Österreichs Corona-Politik - Jeder Stich ein Los

Ab 1. Februar gilt in Österreich die Impfpflicht. Stichprobenartige Kontrollen sind allerdings erst ab 16. März vorgesehen - just also, wenn im Land eine Corona-Lotterie für Geimpfte starten soll, mit Gutscheinen für die „heimische Wirtschaft“ und Impfquote-Geldprämien für Gemeinden. Der Protest gegen die Corona-Maßnahmen lässt derweil die FPÖ wieder an Zustimmung gewinnen.

Protest gegen die Corona-Maßnahmen in Österreich / dpa
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Autoreninfo

Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Die Stimmung in ganz Österreich war sichtbar aufgeheizt am Donnerstag dieser Woche. Die Politik hat nach rund zwei Monaten ihre Ankündigung wahr gemacht und eine Impfpflicht eingeführt. Und zwar für fast jedermann ab 18 Jahren. Schon die bloße Ankündigung hatte in dem sonst beschaulichen Land den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen Treibstoff zugeführt. Seitdem zogen immer öfter zehntausende Menschen auf Großdemonstrationen durch die Hauptstadt Wien und machten ihrem Ärger Luft. An dem Tag, an dem die Impfpflicht beschlossen wurde, fiel die Stimmung dabei noch etwas gereizter aus als sonst.

Auch wer wollte, konnte sich den Protesten nicht entziehen: Auf Bahnhöfen nutzten Einzelaktivisten den Resonanzraum von Unterführungen, um sich ihren Frust aus der Seele zu brüllen und die Passanten zu agitieren, in Bus und Bahn wurden Pendler mittels Mobiltelefon mit Reden von FPÖ-Abgeordneten beschallt. Vor allem waren es aber unzählige kleinere Menschengruppen, die ab 7.00 Uhr morgens durch den ersten Wiener Bezirk pilgerten und mit allerlei Musikinstrumenten und Österreichfahnen auf sich aufmerksam machten. Rund um das in die Wiener Hofburg ausgelagerte Nationalparlament war eine polizeilich gesicherte Bannmeile errichtet.

Nektar für die FPÖ

Die Proteste dauerten deshalb mehr als zwölf Stunden an, weil der Nationalrat die Impfpflicht erst nach intensiver Debatte in den Abendstunden beschloss. Das allerdings mit bewerkenswert deutlichen 137:33 Stimmen. Während es in allen anderen Fraktionen nur wenige Abweichler gab, stemmte sich allein die freiheitliche Partei Österreichs unter der Führung Herbert Kickls geschlossen gegen den Impfzwang. Den nannte er erregt „ein Stück Wahnsinn“. Damit würden die Bürger der Republik „auf die Stufe von Leibeigenen downgegradet“.

Demonstranten in Wien / M. Brodkorb

Überhaupt ist es Kickl, der seit Monaten aus der Spaltung des Landes Nektar für seine FPÖ saugen will. Und das gelingt durchaus: Erst vor wenigen Wochen wurde er von 20.000 Menschen in Innsbruck frenetisch für eine Rede gefeiert, von der in Sachen Populismus selbst noch Jörg Haider etwas hätte lernen können. Mehr als 100.000 schriftliche Eingaben gegen die Impfpflicht gingen außerdem beim Parlament ein. In den Umfragen hat sich die Partei des Ibiza-Skandals wieder auf 20 Prozent hochgearbeitet.

Staatliche Corona-Lotterie

Es ist wohl auch dieser Gegenwind, der die Etablierten nachdenklich gemacht hat. Schon früh brachten daher die Sozialdemokraten um Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) ergänzend zur Impfpflicht ein Prämiensystem ins Gespräch. Eine Prämie für jedermann wäre zu teuer gewesen, daher veranstaltet Österreich nun eine staatliche Corona-Lotterie. Da jedes zehnte Los gewinnen soll und bisher schon mehr als 17 Millionen Impfungen erfolgt sind, dürften im Rahmen der Corona-Lotterie letztlich rund zwei Millionen Gewinnlose und insgesamt eine Mrd. Euro an Gewinnen ausgespielt werden.

Die Gewinnchancen stehen übrigens gar nicht schlecht und steigen mit jeder weiteren Impfung. Ein dreifach Geimpfter hat eine Chance von rund 25 Prozent, dass er 500 Euro gewinnt. Die Chance, dass auf ihn sogar die Höchstsumme von 1.500 Euro für drei Impfungen entfällt, liegt nach Berechnungen von Monika Töppl-Turyna (EcoAustria) allerdings nur bei 2,7 Prozent.

Gutscheine für heimische Wirtschaft

Das Prinzip „Je mehr Impfungen desto mehr Geld“ gilt dabei nicht nur für die Bürger, sondern auch für die Politik. Zusätzlich zu privaten Gewinnen in Höhe von einer Mrd. Euro schüttet die Republik nämlich Corona-Prämien an seine Gemeinden aus. Bei einer Impfquote von 80 Prozent insgesamt 75 Mio. Euro, bei einer Impfquote ab 90 Prozent 300 Mio. Euro.

Im Unterschied zu den Gemeinden sollen Österreichs Lotterieteilnehmer allerdings kein Geld erhalten, sondern Gutscheine für die „heimische Wirtschaft“. Die Politik erhofft sich, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und aus einem Impfanreiz auch noch ein Wirtschaftsförderprogramm zu machen. Ob dies so überhaupt mit Europäischem Recht vereinbar ist, gilt jedoch als umstritten. Erst dieser Woche kippte der Europäische Gerichtshof auch das „indexierte Kindergeld“ für Nicht-Österreicher.

Lotterie und Impfkontrollen

Wie die Lotterie organisiert werden soll, ist derzeit noch nicht geregelt. Das liegt vor allem daran, dass die überparteiliche politische Einigung erst kurz vor Beschluss durch den Nationalrat gelang. Nur eines scheint klar: Der Österreichische Rundfunk (ORF) soll es richten. Der allerdings reagierte auf das Ansinnen der Politik zögerlich. Er nehme „das Ersuchen um Mitwirkung zur Kenntnis“ und halte es ansonsten für erforderlich, dass seine Unabhängigkeit gewahrt bleibe. Am Ende wird der ORF es aber machen, notfalls erzwungen durch eine Gesetzesänderung.

Bannmeile vor der Hofburg in Wien / M. Brodkorb

Losgehen jedenfalls soll die Lotterie am 15. März, also genau einen Tag vor der Scharfschaltung der Impfkontrollen. Während die Impfpflicht nämlich bereits ab Februar 2022 gilt, ist ihre stichprobenartige Kontrolle erst ab 16. März vorgesehen. Erst also kommt das Zuckerbrot und dann die Peitsche. Und die kann weh tun. Ordnungsgelder von 600 bis 3.600 Euro sind für Impfverweigerer vorgesehen. Von Corona Genesene sollen jedoch für 180 Tage von der Regelung ausgenommen sein. Und jene, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können.

PCR-Test-Auswertung dauert 48 Stunden

Dass dieses austarierte Maßnahmenpaket die skeptischen Gemüter beruhigen wird, scheint indes unwahrscheinlich. Und das liegt an ganz banalen Ereignissen, die Wasser auf die Mühlen der Impfgegner sein dürften: Erstmals seit der Pandemie ist das epidemologische Meldesystem (EMS) just seit dem Tage nicht mehr in der Lage, tagesaktuell valide Infektionszahlen zu liefern, an dem die Impfpflicht beschlossen wurde. Dabei handelt es sich nicht um ein technisches Problem, sondern um eines der manuellen Überforderung: Da Doppelmeldungen im System händisch bereinigt werden müssen und die Infektionszahlen omikronbedingt in die Höhe schießen, reichen die Bearbeitungskapazitäten nicht mehr aus, um aktuelle Zahlen zu erzeugen. Der österreichischen Politik steht damit eines ihrer wichtigsten Steuerungsinstrumente nicht mehr zur Verfügung.

Engpässe gibt es aber nicht nur bei der Zusammenstellung der Daten, sondern landesweit auch der Testung. Zwar rühmt sich das rote Wien unter Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), die beste und größte Testinfrastruktur der Republik zu betreiben, aber auch dort wird es langsam knapp. Aktuell, so berichten Apotheken, dauere die Auswertung der PCR-Tests länger als 48 Stunden.

Für Ungeimpfte Wiener kommt das einer Quarantäne gleich. Weite Bereiche des öffentlichen Lebens sind für sie nur mit negativem PCR-Test wahrnehmbar. Das Problem: Michael Ludwig gilt als besonders konsequenter Corona-Manager und deshalb hat ein PCR-Test in Wien nur eine Gültigkeit von 48 Stunden nach der Testung. Derzeit also gar keine, weil die Ergebnisse erst eintreffen, wenn das Testergebnis schon nicht mehr gültig ist. Daran kann auch die Impfpflicht nichts ändern.

 

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