Pierre de Villiers - Der General der Herzen

Frankreichs Generalstabschef Pierre de Villiers trat nach einer Demütigung durch den Präsidenten von seinem Amt zurück – und ist jetzt selbst ein politischer Hoffnungsträger.

Auf den Spuren von Charles de Gaulle: Pierre de Villiers / Bertini Le Figaro Magazine
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Es war am 13. Juli 2017, als Emmanuel Macron nach erst zwei Monaten im Élysée meinte, einen Pflock einschlagen zu müssen. „Der Chef bin ich“, stellte der Jungpräsident klar. Öffentlich über den Abbau des Armeehaushalts zu lamentieren, sei „unwürdig“, kanzelte er den Generalstabschef Pierre de Villiers ab, der genau dies getan hatte. Unwürdig – eine inakzeptable Anschuldigung für einen Soldaten, zumal den höchsten Militär im Lande. Mit verkniffenem Gesicht absolvierte Pierre de Villiers noch die Militärparade am Nationalfeiertag des 14. Juli, dann reichte er seine Demission ein. Bei seinem Abschied standen 200 Untergebene Spalier. 

Pierre Le Jolis de Villiers de Saintignon, aus einem alten westfranzösischen Adelsgeschlecht stammend, brach damit abrupt eine 40-jährige Musterkarriere ab, die ihn von der Militärakademie Saint-Cyr über Senegal, Kosovo und ein Nato-­Regionalkommando in Afghanistan bis an die Spitze der französischen Armee geführt hatte. Er verzichtete auf Dienstwohnung, -wagen, -koch sowie 10 000 Euro Monatssalär. Dafür gewann er etwas, das den meisten Politikern im Land abgeht: die Wertschätzung der Franzosen.

Auch Zeit hatte nun der General. Also schrieb er ein Buch: „Dienen“, wie es schlicht hieß, verkaufte sich über 100 000 Mal. Mutig geworden, lancierte der Berufssoldat einen verdeckten Angriff auf Macron: „Was macht einen Chef aus?“, lautete die vielsagende Frage seines neuen Bestsellers. De Villiers beantwortete sie so: „Ich bin kein Philosoph, kein Soziologe, kein Industriekapitän. Ich bin ein Verfechter der Autorität, der sich bemüht, die menschlichen Beziehungen in den Mittelpunkt seines Engagements zu stellen. Die Autorität ist nicht so sehr militärisch, sie stellt vielmehr die Basis jeder menschlichen Gemeinschaft dar.“

Aus dem Stand auf 20 Prozent

Autorität ist es, was den Franzosen seit langem am meisten fehlt. 2013 gaben in einer Erhebung 87 Prozent der Befragten an, sie wollten „einen wirklichen Chef, der für Ordnung sorgt“. Zwei Jahre später sprachen sich 40 Prozent gar für eine „autoritäre“ Staatsführung aus. Darauf stellten die Demoskopen solche Umfragen ein – sie waren zu bedenklich. 

Doch die Rufe nach Autorität sind nicht leiser geworden. Schon gar nicht seit Amtsantritt Macrons und der folgenden Dauerkrise: Gelbwesten, Proteste gegen Rentenreform, Krawalle gegen Polizeigewalt, Terroranschläge, jetzt das Corona-Schlamassel. „Mon général, die Welt steht kopf, alles bricht zusammen“, klagte ein Bürger unlängst bei einer Signierstunde de Villiers’ in Bordeaux.

Ein anderer grüßte mit Pathos den „General, der Nein sagt“. So nennen Franzosen jenen Befehlshaber, der Frankreich aus dem Zweiten Weltkrieg gelotst und 1958 die Fünfte Republik gegründet hatte: Charles de Gaulle, der Landesretter, der Übervater des modernen Frankreichs. Wird nun de Villiers „le général“? In einer Umfrage kam er im November aus dem Stand auf 20 Prozent Unterstützung für die Präsidentschaftswahlen im Mai 2022. Der Wert ist gar nicht so weit entfernt von den rund 25 Prozent, die den Favoriten Macron und Marine Le Pen gutgeschrieben werden. Und das, obwohl die Pariser Medien das Phänomen de Villiers weitgehend ignorieren.

Auf den Spuren von de Gaulle

Dem Ex-General ist das ziemlich schnuppe. Er punktet mit dem gleichen politischen Mix, der de Gaulle auszeichnete: Vaterland und Arbeit, starker Staat und sozialer Ausgleich. Verurteilte Verbrecher müssten wirklich hinter Gitter, Polizeigewalt verurteilt er ebenso klar. Mit teilweise noch ungeschliffenen Worten und leicht näselnder Stimme wendet er sich auch gegen den „Bürgerkrieg“, den die Mohammed-Karikaturen verursacht hätten. De Villiers, der praktizierende Katholik, predigt Versöhnlichkeit. Er ist kein Rambo, kein Heißsporn, auch kein Hetzer wie sein älterer, früher recht erfolgreicher Bruder Philippe de Villiers. Pierre, mit 64 der sieben Jahre Jüngere, ist dagegen für die EU, für eine europäische Armee.

Rechtsaußen spottet man, Pierre de Villiers sei zu soft, „eher ein Dalai Lama als ein Bonaparte“. Le Monde bezeichnet ihn herablassend als „Pfadfinder“, der zu wenig florentinische Gewitztheit für die Politik mitbringe.

Wartet darauf, vom Volk gerufen zu werden

De Villiers kennt die Pariser Machtsphären allerdings gut, leistete er doch in mehreren Ministerkabinetten Dienst. Sein diskretes Politmarketing ist geschickt. Er kleidet sich heute zivil, vertreibt aber Bilder von sich in Uniform mit lorbeerverziertem Käppi. Und er hält Dis­tanz zu Parteien und Medien. Das gilt in Paris als Schwäche, ist im Rest des Landes aber ein Pluspunkt. 

Wie de Gaulle wartet de Villiers darauf, vom Volk gerufen zu werden. Wobei der Kurs des Generals sich umgekehrt proportional zur politischen Börse verhält: Je größer die Krise, desto höher seine Wahlchancen. Im Dezember behauptete er, er strebe kein politisches Mandat an. Um dann anzufügen: „Je öfter ich das sage, desto weniger glaubt man mir.“
 

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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