Olympia in Tokio - Augen zu und durch

Zuschauer werden nun doch nicht bei den Spielen von Tokio zugelassen. Knapp zwei Wochen vor dem Olympiastart liegen die Nerven blank in Japan. Nur noch ironisch ist die Veranstalter-Verlautbarung zu verstehen: Die Spiele von Tokio würden den Sieg der Menschheit über die Pandemie verkünden.

Mitarbeiter stehen auf den leeren Plätzen der Tribüne im Komazawa Olympic Park Foto: Eugene Hoshiko/dpa
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Felix Lill ist als Journalist und Autor spezialisiert auf Ostasien.

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Die Sonne scheint über Tokio schon seit Tagen nicht mehr. Beinahe ununterbrochen ist der Himmel grau, Nieselregen fällt auf Japans Hauptstadt nieder. Es passt zur Stimmung: Vergangenes Wochenende erschütterte ein Erdrutsch in der westlich von Tokio gelegenen Präfektur Shizuoka das Land. In der Küstenstadt Atami werden nach einer Schlammlawine noch immer mehr als 20 Personen vermisst, neun sind tot. Und dann greift noch die Delta-Variante des Coronavirus um sich.

Gute Nachrichten könnte Japan dieser Tage gut gebrauchen. Doch das, was am Donnerstagabend japanischer Zeit verkündet wurde, verdeutlicht zunächst nur, wie ernst die Lage ist. Zum vierten Mal seit Beginn der Pandemie hat Japans Regierung einen Ausnahmezustand über die Hauptstadtregion um Tokio verhängt. Damit beginnt der softe Lockdown, der von Ende April an bis vorigen Monat ohnehin galt, von Neuem: Menschen sollen möglichst zu Hause bleiben, Treffen in Gruppen vermieden, Alkohol nicht ausgeschenkt werden.

Kliniken schon länger am Limit

Das Ganze gilt zunächst bis zum 22. August. Und damit bis nach den Olympischen Spielen, die am 23. Juli für zweieinhalb Wochen stattfinden sollen. Auch für die größte Sportveranstaltung der Welt gibt es nun strengere Regeln: Die Ende vorigen Monats noch verkündete Marschroute, in jeder Spielstätte dürften bis zu 10.000 oder die Hälfte der Plätze besetzt werden, haben die Organisatoren wieder verworfen. Die Spiele in Tokio sollen jetzt doch ohne Zuschauer in den Stadien laufen.

Hintergrund für den Entschluss sind die erneut steigenden Infektionszahlen. Japan ist mit bisher 815.000 Infektionen und 15.000 Todesfällen – bei einer Bevölkerung von 126,5 Millionen – weiterhin relativ milde vom Coronavirus betroffen. Doch angesichts der alternden Bevölkerung und eines Mangels an Intensivbetten arbeiten viele Krankenhäuser schon länger an der Kapazitätsgrenze. Hinzu kommt, dass bisher nur gut 15 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft ist. Die Impfkampagne begann erst im Februar, zudem ist Skepsis vor Impfstoffen weit verbreitet. So ist das Land auch anfälliger für die Delta-Variante des Coronavirus, die in Tokio schon einen Großteil der Neuinfektionen ausmacht.

„Herzzerreißend“ sei dieser Beschluss zu leeren Stadien, findet Tokios Gouverneurin Yuriko Koike. Noch vorige Woche hat sie sich im Rahmen der Wahlen für das Tokioter Metropolparlament für den Veranstaltungsplan mit Zuschauern in den Stadien eingesetzt. Auch Premierminister Yoshihide Suga hat bis zuletzt immer wieder beteuert, er wolle keine Spiele vor leeren Rängen. Dessen Amtsvorgänger und Unterstützer Shinzo Abe, den Suga vor einem Jahr ablöste, sagte mehrmals: „Olympische Spiele ohne Zuschauer werden wir nicht machen.“

Steuerzahler werden für Spiele belastet

Mittlerweile überrascht es in Japan aber kaum noch jemanden, dass im Rahmen der Olympischen Spiele auch noch die deutlichste Ankündigung wieder verworfen wird. Diverse Versprechen haben die Organisatoren gebrochen: Dazu gehört jenes, die Spiele würden die Steuerzahler kein Geld kosten. Was schon vor der coronabedingten Verschiebung um ein Jahr eine höchst kreative Auslegung der Fakten war, galt danach schon gar nicht mehr.

Auch der wirtschaftliche Aufschwung, der zu Zeiten der Tokioter Bewerbung um das Austragungsrecht das Hauptargument gegenüber einer eher skeptischen Bevölkerung war, bleibt aus. Dass die Spiele ein internationales Fest werden würden, ist seit März hinfällig, als zuallererst Zuschauer aus dem Ausland ausgeschlossen wurden. Und eine vom IOC und den Tokioter Organisatoren zuletzt häufig erwähnte Ankündigung kommt nun besonders ironisch daher: Die Spiele von Tokio würden den Sieg der Menschheit über die Pandemie verkünden. Statt an einen Triumph erinnert die noch bevorstehende Veranstaltung schon jetzt eher an die Devise: „Augen zu und durch.“

Zusatzarbeit für Veranstalter

Dabei gilt der Entschluss zu Spielen vor leeren Rängen – zumindest nach aktuellem Stand – nicht für alle Stadien. Ausschließlich davon betroffen sind nur die Spielstätten in und um Tokio, wo der Großteil der Wettbewerbe stattfindet. In der nördlichen Präfektur Ibaraki, wo im Kashima Stadium Fußball gespielt wird, sollen tagsüber Schulkinder einen Teil der Plätze besetzen. In den weiter nördlich gelegenen und vom Coronavirus weniger betroffenen Präfekturen Miyagi und Fukushima, Austragungsort für Fußball sowie Baseball und Softball, soll weiterhin die Hälfte der Auslastung genutzt werden. Ebenso sieht es für das im westlich von Tokio gelegenen Shizuoka aus, Austragungsort für Radsport.

Den Veranstaltern verlangt der Entschluss zu weitgehend leeren Spielstätten nun erneut Zusatzarbeit ab. Nachdem schon vor der Pandemie ein Großteil der Tickets verkauft gewesen war, wurde zuletzt ein neues Lotterieverfahren aufgesetzt, um die geringere Zahl verfügbarer Eintrittskarten neu zu verteilen. Nun wird dies ausgesetzt, ursprüngliche Ticketinhaber werden entschädigt. Allein durch den Wegfall der Ticketeinnahmen entgehen den Veranstaltern Einnahmen von rund 90 Milliarden Yen (rund 690 Millionen Euro).

Premier Suga wirkt nervös

Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag versuchten die Veranstalter, die Probleme herunterzuspielen. „Was auch immer geschieht, wir werden Sport betreiben“, sagte IOC-Präsident Thomas Bach. Premierminister Yoshihide Suga betonte unterdessen, dass der Entschluss zum erneuten Ausnahmezustand und dem weitgehenden Zuschauerverbot für Olympia der Sicherheit aller diene. Der Premier wirkte nervös, als er das sagte. Fast so, als glaubte er selbst nicht dran.

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