Spionage-Affäre in Bulgarien - Mit Pistole und Gold im Bett

In Bulgarien soll Staatspräsident Radew mit einer Drohne Fotos aus dem Schlafzimmer von Regierungschef Borissov geschossen und veröffentlicht haben. Ist das ein bizarrer Streit unter Rivalen, oder steckt dahinter eine politische Intrige?

Staatspräsident Radew soll Ministerpräsident Borissov mit einer Drohne im Schlafzimmer fotografiert haben/ dpa
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Frank Stier ist Korrespondent für Südosteuropa und lebt in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

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Ein bizarrer Nachbarschaftsstreit zwischen Bulgariens Ministerpräsident Boyko Borissov und Staatspräsident Rumen Radew skandalisiert die bulgarische Öffentlichkeit. Beide wohnen auf dem weitläufigen Gelände der Residenz des früheren kommunistischen Staats- und Parteichefs Todor Schivkov in Sofias Nobelvorort Bojana.

Borissov residiert in der Villa Sevkoja, Radew in der benachbarten Villa Kalina. Nachdem am vergangenen Mittwoch das radikaloppositionelle Onlinemedium Afera.bg kompromitierende Fotos aus Borissovs Schlafzimmer veröffentlicht hat, bezichtigte der Regierungschef das Staatsoberhaupt, ihn per Drohne auszuspionieren. „Präsident Rumen Radew erlaubt sich, eine Drohne steigen zu lassen, um mich zu filmen. Vom Staatsschutz haben sie mir gesagt, dass die Chinesen ihm die Drohne geschenkt haben”, erklärte der Ministerpräsident auf einer unverzüglich einberufenen Pressekonferenz. Einige Dutzend Minister und Parteigänger stärkten ihm dabei den Rücken durch Applaus. 

Regierungschef schlafend im Bett  

„Ich habe Flugzeuge geflogen und auch Drohnen”, räumte der ehemalige Luftwaffengeneral Radew ein. „Meine Drohne ist so gut, dass sie in Schlafzimmer einzudringen vermag, Aufzeichnungen erstellt, Schubladen öffnet und Euros in sie hineinstopft”, ironisierte er die Bildinhalte der geleakten Fotos. Sie zeigen den halbnackten Regierungschef schlafend in seinem Bett.

Eine Pistole liegt auf dem Nachtisch, in dessen halbgeöffneter Schublade dicke Bündel 500-Euro-Scheine und Goldbarren zu sehen sind. Eigentlich wolle er Borissovs Behauptung gar nicht kommentieren, handle es sich bei ihnen doch um überbordende Phantasie und Paranoia, so Radew. Im Moment sei „Borissov selbst die größte Bedrohung für seine Regierung – durch die Dinge, die er redet”. 

Dicke Bündel 500 Euro Scheine und Goldbarren

Die Veröffentlichung der Fotos kam nur fünf Tage, nachdem bulgarischen Medien die Aufzeichnung eines Telefonats zugespielt worden war. In ihr kommentiert ein Mann mit Borissovs Stimme und Tonfall in zynischer und vulgärer Weise Ereignisse aus dem Frühjahr 2019 unmittelbar vor der Europawahl. Er habe die formal unabhängige Kommission zur Finanzaufsicht auf ein bekanntes Aktienunternehmen angesetzt, damit sie dessen Chef zerquetsche, weil er sich ihm gegenüber unbotsmäßig gezeigt habe, erzählt darin der Mann, der Borissov sein soll.

An anderer Stelle würdigt er in unflätiger, nicht zitierfähiger Weise die Präsidentin der Bulgarischen Volksversammlung Tsveta Karajantscheva herab. „Es ist dies ein weiteres Falsifikat, ein erbärmlicher Versuch eines Kompromats”, kommentierte dies die Parlamentspräsidentin. „Wir sind das gewohnt, beschäftigen uns damit gar nicht. Wahlen stehen bevor, und deshalb geschieht das alles.”

Geheimplan zum Sturz der Regierung? 

„Schlechte Reklame gibt es nicht”, sagte Regierungschef Borissov zur Veröffentlichung der Telefonaufnahme gelassen. Zwar bestritt auch er die Authentizität der Aufnahme, legte aber keinen Wert darauf, diese überprüfen zu lassen. Deutlich erregter reagierte er dagegen auf die Veröffentlichung der Fotos. „Das Ziel ist, uns psychisch zu zermalmen und danach auch physisch zu attackieren”, warnte er auf der Pressekonferenz.

Offenbar wollten Präsident Radew und die oppositionellen Sozialisten die Regierung seiner konservativen Partei „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens stürzen“, um eine Übergangsregierung einzusetzen. So könnten sie Bulgariens Weg in die Eurozone blockieren und Milliardensummen in neue opportune Richtungen lenken, analysierte Borissov. 

Alles nur ein „Deep Fake”?

Ein knappes Jahr vor den im Frühjahr 2021 anstehenden Parlamentswahlen harren vor allem zwei Aspekte der Affäre ihrer Klärung: Handelt es sich bei der Abhöraufnahme und den Fotos um authentische Quellen  oder – wie Borissov behauptet – um „Deep Fake”, um digital verfälschte Bilder? Unabhängig vom Ausgang dieser Frage interessiert die Bulgaren die Frage, wer der Urherber der kompromittierenden Bild- und Tonaufnahmen ist.   

Vasil Boschkov gilt vielen als naheliegendster Kandidat für die Intrige. Im Januar 2020 hat die Regierung den Glücksspielmagnaten per Gesetz praktisch enteignet und aus dem Land gejagt. Nachdem er in dreißig Jahre von wechselnden Machtverhältnissen unbehelligt zum reichsten Bulgaren werden und eine bedeutende Sammlung archäologischer Artefakte aus der Zeit der antiken Thraker aufbauen konnte, wurde er von der Staatsanwaltschaft von einem Tag auf den anderen zum größten Verbrecher des Landes erklärt. Sie wirft ihm nicht nur eine Schuld in Höhe von 700 Mio Lew – das sind rund 350 Mio Euro – vorenthaltener Glücksspielgebühren vor, sondern eine Reihe weiterer schwerer Straftaten bis hin zu Vergewaltigung und zu Auftragsmorden. 

„Bulgarischer Sommer” soll Borissov stürzen

Aus seinem Exil Dubai bombardiert Vasil Boschkov nun die die bulgarische Öffentlichkeit mit Signalen, die den korrupten Charakter des Kabinetts Borissov belegen sollen. Der Regierungschef und sein Finanzminister Vladislav Goranov hätten von ihm viele Millionen Lew an Bestechungsgeldern kassiert, um seine Nationale Lotterie in ihrer Geschäftstätigkeit nicht zu behindern, behauptet er. „Mein Telefon hat gar keine kyrillischen Buchstaben”, konterte Borissov – und versuchte die Echtheit eines von Boschkov auf seiner Facebookseite veröffentlichten Faksimiles eines Telefonchats mit ihm zu widerlegen. Auf der Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch bestätigte Borissov plötzlich den Austausch telefonischer Kurzmitteilungen mit Boschkov über den Transfer von Fußballprofis. Es ist dies nicht die einzige widersprüchliche Aussage von Borissov, die seine Glaubwürdigkeit in der Affäre in Zweifel zieht. 

Vasil Boschkov hat inzwischen angekündigt, sein eigenes politisches Projekt mit dem Namen „Bulgarischer Sommer” zu starten. Damit wolle er dazu beitragen, die „regierende Junta von Boiko Borissov” zu stürzen. Vor diesem Hintergrund ist Boschkovs Autorschaft an den komprimittierenden Bild- und Tonaufnahmen naheliegend, doch keineswegs hinreichend belegt. Nach elf Jahren autokratischer Herrschaft mit Unterbrechungen hat Boiko Borissov mehr als genügend politische Feinde, die ebenfalls als Verschwörer in Frage kämen.

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