Neuer russischer Befehlshaber für die Ukraine - Der Experte für Massenmord

Der russische General Alexander Dwornikow wurde von Wladimir Putin nun mit der Kriegsführung in der Ukraine betraut. In Syrien führte Dwornikow einen Massenmord durch – eine kalkulierte Maßnahme, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Seine Ernennung wirkt wie eine Verzweiflungstat Moskaus. Und lässt darauf schließen, dass weitere Verzweiflungstaten folgen könnten.

Wladimir Putin und Alexander Dwornikow im Jahr 2016 / picture alliance
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Autoreninfo

George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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Alexander Dwornikow ist im Westen kein wirklich bekannter Name, aber das könnte sich bald ändern. Denn er ist der russische General, den Präsident Wladimir Putin nun mit der Kriegsführung in der Ukraine betraut hat, nachdem diese für Moskau bisher enttäuschend verlaufen war. Dwornikow wird das „Retten“ der russischen Militärkampagne in Syrien zugeschrieben, und der Kreml hofft, dass er seine Erfolge in Europa wiederholen kann.

In Syrien war Dwornikow bewusst, dass Russland gegen eine zerstreute Infanterietruppe kämpft, die enge Verbindungen zur Bevölkerung in den Gebieten hatte, wo die Kämpfe stattfanden. Also begann er einen Krieg gegen die Bevölkerung und konzentrierte seine Ressourcen nicht auf die Kämpfer selbst, sondern auf deren Freunde und Familien. Er wollte sie in Angst und Schrecken versetzen und so dazu bewegen, den Krieg zu beenden. Weniger abstrakt ausgedrückt: Dwornikow führte einen Massenmord durch – eine kalkulierte Maßnahme, um russische Soldatenleben zu retten und andere Bevölkerungsgruppen einzuschüchtern und dazu zu bringen, sich aus dem Kampf herauszuhalten. Putin ernannte ihn aufgrund seines Rufs und seiner Fähigkeit, zu befehlen und zu massakrieren.

Die Ukraine hat die Nato

Syrien und die Ukraine unterscheiden sich aber in einem entscheidenden Punkt: Die Syrer hatten keine nennenswerte Unterstützung von außen. Die Ukrainer hingegen haben die Nato. Bislang hat sich die Nato an einem Wirtschaftskrieg gegen Russland beteiligt und die Ukrainer mit Waffen versorgt. Zu einer direkten, offenen Intervention in größerem Umfang ist sie nicht übergegangen. Mit Dwornikow könnte sich das ändern. Die Nato-Mitglieder haben zwar deutlich gemacht, dass sie nicht direkt eingreifen werden, aber mit der Zunahme der Gräueltaten würde der Handlungsdruck zunehmen. Die Öffentlichkeit der meisten Nato-Staaten lehnt ein Eingreifen ab, aber es bedarf wohl nur einiger weniger Butschas mehr, um ihre Haltung zu ändern. Und die Vereinigten Staaten selbst sind nie weit weg.

Die Ernennung von Dwornikow als Retter in der Not ist eine Art Stoßgebet. Aber das geht an der Sache vorbei. Denn selbst wenn Dwornikows Brutalität die Ukraine irgendwie befrieden kann, wird sie den Rest der Welt davon überzeugen, die Sanktionen aufrechtzuerhalten und damit ihre lähmenden wirtschaftlichen Auswirkungen zu institutionalisieren. Der Wirtschaftskrieg wird von einer massiven globalen Koalition geführt. Russland war vor dem Krieg wirtschaftlich kaum robust, und jetzt kursieren Einschätzungen, wonach das russische Bruttoinlandsprodukt um bis zu 50 Prozent geschrumpft sein könnte. Das mag übertrieben sein, doch steht außer Frage, dass die Lage schlecht ist. Ein „Sieg“ Russlands in der Ukraine würde dieses Problem nicht lösen. Wenn überhaupt, könnte es das Problem eher noch verschärfen.

Mit Dwornikow als Feldherr in der Ukraine muss Russland von einem einzigen Stoßgebet also wohl zu einem zweiten, größeren übergehen. Die einzige Möglichkeit, sowohl in der Ukraine zu gewinnen als auch sich von den Sanktionen zu befreien, besteht darin, eine Grundlage für Verhandlungen und gegenseitige Zugeständnisse zu schaffen. Dazu muss Russland etwas haben, womit es den Westen dazu bringen kann, sein Sanktionsregime aufzugeben – das heißt, es muss etwas zum Tauschen haben. Moskau kann keine gleichwertigen Sanktionen verhängen und auch keine öffentliche Sympathie für Russland wecken. So bleibt ihm nur eine Möglichkeit: die Bedrohung der westlichen Volkswirtschaften durch die Gefährdung des Handelssystems.

Globaler Handel in Gefahr

Dies erfordert wiederum eine militärische Lösung. Russland verfügt über mehr als 20 U-Boote der Kilo-Klasse: dieselbetriebene U-Boote, die nicht die Reichweite und Ausdauer von atombetriebenen U-Booten haben, aber sowohl Torpedos als auch Marschflugkörper mit sich führen können. Was bedeutet, dass sie aus großer Entfernung zu handeln in der Lage sind. Es gibt eine Reihe von Engpässen, die für den Westen von entscheidender Bedeutung sind: Die Meerenge von Dänemark, die Straße von Gibraltar und der Golf von Mexiko sind nur einige davon. Ein Warnschuss an einer dieser Stellen würde den Handel zum Erliegen bringen und die Versicherungsprämien in die Höhe treiben. Die Unsicherheit würde den globalen Handel bedrohen.

Natürlich wäre dies die ultimative Maßnahme. Aber ich führe sie deshalb an, weil es aus meiner Sicht ein Hauptanliegen jeder feindlichen Nation ist, ihre Verhandlungsposition mit den USA (oder einer anderen Handelsnation) zu verbessern. In den meisten Fällen ist dies eine zweifelhafte Strategie. Auch hier wäre sie zweifelhaft. Russlands Ziel mag es sein, in der Ukraine zu gewinnen, aber das wird sein grundlegendes Problem nicht lösen. Wirtschaftliche Verhandlungen kann es nur mit Druckmitteln erreichen, und im Moment hat es wenige wirtschaftliche Druckmittel. Die einzige mögliche Lösung besteht also darin, auf militärische Druckmittel zurückzugreifen. 

Angesichts der Macht der US- und der Nato-Marine ist dies eine aussichtslose Hoffnung, aber das gilt auch für die Ernennung von Dwornikow. Für Russland sinkt die Zahl der Optionen.

Ich glaube, dass Putin letztlich um sein politisches Leben kämpft, und das macht ihn offen für Verzweiflungstaten. Da er nicht stillschweigend seinen Posten räumen wird, wäre dies ein riskanter und radikaler Schritt. Aber er scheint solche Schritte im Moment zu bevorzugen – vielleicht aus gutem Grund.

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