Razzia in Kanzleramt und ÖVP-Zentrale - Österreich in der Regierungskrise

Für den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz wird es eng nach den schweren Korruptionsvorwürfen gegen ihn. Während er jede Schuld bestreitet, schaffen die Oppositionsparteien indes Fakten und fordern seinen Rücktritt. Kommende Woche soll über einen Misstrauensantrag gegen Kurz abgestimmt werden.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) spricht zu Journalisten /dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Eigentlich sollte es die Woche der großen Steuerreform werden. Erst am Montag hatte die türkis-grüne Bundesregierung ein Steuerpaket angekündigt, mit dem die Alpenrepublik vom Jahr 2022 an mit 30 Euro je Tonne CO2 in Sachen Klimaschutz nicht nur Deutschland hinter sich lassen wollte. Vor allem wurde eine Senkung der Steuersätze bei Jahreseinkommen von 18.001 bis 60.000 Euro, die Erhöhung des Familienbonus auf 2.000 Euro je Jahr und Kind sowie ein geografisch differenzierter Klimabonus zwischen 100 und 200 Euro pro Person und Jahr verkündet. Damit sollen die Mehrbelastungen durch die CO2-Bepreisung wieder abgefedert werden.

Österreichs Öffentlichkeit reagierte zwar nicht euphorisch auf die Ankündigung, aber doch mit Wohlwollen. Norbert Rief von Die Presse entdeckte im Steuerpaket immerhin „sehr viel Gutes“. Damit konnte die Regierung von Sebastian Kurz (ÖVP) durchaus zufrieden sein.

Im Visier der Behörden

Die Zufriedenheit hielt indes nicht lange an, genauer: nur bis zum Mittwochvormittag dieser Woche. Da marschierte auf richterliche Anordnung die „Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft“ (WKStA) in der Parteizentrale der ÖVP und gar im Bundeskanzleramt ein. Neben Kanzler Kurz stehen neun weitere Personen im Visier der Behörden. Konkret geht es um den Verdacht der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit.

Demnach sollen im Jahr 2016 manipulierte Umfragen zugunsten Kurz‘ in österreichischen Medien veröffentlicht worden sein. Damals sei es darum gegangen, ihn gegen seinen parteiinternen Gegner Reinhold Mitterlehner (ÖVP) zu unterstützen. Kurz verdrängte Mitterlehner schließlich von der Parteiführung, sicherte sich so die Kanzlerkandidatur und letztlich die Kanzlerschaft.

Die Rolle der Gebrüder Fellner

Besonders pikant: Als Gegenleistung soll das österreichische Finanzministerium in eben jenen Medien durch das Schalten von Inseraten über Kick-Back-Geschäfte die geschönten Umfragen vergütet haben. Es geht also nicht nur um den Vorwurf der Manipulation der öffentlichen Meinung, sondern auch der Zweckentfremdung von Steuergeldern zu parteipolitischen Zwecken. Besonders im Fokus stehen als angebliche Profiteure die Gebrüder Fellner und die von ihnen gegründete Tageszeitung Österreich.

Kurz sieht sich dabei schon seit Monaten massiven rechtlichen Vorwürfen ausgesetzt, konnte sich aber bisher auch dank der Nibelungentreue seines grünen Regierungspartners im Amt halten. Auslöser für die Probleme war unter anderem die Besetzung des Chefpostens der Österreichischen Beteiligungs-Aktiengesellschaft (ÖBAG) mit dem ehemaligen Finanzstaatssekretär Thomas Schmid (ÖVP), der im Finanzministerium selbst für die Umwandlung der Beteiligungsgesellschaft in eine AG verantwortlich gewesen war.

„Kriegst eh alles, was du willst“

Ausgerechnet die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zur Ibiza-Affäre, die Kurz im Jahre 2019 nach Neuwahlen einen Erdrutschsieg einbrachten, führten nun aber zu allerlei Beifang, der ihn aus Sicht der Behörden selbst belastet. Darunter befand sich auch ein Chatverlauf zwischen Schmid und Kurz, aus dem hervorgehen soll, dass die Besetzung des Chefpostens der ÖBAG von höchster Stelle eingefädelt wurde.

Kurz allerdings bestritt im Ibiza-Untersuchungsausschuss jedwede Mauschelei, auch wenn er gegenüber Schmid im Zusammenhang mit der Besetzung des ÖBAG-Postens einst per SMS zusicherte: „Kriegst eh alles, was du willst.“ Inzwischen behelligt die Staatsanwaltschaft Kurz wegen einer möglichen Falschaussage. Und Schmid musste im Juni dieses Jahres aufgrund öffentlichen Drucks seinen Posten räumen.

Thomas Schmid spielt nun auch in der neuen Skandaldebatte eine zentrale Rolle. Er soll es nämlich gewesen sein, der im Jahre 2016 für den österreichischen Bundeskanzler die Inserate und Geldflüsse aus dem Finanzministerium heraus organisierte.

Sebastian Kurz, der bisher über Monate hinweg alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe kaltschnäuzig an sich abprallen ließ, scheint indes langsam nervös zu werden. Noch gestern stellte er sich zu später Stunde im Österreichischen Fernsehen kritischen Nachfragen. Seine Verteidigungsstrategie ähnelt dabei einem bekannten Muster: Es hätte keine Unregelmäßigkeiten gegeben und wenn, dann nicht durch ihn. „All diese Vorwürfe, die es da gibt, richten sich gegen Mitarbeiter des Finanzministeriums“, erklärte er vor den Fernsehkameras. Und auf diese hätte er vor fünf Jahren als Außenminister noch keinen Einfluss gehabt. Gemeint ist auch Thomas Schmid.

Bisher hat Kurz die gegen ihn gerichteten Vorwürfe erstaunlich gut überstanden. In aktuellen Meinungsumfragen kommt die ÖVP noch immer auf rund 34 Prozent, die Oppositionsparteien konnten hingegen nicht profitieren. Stattdessen muss der grüne Koalitionspartner deutlich Federn lassen und wird zunehmend nervöser.

Vorstoß der Grünen

An diesem Donnerstagvormittag wagte denn auch der grüne Vizekanzler Werner Kogler einen Vorstoß. Mit den aktuellen Vorwürfen sei nunmehr eine „neue Dimension“ erreicht. Der Eindruck sei „verheerend“, und der Sachverhalt müsse „lückenlos aufgeklärt werden“. Und dann kam der entscheidende Satz: „Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen, die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers ist vor diesem Hintergrund in Frage gestellt“, so Kogler.

Vizekanzler Kogler hat außerdem die Parteichefs aller im Nationalparlament vertretenen Parteien zu Gesprächen eingeladen und damit eine Lawine ausgelöst, der sich nicht einmal der ansonsten zurückhaltend agierende Bundespräsident Alexander van der Bellen (Die Grünen) entziehen konnte. Heute und morgen will auch er mit den Parteichefs sprechen, um die Lage zu sondieren. Bundeskanzler Kurz war für heute, 16 Uhr, geladen.

Frisst die Gschaftelrepublik ihre Kinder?

Die Oppositionsparteien im österreichischen Nationalrat schaffen indes Fakten und fordern geschlossen Kurz‘ Rücktritt. Bereits am Dienstag nächster Woche soll es zur Abstimmung über einen Misstrauensantrag gegen ihn kommen. Die ÖVP wiederum spielt den Ball an die Grünen zurück: Sie müssten entscheiden, ob sie die Regierung zu Fall bringen wollen oder nicht. Die ÖVP stehe für die Fortsetzung der Koalition zur Verfügung, aber nur mit einem Kanzler Kurz.

Damit gibt es zur Lösung des Konfliktes nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder verharren die österreichischen Grünen ein weiteres Mal in ihrer Vasallentreue zu Kurz und seiner ÖVP und riskieren bei den nächsten Nationalratswahlen ein Debakel. Oder sie haben den Mut zur eigenen Courage und provozieren gemeinsam mit der Opposition Neuwahlen. Es wäre dann so wie 2019, als Sebastian Kurz die Ibiza-Affäre nutzte, um die FPÖ zu zerschreddern und seinen Machtanspruch auszubauen. Dann fräße die Gschaftelrepublik ihre Kinder.

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