Nato-Treffen in Riga - Die Ukraine überschattet alles

Die Außenminister der 30 Nato-Staaten kommen heute zu einer zweitägigen Sitzung in der lettischen Hauptstadt Riga zusammen. Beraten wollen sie unter anderem über die Situation an den Grenzen der EU zu Belarus sowie an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland. Der ukrainische Außenminister warnt vor einem möglichen Einmarsch Russlands.

Erstmals trifft sich die Nato in Lettland: Generalsekretär Jens Stoltenberg / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Zwei Tage lang beraten die Außenminister der 30 Nato-Staaten ab heute in Riga. Schon die Wahl des Tagungsortes ist aussagekräftig, denn gewöhnlich tagen sie in Brüssel. Diesmal aber 2.000 Kilometer nordöstlich. Die Frage der Grenzsicherung an der Ostgrenze der Europäischen Union, an der die Lage der weißrussischen Migrationspolitik wegen immer noch angespannt ist, steht ebenso zur Beratung an wie die Aufarbeitung des überhasteten Abzugs aus Afghanistan. Das sind zwei immens komplexe Themen, die die Tagesordnung alleine füllen könnten. Und doch treten sie hinter den Aufmarsch russischer Truppen an der Westgrenze Russlands zur Ukraine zurück, der von der Nato seit Wochen beobachtet und öffentlich angesprochen wird.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, der als Gast an der Tagung teilnehmen wird, warnte davor, dass Russland wie 2014 die Ukraine militärisch angreifen könnte. Der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg legte sich wegen der russischen Motive für den Truppenaufmarsch nicht fest, wies jedoch darauf hin, dass Russland in der jüngsten Vergangenheit unter Beweis gestellt hat, die Ukraine militärisch angreifen zu können. Der ukrainische Präsident hatte vor wenigen Tagen vor einem gegen ihn gerichteten Putsch im Land gewarnt. Eine im Land unübersichtliche und gewaltvolle Lage könnte Russland einen Vorwand zum Eingreifen liefern. Russland hingegen weist darauf hin, dass es sein gutes Recht sei, Truppen im eigenen Land zu verlegen, wie es dies möchte. Außerdem gehe von Russland keine Gefahr aus.

Asymmetrische Ausgangslage

Außenminister der Nato-Staaten warnen Russland vor einem militärischen Eingreifen. Dass sie dieses selbst mit militärischen Maßnahmen kontern würden, ist sehr unwahrscheinlich. Das ist die asymmetrische Ausgangslage, vor der die schwierige Situation der Ukraine derzeit betrachtet werden muss. Russland verfügt über das schwerwiegendere Interesse und die militärische Eskalationsdominanz. Die Ukraine sucht, weil sie sich selbst in der unterlegenen Lage sieht, die Unterstützung der Nato. Die Nato-Staaten stehen grundsätzlich für die territoriale Integrität der Ukraine ein – „Unabhängigkeit, territoriale Unversehrtheit und Souveränität“ formulierte der deutsche Außenminister –, sind aber wohlüberlegt nicht bereit, dafür eine militärische Auseinandersetzung mit Russland zu riskieren. Dass Russland dazu bereit ist, lässt sich nicht von vornherein ausschließen. Erstens hat es das Interesse, die Ukraine (wie auch Belarus, mit dem schon ein Vertrag über die staatliche Vereinigung besteht) so eng wie möglich an Russland zu binden, zumindest aber zu verhindern, dass andere Mächte – insbesondere die USA – Einfluss auf die und in der Ukraine ausüben. Zweitens hat Russland bewiesen – in Georgien, in der Ukraine –, dass es zu militärischem Eingreifen bereit ist, wenn die Lage dies aus russischer Sicht erfordert oder begünstigt.

Nicht auflösbarer Grundsatzstreit

Hinter dem Konflikt steht also ein zu beiderseitiger Zufriedenheit nicht auflösbarer Grundsatzstreit: Die Ukraine besteht auf ihrem vollumfänglichen Selbstbestimmungsrecht, das ihr Russland aber nicht zugestehen wird. Und es verbirgt sich ein geopolitischer Konflikt darin, ob es dem Westen gelingt, so die russische Sicht, über die Beziehungen zur Ukraine bis an die russische Grenze vorzurücken, oder Russland einen Puffer nach Westen einrichten kann. Solange Russland die Ukraine destabilisieren kann, ist diese Frage nicht entschieden. Zukünftig kann sich dann eine günstige Gelegenheit ergeben.

Was können die Nato-Staaten Russland entgegensetzen? Im Vorfeld der Nato-Außenministertagung wurde von möglichen Wirtschaftssanktionen gesprochen, die Russland ins Kalkül ziehen müsste. Ob dies die russischen Erwägungen nachhaltig beeinflusst, ist nicht bekannt. Die baltischen Staaten – ebenfalls ehemalige Republiken der Sowjetunion – können sich, anders als die Ukraine, des Schutzes der Nato gewiss sein, wie der amerikanische Außenminister Blinken betonte. Die Ukraine will seit 2008 in die Nato aufgenommen werden, was nicht gelang. Denn einige europäische Regierungen sprachen sich, anders als die amerikanische Administration, dagegen aus, die Ukraine in den Nato Membership Action Plan aufzunehmen. So blieb die geostrategische Lage der Ukraine prekär, denn das Land wollte auch nicht tiefer in den russischen Einflussbereich gezogen werden. Daraus resultieren die derzeitigen Entwicklungen

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