Wahlen in der Türkei - Die Leitwölfin

Sie ist die Kandidatin aller Türken, die die Islamisierung und das autokratische Gehabe Erdogans ablehnen: Jetzt will Meral Aksener den Präsidenten in eine Stichwahl zwingen

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Kann „die Wölfin“ Meral Aksener bei den nächsten Wahlen in der Türkei für eine Überraschung sorgen? / picture alliance
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Jürgen Gottschlich war Mitbegründer der taz und arbeitet seit 1998 als Korrespondent in Istanbul

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Ihre Anhänger nennen sie „Asena“, die Wölfin. Das hat zum einen damit zu tun, dass das Symbol der türkischen Nationalisten der Graue Wolf ist, andererseits aber auch mit ihrem persönlichen Auftreten. Meral Aksener ist machtbewusst, furchtlos und nicht unterzukriegen. Sie hat Führungsqualitäten und ein ehrgeiziges Ziel: die Alleinherrschaft von Recep Tayyip Erdogan zu beenden, das parlamentarische System wiederherzustellen – und am liebsten selbst Regierungschefin zu werden. Bei aller Zielstrebigkeit gilt sie zudem als glaubwürdig und moralisch integer.

Einer größeren Öffentlichkeit in der Türkei fiel Aksener 2016 auf, als sie innerhalb der ultranationalistischen MHP – die Partei, die in Deutschland eben unter dem Namen „Graue Wölfe“ bekannt ist – gegen den langjährigen Chef Devlet Bahceli rebellierte. Sie kritisierte den alternden Leitwolf, weil er immer mehr die Nähe zu Erdogan suchte und damit die Eigenständigkeit der MHP gefährdete. Als Bahceli im Herbst 2016 eine politische 180-Grad-Wende hinlegte und plötzlich die von Erdogan seit Jahren geforderte Präsidialverfassung unterstützte, welche er bis dahin scharf kritisiert hatte, ging Meral Aksener auf offenen Konfrontationskurs: Sie forderte einen außerordentlichen Parteitag der MHP, auf dem sie für den Parteivorsitz kandidieren wollte.

Die Wölfin lässt sich nicht entmutigen

Seitdem wird sie von Bahceli-Loyalisten ebenso wie aus der regierenden AKP mit Dreck beworfen. Bahceli warf sie schließlich aus der Partei, und Erdogan versuchte aus Furcht vor Konkurrenz am rechten Flügel, Aksener an der Gründung einer neuen Partei zu hindern. Doch alle Tricks, mit denen sie zum Aufgeben bewegt werden sollte, nutzten nichts.

Eine Szene aus dem Frühjahr vergangenen Jahres, als sie Wahlkampf gegen Erdogans Verfassungsreferendum machte, zeigt, wie wenig die 61-jährige promovierte Sozialwissenschaftlerin sich entmutigen lässt. Es war in einer Kleinstadt in Westanatolien, die Gemeinde hatte ihr auf Druck der Regierung in letzter Minute die Halle, in der sie reden sollte, gesperrt. Es regnete, trotzdem setzte sie ihren Wahlkampf auf einer Brache am Rande der Stadt fort. Selbst als Mitglieder der Jugendorganisation der MHP auftauchten und sie physisch bedrängten, gab sie nicht auf. Unter einem Regenschirm, von einigen Getreuen umgeben, redete sie einfach weiter.

Gründung und Abkehr von der AKP

Aksener ist eine erfahrene Politikerin des rechten Flügels. Sie hat kein Interesse an einer Mitgliedschaft der Türkei in der EU, und politische Forderungen der Kurden bekämpft sie kategorisch als Separatismus. Sie ging bereits Anfang der neunziger Jahre in die Politik und wurde im Jahr 1996 in einer Koalition rechter Parteien mit der islamischen Tugendpartei die erste weibliche Innenministerin der Türkei. Zwar nur knapp ein Jahr im Amt, blieb sie doch aus dieser Zeit als Hardlinerin im Kampf gegen die kurdische PKK und gegen alle Autonomieforderungen der Kurden insgesamt in Erinnerung. Von ihrer Ausbildung her ist sie Historikerin und arbeitete nach ihrem Studium zunächst als Lehrerin, machte dann aber noch ihren Doktor und ging als Dozentin an die Universität in Istanbul.

Aus Enttäuschung über die bis dahin dominierenden Mitte-Rechts-Parteien engagierte sich Aksener kurz bei der Gründung der AKP, verließ die kommende Regierungspartei aber bald wieder, weil sie den führenden Leuten um Erdogan nicht abnahm, dass sie wirklich Religion und Politik trennen wollten. Vom Jahr 2007 an wurde sie dann Abgeordnete der MHP. Nach ihrem Rauswurf im Herbst 2016 arbeitete sie für die Gründung ihrer IYI-Partei („Gute Partei“), die dann im Oktober 2017 aus der Taufe gehoben wurde.

Kann Aksener Erdogans Wahlsieg verhindern?

Erdogan hält Meral Aksener aus gutem Grund für gefährlich: Ihre „Gute Partei“ ist, seit die AKP 2002 an die Regierung kam, die erste Truppe, der es gelingen könnte, seine Hegemonie im rechtskonservativen, religiösen Lager zu brechen. Während Erdogan die Alleinherrschaft in einem zunehmend islamisierten Staat anstrebt, verteidigt Aksener, auch wenn sie selbst gläubige Muslimin ist, die säkulare parlamentarische Republik. Als Präsidentschaftskandidatin ist sie eine Alternative für alle AKP-Wähler, die die Islamisierung und das autokratische Gehabe Erdogans ablehnen. Aus Bahcelis MHP, die sich in einer Wahlallianz der AKP völlig untergeordnet hat, sind ihr viele Unterstützer zugelaufen, aber auch aus der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP könnte Aksener viele Nationalisten zu sich herüberziehen.

Meral Aksener hofft, einen Wahlsieg Erdogans im ersten Wahlgang am 24. Juni verhindern zu können und den Präsidenten in eine Stichwahl zu zwingen. Selbst wenn sie ihn dann nicht schlagen kann, hätte sich „die Wölfin“ doch als mächtigste Widersacherin Erdogans für die nächsten Jahre etabliert.

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.











 

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