Nato - Delle oder Finale?

Die Sanktionen der USA gegen die europäische Gas-Pipeline Nord Stream 2 zeigen, wie instabil die transatlantischen Beziehungen geworden sind. Warum nimmt es Deutschland einfach hin, dass US-Präsident Donald Trump das Völkerrecht bricht?

Röhre des Anstoßes: Nord-Stream-2-Pipeline/ picture alliance
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Autoreninfo

Frank Elbe war deutscher Botschafter in Polen und Indien sowie Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt. Als Rechtsanwalt betreut er heute Mandanten aus allen Teilen der Welt, auch aus Russland.

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Es knirscht schon seit geraumer Zeit gewaltig im Gebälk der transatlantischen Beziehungen. Während des Präsidentschafts-Wahlkampfs 2016 bewertete Donald Trump die NATO mehrmals als „obsolet“. Im Juli 2018 bezweifelte Angela Merkel, dass die USA noch ein verlässlicher Partner seien. Präsident Emmanuel Macron hält das Bündnis für „hirntot“ – ein geschmackloser Vergleich, er hätte sich darauf  beschränken können, seiner früheren Forderung nach einem „.robusten Dialog“ über die Zukunft der Nato Nachdruck zu verleihen.

Die Forderung nach einem robusten Dialog über die Zukunft des atlantischen Bündnisses indes lässt offen, über was gesprochen werden soll. Es kann hier nicht nur um Schönheitsreparaturen gehen. Eine zunehmende Abkehr der USA von Prinzipien bewährter Sicherheitspolitik rüttelt an den Grundfesten transatlantischer Zusammenarbeit. Wer den Fortbestand einer transatlantischen Allianz sichern will, kommt nicht umhin, den USA die Kernfragen zu stellen: Seid Ihr noch bündnisfähig? Wollt Ihr es überhaupt noch sein? 

Zankapfel Nord Stream 2 

Die jüngsten Strafmaßnahmen der USA gegen das europäische Projekt der Nord-Stream-2-Gas-Pipeline sind nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer eklatanten Verletzung des Völkerrechts zu bewerten. Sie berühren die Qualität der Beziehungen unter Nato-Partnern.

Dreh- und Angelpunkt westlicher Sicherheitspolitik war und bleibt das Verhältnis zu Russland. Es wird keine Sicherheit gegen Russland geben. Russland ist eine Großmacht mit enormen wirtschaftlichen Ressourcen, eben nicht nur eine Regionalmacht. Niemand kann das Land ohne Nachteile für sich selbst isolieren. 

Von der Kooperation zur Ausgrenzung 

Im Kalten Krieg bekannte sich das Bündnis zu Zielen und Strategien, die dieser Einsicht folgten. Ziel war die Schaffung einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung in Europa. Die Nato bediente sich erfolgreich einer Doppelstrategie von „ausreichender militärischer Sicherheit“ und einer Politik der „Zusammenarbeit, Entspannung und Abrüstung“. Der Harmel-Bericht von 1967 nahm und nimmt ausdrücklich jeden einzelnen Nato-Partner in die Pflicht, sich um die Verbesserung seiner Beziehungen zu Russland zu bemühen. Der Erfolg dieser Bemühungen ist bekannt.

Eine solche Politik scheint aber nicht mehr zum aktuellen Gedankengut der amerikanischen Administration zu gehören. Seit 1996 ist ein schleichender Paradigmenwechsel festzustellen. Immer mehr wurde erkennbar, dass die USA wenig Neigung verspürten, die Kooperation mit Russland fortzusetzen, sondern stattdessen seine Ausgrenzung verfolgen

Kontrolle über Eurasien 

Die USA folgen klaren „geopolitischen“ Vorstellungen. Sie sehen sich nach dem Zerfall der Sowjetunion als erste, einzige und letzte Weltmacht, deren Aufgabe es ist, den eurasischen Kontinent unter ihrer Kontrolle zu halten, wie der Sicherheitsexperte Brzezinski es schon 1997 gefordert hat. Die sicherheitspolitisch kritische Zone sei aber nicht das eurasische „Heartland“, sondern dessen europäische und asiatische Randgebiete, das Rimland“. In Anlehnung an die geopolitischen Vordenker Mackinder und später Spykman entwickelte er hieraus eine wirkungsmächtige Strategie: 

„Wer die Ränder kontrolliert, beherrscht Eurasien, wer Eurasien beherrscht, kontrolliert das Schicksal der Welt.“ Es gibt keine offizielle Verlautbarung der Administration, die diese Strategie stützt, aber in der außenpolitischen Praxis haben die USA – abgesehen von der Präsidentschaft von George Bush Senior – immer nach dieser Devise gehandelt. Eine solche Politik kann nicht nachhaltig sein. Sie kollidiert schließlich mit den Interessen aller Staaten aus dem Raum zwischen Lissabon und Wladiwostok.

Die Büchse der Pandora 

Die jüngsten Strafmaßnahmen der USA gegen die europäische Erdgasleitung sind eine besonders auffällige, rücksichtslose Anwendung amerikanischer Geopolitik gegenüber Europa. Sie würden nicht nur unter Bruch des Völkerrechts, sondern auch höchst eigennützig zur Sicherung eigener materieller Vorteile erfolgen, nämlich zur Durchsetzung des Absatzes amerikanischen Flüssiggases nach Europa.

Wahrscheinlich sind sich die Initiatoren der Strafsanktionen nicht darüber im Klaren, dass sie eine Büchse der Pandora geöffnet haben, die sie besser schnell wieder schließen. Mit dieser Entscheidung gefährden sie den Zusammenhalt des Bündnisses. Sie wecken Widerspruch und den Ruf nach spürbaren Gegenmaßnahmen. Sehr leicht kann die Kontrolle über diese Diskussion verloren gehen und anti-amerikanische Stimmungen hervorrufen, die radikale Forderungen befördern könnten, den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein zu schließen.

Wo bleibt die Demarche der Bundesregierung? 

Die Reaktionen der deutschen Parteien waren übereinstimmend ablehnend. Aber wo bleibt die Demarche der Bundesregierung? Wird sie den US-Botschafter in Berlin einbestellen? Hat sie im Vorfeld der sich seit langem abzeichnenden Strafmaßnahmen Konsultationen mit der US-Administration beziehungsweise mit Abgeordneten beider Häuser geführt, um Schaden von Deutschland abzuwenden?

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