Russia-Report zum Brexit - Wie groß ist Russlands Einfluss auf Großbritannien?

Neun Monate lag der Russia-Report in Downing Street, nun wurde er – teils geschwärzt – veröffentlicht. Hat die britische Regierung den Bericht zur Einflussnahme des Kreml auf das Brexit-Referendum zurückgehalten, weil ihr die Erkenntnisse schaden könnten?

Der Russia-Report kommt für Boris Johnson zu einem ungünstigen Zeitpunkt / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Neun Monate lag der Russland-Bericht in Downing Street herum, am 21. Juli 2020 wurde die 50 Seiten lange Untersuchung doch noch publiziert – allerdings an heiklen Stellen geschwärzt. Dass die britische Regierung so lange gewartet hat, die Erkenntnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu Russland an die Öffentlichkeit zu bringen, ist an sich schon Skandal genug. Das lange Zögern aber hat nun die Aufmerksamkeit dafür erhöht, was in dem Bericht zu lesen ist. 

Am Dienstagvormittag traten die Vertreter des britischen Geheimdienst- und Sicherheitsausschusses vor die Presse und verkündeten ihr erstaunliches Verdikt: Man könne nicht sagen, ob Russlands Präsident Wladimir Putin versucht habe, das Brexit-Referendum 2016 zu beeinflussen. Denn die britische Regierung und die britischen Sicherheitsdienste hätten es versäumt, Russlands Rolle darin zu untersuchen: „Es wurde uns keine Post-Referendums-Bewertung russischer Einflussversuche zur Verfügung gestellt“, heißt es auf Seite 14. Und das, so die Berichterstatter, im krassen Unterschied zu den USA, wo die Wahleinmischung 2016 seitens Russland sehr wohl untersucht worden ist. 

Kein Untersuchungsausschuss

Die Vermutung steht nun im Raum, die konservative Regierung hätte das Brexit-Votum im Nachhinein nicht in Frage stellen wollen. Boris Johnsons Sprecher wies dies am Dienstag weit von sich: „Wir haben keine Indizien dafür, dass jemand das Referendum erfolgreich beeinflusst hätte.“ 

Die Regierung stellte auch klar, dass man den Empfehlungen der Berichterstatter nicht folgen würde, jetzt noch einen Untersuchungsausschuss in die russische Einflussnahme auf das Brexit-Referendum einzusetzen. Großbritannien ist ja auch mit dem 31. Januar 2020 schon offiziell aus der EU ausgetreten.

Mitten im Chaos

Allerdings gilt es inzwischen als unumstritten, dass Russland seit dem schottischen Unabhängigkeitsreferendum 2014 versucht hat, sich in britische Belange einzumischen. Seit der versuchten Vergiftung des russisch-britischen Doppelagenten Sergei Skripal 2018 in Salisbury durch zwei russische Agenten mit dem Nervengift Novichok ist die Stimmung in der Bevölkerung nicht mehr moskaufreundlich. Erst vor einigen Tagen beschuldigte London Moskau, Hacker beauftragt zu haben, um in britischen Instituten erste Covid-Impfstoff-Formeln zu klauen. 

Für Boris Johnson kommt die Publikation des Russland-Berichtes wie so vieles derzeit zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Das Vereinigte Königreich steckt mitten im Chaos der Coronakrise, die Großbritannien mit derzeit 45.000 Toten so schlecht wie kein anderer europäischer Staat gehandhabt hat. Die Brexitverhandlungen sind quälend unproduktiv, sie werden in den nächsten drei Monaten kaum mehr zu einem breiten Freihandelsabkommen zwischen Briten und EU führen. 

„Akt der Selbstbeschädigung“

Während sich die britische Insel inhaltlich und wirtschaftlich von Europa entfernt, werden auch die globalen Supermächte USA und China als künftige Partner immer unsicherer. „Der Brexit ist ein Akt der Selbstbeschädigung in diesen Zeiten, in denen die meisten Probleme nicht mehr von Nationalstaaten alleine bewältigt werden können“, sagt Chris Patten, der letzte britische Gouverneur der britischen Kronkolonie Hongkong bis 1997, im Gespräch mit Cicero. Ob gegenüber Washington, Peking oder Moskau: „Wir sollten mit anderen liberalen Demokratien unsere Werte gegenüber jenen, die sie in Frage stellen, gemeinsam verteidigen.“

Wie die Briten das jetzt im Alleingang bewältigen wollen, ist bisher unklar. Die Nähe zu den USA macht Großbritannien zu einem Ziel russischer und chinesischer Einflussnahme. Die Nähe zu Europa ebenso. Die englische Sprache, die unabhängige Justiz, das berühmte Schulsystem und der Glitzer und Glanz der Metropole London tun ihr übriges.

London als „Laundromat“

Nach den USA ist das Vereinigte Königreich der zweitwichtigste Ort für Russen, die ihre Schäfchen ins Trockene bringen wollen – in jeder Hinsicht. Im Russia-Report wird die britische Hauptstadt deshalb als „Londongrad“ bezeichnet und ihre Funktion als „Laundromat“. Reiche aus aller Welt waschen hier ihr Geld und ein ganzes System aus Bankern, Rechtsanwälten, Steuerberatern und Immobilienmaklern profitiert davon.

Russland habe ein „System westlicher Puffer“ aufgebaut, heißt es in der Stellungnahme, die William Browder dem Russland-Ausschuss vorgelegt hat und die Browder Cicero zur Verfügung gestellt hat. Browder ist einer jener externen Experten, denen die Autoren des Russland-Berichts ausdrücklich für seine Expertise danken. „Wenn Leute sich russische Spionage vorstellen, dann denken sie an einen Angestellten der russischen Regierung, der unter diplomatischem Cover tätig ist“, heißt es auf Seite 13. „Heute aber wird die Spionage von Ausländern erledigt, und zwar von britischen Bürgern.“

Der Magnitsky-Act

Seit über einem Jahrzehnt betreibt William Browder eine Kampagne, die darauf abzielt, für seinen 2009 in einem russischen Gefängnis zu Tode gekommenen Rechtsanwalt Sergei Magnitsky Gerechtigkeit zu erzielen. Anfangs hatte der britisch-amerikanische Geschäftsmann gefordert, nur die russischen Beamten aus der russischen Steuerbehörde, dem russischen Innenministerium und einem Moskauer Gefängnis, die in Magnitskys Tod unmittelbar involviert waren, mit Einreiseverbot zu belegen und ihre Vermögen in westlichen Staaten einzufrieren. 

Inzwischen ist in einigen Ländern daraus ein Gesetzesakt geworden, der weltweit Verbrecher treffen kann. In den USA wurde der Akt 2012 angenommen. Kanada und die baltischen Republiken haben ein ähnliches Gesetz verabschiedet. Im Vereinigten Königreich wurden erstmals im Juli 2020 25 Russen, die für Magnitskys Tod verantwortlich waren, und sechs Saudis, denen die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi zur Last gelegt wird, aufgrund des Magnitsky-Acts belangt. 

Bald auch in Deutschland?

Nach Großbritannien möchte Bill Browder nun auch gerne Deutschland dazu animieren, den Magnitsky-Act zum Gesetz zu machen. „Angela Merkel sieht klar, was man tun müsste“, meint Browder im Cicero-Interview vorsichtig optimistisch. Im deutschen Parlament haben sich einige Abgeordnete im Juni 2020 in einem überparteilichen Brief an Angela Merkel gewandt und sie gebeten, während der deutschen EU-Präsidentschaft ein europäisches Magnitsky-Gesetz auf den Weg zu bringen.

Das EU-Parlament hatte bereits 2019 die nationalen Regierungen und Parlamente dazu aufgefordert. Da Deutschland jetzt den EU-Vorsitz führe, so Browder, „gibt es eine gewisse Chance, dass Merkel ihren Einfluss geltend macht“.

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