einem Phänomen, das im angelsächsischen Raum so gewaltige Resonanz findet wie im deutschsprachigen der Genderstern: the pronoun, genauer die Pronomen in der dritten Person. Denn diese haben sprachtraditionell ein Geschlecht. Es gehört mittlerweile zum guten Ton in progressiven und akademischen Milieus, hinter seinen Namen in e-mail-Signaturen, auf Briefbögen und auf Homepages mittels pronouns zu vermerken, wie man sich identifiziert – und damit zu signalisieren, wie man angesprochen werden möchte: „John Doe (he/his/him)“. Währenddessen vermerkt Jane Doe hinter ihrem Namen „she/her/hers“. Nicht-binäre und Transpersonen nutzen hingegen die Pluralpronomen: „they/them/their“. So kennt jeder die geschlechtliche Zuordnung des ihn Anschreibenden und kann ihn entsprechend anreden.
 

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Diese Idee der Identifizierung als Zugehöriger einer bestimmten Gruppe ist weder neu noch originell: Seit Jahrhunderten identifizieren sich die allermeisten promovierten Personen mit dem Kürzel „Dr.“ vor ihrem Namen. Es zeigt an, wie der Betreffende angesprochen werden möchte. Jan Hegemann hat sich jüngst – und völlig zu Recht – in der WELT darüber gewundert, dass Behörden ihn mit „Guten Tag Jan Hegemann“ anschreiben, statt wie es Höflichkeit und Respekt gebieten „Sehr geehrter Herr Hegemann“ oder – richtiger - „Sehr geehrter Herr Dr. Hegemann“.

Das aber ist der Punkt, der Wesenskern der gesamten Gender-Debatte: Es geht um Respekt! Jemand identifiziert sich als Zugehöriger einer Gruppe und aus Respekt redet man diese Person entsprechend an. Doch wer würde „Gruber“, so war der genannte Brief an Hegemann unterzeichnet, vor Gericht zerren, weil er/sie/* als Amtsperson einen Bürger respektvermissend angeschrieben hat? Oder gar ins Gefängnis stecken?

Spiegel des Zeitgeistes und Meilenstein

Genau dies ist nun aber einem anderen Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes widerfahren, Enoch Burke. Der irische Lehrer wurde Anfang der Woche auf richterlichen Beschluss hin im Mountjoy Prison inhaftiert. Die Ursache ist nicht nur Spiegel des Zeitgeistes, sondern wird als Meilenstein in der Entwicklung westlicher Gesellschaften in Erinnerung bleiben. Der ursächliche Grund für die Inhaftierung: Der Lehrer weigerte sich, einen Schüler mit „they“ anzusprechen.

Enoch Burke unterrichtete Geschichte und Deutsch an der Wilson's Hospital School im irischen County Westmeath. Im Mai dieses Jahres, so berichtete Burke vor Gericht, habe er sich geweigert, „einen Jungen als Mädchen anzusprechen“. Die zu beschulende Person – der Zeitgeist grüßt milde lächelnd – hatte verlangt, als „they“ angesprochen zu werden. Dabei handelt es sich um einen Schüler, der in der Zukunft eine Geschlechtsumwandlung anstrebt.

Burke argumentierte, dass es seinen religiösen Überzeugungen zuwiderlaufe, einen Jungen als Mädchen anzusprechen. Zudem lehne er „Transgenderismus“ ab. Daraufhin hat – so berichten es englische und irische Medien – die Schulleitung ihn verpflichtet, die zu beschulende Person so anzusprechen, wie sie angesprochen werden möchte: mit „they“. Nachdem Burke dies abgelehnt habe, hat die Schulleitung in der vergangenen Woche gegen ihn eine Einstweilige Verfügung bei Gericht erwirkt. Diese verbot Burke, Unterricht abzuhalten und verpflichtete ihn, dem Schulgelände fernzubleiben – bis er seine Schüler so anspricht, wie diese und ihre Eltern es wünschen.

In einem leeren Klassenzimmer

Burke hält das Disziplinarverfahren gegen sich für rechtsfehlerhaft und damit auch die darauf basierende gerichtliche Verfügung. Daher setzte er sich Berichten zufolge nun in ein leeres Klassenzimmer und tat damit, was im deutschen Arbeitsrecht mit „Arbeitsleistung anbieten“ bezeichnet wird. Doch mit Betreten des Schulgeländes verstieß Burke gegen die Verfügung – dies hatte zur Folge, dass er vor Gericht gestellt wurde.

Am vergangenen Freitag beantragte die Schulleitung wegen des Betretens der Schule de facto, den Lehrer zu inhaftieren. So stand Burke schließlich vor Gericht. Er wolle nicht ins Gefängnis und er respektiere das Gesetz, so Burke. Der Richter am High Court, Michael Quinn, machte deutlich, dass er nicht über die Frage entscheide, wie Burke Schüler ansprechen müsse – nur, ob dieser gegen die Verfügung verstoßen habe. Das aber sei der Fall – und daher wurde Burke anschließend ins Mountjoy Prison gebracht.

Rechte, Pflichten, Toleranz

Glaubensfreiheit ist eines der höchsten Güter im Verfassungsstaat – egal welcher Religion oder Weltsicht jemand anhängt. Dies soll und muss immer neu austariert werden – denn ohne Rechte, Pflichten und Toleranz gleichzeitig wäre jede Demokratie rasch am Ende. Diese drei gehören zu den wichtigsten Bausteinen, sind also die quarks der Demokratie. Sie halten alles zusammen. Das Wesen demokratischen Diskurses aber ist es, anzuerkennen, dass andere Menschen andere Meinungen haben könnten.

Es mag manchen wundern, aber die anderen Meinungen verschwinden nicht, wenn man jene verschwinden lässt, die sie äußern. Das mussten auch schon viele Diktatoren und Demokratiefeinde lernen. Denn nur Toleranz – in gesundem Maße – schafft ein respektvolles Miteinander. Wie die meisten anderen Promovierten denke ich gar nicht erst darüber nach, ob ich soeben mit „Herr Doktor R.“ angesprochen wurde oder nicht – und ob dies absichtsvoll-respektlos in jedem der beiden Fälle eine Beleidigung war.

Vielleicht war schlicht unbekannt, dass ich promoviert bin und non-binär. Doch selbst wenn es so wäre, wäre meine Toleranz so groß wie meine Liebe zur Freiheit und mein Einstehen für die Demokratie: Die Vorstellung, dass jemand ins Gefängnis gesperrt wird, weil er mich – und auch noch aufgrund glaubhafter religiöser Empfindungen – nicht so anspricht wie ich es wünsche oder meinerseits unter Befolgung von Höflichkeitsregeln andere anspreche, wäre eine endzeitliche Vorstellung. Denn ich glaube, ein jeder ist für die Worte verantwortlich, die er ausspricht – aber nicht dafür, wie andere sie verstehen oder verstehen wollen.

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