"Partygate"-Affäre um gebrochene Corona-Regeln - Boris Johnson behält sein Amt - und die Briten ihr Misstrauen

"Partygate" hat den einstigen Publikumsliebling Boris Johnson in den eigenen Reihen zur Persona Non Grata gemacht. Das Misstrauensvotum gegen den Premier ist seit Dienstag vom Tisch – doch mit seinem skandalösen Verhalten während des Corona-Lockdowns hat Johnson eine Rebellion an der Tory-Basis losgetreten, die ihm schon bald zum Verhängnis werden könnte.

Es brodelt in Großbritannien: Premier Johnson, einstiger Publikumsliebling / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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William Hague, von 1997 bis 2001 selbst Parteichef der Tory-Partei, ruft seinen Nachfolger Boris Johnson zum Rücktritt auf: „Es ist so als würde man mit zwei geplatzten Reifen weiter auf der Autobahn fahren“, sagte Hague im „Times Radio“ am Dienstagvormittag, „und dabei sagen: Ich sitze immer noch am Steuer.“

Boris Johnson aber will nicht auf seinen Vorgänger hören. Am Montagabend hatten ihm zwar 41 Prozent der eigenen konservativen Abgeordneten im britischen Unterhaus das Misstrauen ausgesprochen. Am nächsten Morgen aber schwor der umstrittene konservative Parteichef und Premierminister bei einer Kabinettssitzung erst mal seine Ministerinnen und Minister auf einen Schulterschluss ein: „Ziehen wir einen Strich unter Partygate! Das ist eine Regierung, die das umsetzt, was die Menschen in diesem Land am meisten brauchen.“

Beliebtheit schlagartig ausradiert 

Das wird der 57-jährige Premierminister jetzt beweisen müssen. Zurzeit rumort es nicht nur auf den Hinterbänken des Unterhauses, die Rebellion gegen den einstigen Publikumsliebling speist sich aus dem Unmut der Basis im Land. Die konservative Webseite Conservative Home hat in ihrer jüngsten Umfrage festgestellt, dass 55 Prozent der Basis den Rücktritt von Boris Johnson befürworten. Nur noch 41 Prozent wollen, dass er bleibt. Das war im April noch anders, da war eine Mehrheit für ihn.

„Partygate“ hat Johnsons Beliebtheit ausradiert. Es hat die Briten tief getroffen, dass sie ihre Eltern während der Lockdowns zwei Jahre nicht mal besuchen konnten, während, wie sich später herausstellte, besoffene Politberater und Privatsekretäre bis drei Uhr früh feierten und dabei auch noch auf die Kopiermaschine kotzten. Dass Boris Johnson nach Lust und Laune die von ihm selbst formulierten Covid-Regeln gebrochen hat, ist das eine. Der Bericht der Spitzenbeamtin Sue Gray über die illegalen Parties, der am 25. Mai publiziert wurde, führte bei vielen Konservativen zu echter moralischer Empörung.

Die hätten sie aber noch kontrollieren können, wenn sie jetzt nicht fürchten müssten, dass Boris Johnson seine wichtigste Trumpfkarte verloren hat: Der charismatische Chaot ist nicht mehr die Wunderwaffe an der Wahlurne, die er noch 2019 war. Damals holte er für die Partei einen sensationellen Sieg mit 80 Mandaten Überhang. Bei den Regionalwahlen im Mai verloren die Tories hingegen knapp 500 Gemeinderäte. Viele Lokalpolitiker wollten im Wahlkampf partout keinen Besuch vom Chef persönlich. Er galt bereits als Belastung.

Der nächste Stolperstein wartet schon 

Schon am 23. Juni stehen zwei nächste Tests für Johnsons Popularität an. In zwei Wahlkreisen müssen die Abgeordneten nach Rücktritten neu gewählt werden. Beiden konservativen Amtsinhabern droht ein Debakel - der eine könnte in dem klassisch konservativen Wahlkreis Tiverton & Honiton an einen Liberaldemokraten verlieren. Der andere Urnengang ist im neo-konservativen Wahlkreis Wakefield im Norden Englands, der 2019 von Labour zu den Tories gegangen ist. Dieser Wahlkreis könnte wieder an Labour zurückfallen.

Verliert Boris Johnson diese Sitze, werden die Rebellen in der eigenen Partei nicht zögern, die Regeln zu ändern, die bisher besagen, dass man einem Parteichef nur einmal pro Jahr das Misstrauen aussprechen kann. Johnson-Kritiker Tobias Ellwood, der dem Verteidigungsausschuss vorsitzt, denkt bereits jetzt laut darüber nach, Misstrauensvoten künftig schon nach sechs Monaten zu erlauben. Sollte der Meisterpopulist seine Ausstrahlung wirklich verloren haben, dann wird sich die Partei hüten, mit ihm in die nächsten Parlamentswahlen 2024 zu ziehen.

Nächster Stolperstein könnte eine weitere Untersuchung in Sachen Partygate werden. Das „Privilege Committee“ im Unterhaus wird untersuchen, ob der Premier wissentlich gelogen hat, als er sagte, er wisse nichts von illegalen Partys in Downing Street während der Lockdowns. Sollten sie im Sommer zu diesem Schluss kommen, müssten Johnsons Minister entscheiden, ob sie ihm die Gefolgschaft verweigern. Solange kein Kabinettsmitglied zurücktritt, hat der verwundete Johnson noch eine Schonfrist.

Mindestens einen freut Johnsons politisches Überleben 

Doch seine Stunden sind gezählt. Auch Theresa May, Margaret Thatcher und John Major haben zu ihren Zeiten Misstrauensvoten überlebt. Major blieb noch zwei Jahre, May sieben Monate, Thatcher nur sieben Tage. Keiner hat sich je von einem Misstrauensvotum der eigenen Leute wieder so richtig erholt. Zumal das Misstrauensvotum gegen Boris Johnson nicht von einem Herausforderer orchestriert wurde. Es war der pure Unmut der Hinterbänkler, der sich in diesem Votum Gehör verschaffte.

Es gibt derzeit auch noch keinen logischen Nachfolger. Am ehesten noch eine logische Nachfolgerin. Außenministerin Liz Truss ist bei der Parteibasis für ihre harten Positionen beliebt, die nicht ganz zufällig an die Eiserne Lady Margaret Thatcher erinnern sollen. Moderate Kandidaten wie der ehemalige Gesundheitsminister Jeremy Hunt werden sich dagegen schwertun, die Mehrheit der Partei für sich zu begeistern. Boris Johnson hat die konservative Partei mit seiner harten Brexit-Politik an den rechten Rand gezogen.

Zur Ablenkung von der brodelnden Nachfolgedebatte will Boris Johnson jetzt erst einmal innenpolitische Themen wie die Bekämpfung der steigenden Kosten in den Mittelpunkt seiner Politik stellen. Auch mit seinem heroischen Einsatz als Waffenlieferant für die Ukraine kann er bei den Briten punkten. Nicht nur bei ihnen. Der ukrainische Präsident Wolodymir Selenskij zeigte sich „sehr glücklich“ über Johnsons politisches Überleben, da er ihm zumindest zum Teil sein physisches Überleben zu verdanken glaubt: „Boris Johnson ist ein wahrer Freund der Ukraine.“

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