Steinmeier und das Telegramm an den Iran - Eine Frage der Redlichkeit

Frank-Walter Steinmeier ist für sein Telegramm an die Regierung des Iran kritisiert worden, auch von „Cicero“. Wie sich erwies, waren wortgleiche Schreiben auch unter seinen Vorgängern rausgegangen. Das relativiert die Verantwortung des Bundespräsidenten. Die Sache selbst macht es aber nicht besser

Opfer einer gezielten Indiskretion aus dem eigenen Haus? Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verteidigt das Glückwunsch-Telegramm an die iranische Regierung / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Vor einer Woche stand an dieser Stelle ein kritischer Kommentar zum Glückwunschtelegramm des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier an das Regime in Teheran aus Anlass des Nationalfeiertags des Iran. Es war zugleich der 40. Jahrestag der Islamischen Revolution des Landes. Wie andernorts auch wurde Frank-Walter Steinmeier der Vorwurf gemacht, einen Kotau vor einer Regierung zu machen, die Menschen foltern lässt, Frauen unterdrückt und an der krisenhaften Situation in der Region maßgeblichen Anteil hat.

In der Zwischenzeit hat sich herausgestellt, dass weitgehend wortgleiche Depeschen von allen Vorgängern Steinmeiers aus diesem Anlass in Richtung Teheran gegangen waren. Die einzige Ausnahme bildet die Amtszeit des iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad, der in einer gefährlichen Mischung aus Einfalt und Größenwahn die Welt in Angst vor einer atomaren Auseinandersetzung um Israel versetzt hatte.  

Dieser Umstand der regelmäßigen Schreiben macht die Sache an sich nicht besser, sondern schlechter. Aber es verändert den Blick auf die politische Verantwortung Steinmeiers. Und zwar grundlegend. Natürlich kann im Prinzip jeder Amtsinhaber die Unterschrift unter ein solches Dokument verweigern. Es geht im Schloss Bellevue nicht zu wie in der britischen Satireserie „Yes Minister“, in der der Apparat noch jeden Minister am Nasenring durch seine Manege zieht. Aber es wäre zugleich in der Tat ein ungleich schwerwiegenderer diplomatischer Affront, diese Serie von Telegrammen zu unterbrechen, zumal es zuletzt nicht der Iran war, der die Beziehungen zum Westen einer neuen Belastung ausgesetzt hat. Es war US-Präsident Donald Trump mit seinem handstreichartigen Austritt aus dem Atomabkommen mit dem Iran, das Steinmeier in seiner Zeit als Außenminister maßgeblich mit verhandelt hatte.  

Indiskretion aus dem Bundespräsidialamt?

Die politische Haftung Steinmeiers für dieses Telegramm muss im Lichte der neuen Erkenntnis also anders eingestuft, relativiert werden. Wenn es ihm vorzuwerfen ist, dann ebenso Joachim Gauck und Horst Köhler. Der Vorgang hat jetzt aber eine weitere Dimension. Da bei keinem von Steinmeiers Vorgängern dieses Telegramm an die Öffentlichkeit geriet, liegt die Vermutung nahe, dass Steinmeier mit dieser Indiskretion aus dem Bundespräsidialamt oder dem Auswärtigen Amt geschadet werden sollte.

Wenn es tatsächlich so war, ist dieses Kalkül leider aufgegangen. Der Kommentar vor einer Woche begann mit den Worten, dass man bei einer Ungeheuerlichkeit besser ein paar Tage wartet mit der Bewertung, um nichts zu übersehen, was den Vorgang in einem anderen Licht erscheinen lässt. Wie sich nun erwiesen hat, war diese Vorsichtsmaßnahme in diesem Fall nicht hinreichend. Das hat zu einem Fehlurteil geführt. Mehr noch: Es hat dazu beigetragen, dass es jenen geholfen hat, denen es ein Anliegen war, Steinmeier zu schaden. Zum unfreiwilligen Handlanger dieser Aktion geworden zu sein, hinterlässt ein schales Gefühl.

Der Vorgang ist einerseits ein Appell an die eigene Zunft, der Sorgfaltspflicht zu genügen. Zum anderen mag er aber auch im Bundespräsidialamt zum Nachdenken darüber anregen, ob die Sensibilitäten in einer solchen Sache zu Recht zugenommen haben und man die Praxis dieses und ähnlicher Standardschreiben überdenken sollte.

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