Nato-Gipfel zur Ukraine - Vereint gegen Putin

Der Nato-Gipfel in Brüssel hat heute zweierlei gezeigt: Die Länder des westlichen Verteidigungsbündnisses sind in der Frage der Sanktionen gegen Russland geeint. Und das Bündnis setzt nun verstärkt auf Aufrüstung und Abschreckung.

Treffen des Sondergipfels im Nato-Hautquartier in Brüssel / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Es war nicht weltfremd, wenn auch äußerst optimistisch von Präsident Putin, anzunehmen, dass die Sanktionen des Westens wegen Russlands Invasion in der Ukraine nicht allzu heftig ausfallen würden. Erstens waren sie nach 2014, als Russland die Krim annektierte und den Krieg im Osten der Ukraine begann, erträglich ausgefallen. Zweitens waren die USA und die europäischen Staaten über viele Fragen der Russlandpolitik zerstritten. Besonders die deutsche Bundesregierung blieb bei ihren russlandfreundlichen Positionen. Schließlich sollte ein kurzer Waffengang die Ukraine einnehmen, bevor der Streit um Nord Steam 2 und Exportverbote seriös auf dem Verhandlungstisch landete. 

Auch die Geschichte schien auf eine überschaubare Wirkung der Sanktionen hinzudeuten. Abgesehen von Südafrika am Ende der Apartheid und dem Iran am Anfang seines Nuklearwaffenprogramms gab es keine Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit für die treffsichere Wirkung von Sanktionen. Denn neben dem politischen Willen, die ökonomischen Interessen hintanzustellen, war die gesellschaftliche Unterstützung erforderlich. Und so schlecht war der Ruf Russlands – aus russischer Sicht – noch nicht. 

Es war eine Fehlannahme, die jetzt schon Russland an den Rand der Handlungsfähigkeit gebracht hat. Die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen sind nicht nur in den Luxuswohnungen der Oligarchen, sondern beim täglichen Einkauf und in der medizinischen Versorgung zu spüren. Russlands Hoffnung ist nun, dass die Rückwirkungen der Sanktionen in den einzelnen Staaten unterschiedlich hohe Kosten auslösen, sodass die Einheit des Westens daran zerbricht. Diese Hoffnung ist mit dem Nato-Gipfel zerstoben. Die Solidarität hält.  

Die Truppen an der Ostgrenze der Nato werden verstärkt

Das ist die wichtigste Botschaft aus Brüssel, die einzelne Sanktionsmaßnahmen, die nun beschlossen werden – und worin manche Staaten weiter gehen als andere –, überwiegt. Der politische Wille ist stabil, Russland durch finanzielle und wirtschaftliche Sanktionen zur Beendigung des Angriffskrieges zu bewegen. Und die gesellschaftliche Unterstützung ist breit vorhanden, dies mitzutragen. Unternehmen, die sich zuerst scheuten, ihr jahrelang aufgebautes Geschäft einzustellen, konnten sich gegen diese Stimmung nicht halten. Das Image Russlands im Westen wird in den Bildern aus Mariupol eingefangen. Die Millionen Geflüchteten dokumentieren, in welcher Himmelsrichtung die Menschen Schutz suchen: im Westen. Die USA zeigen sich hier mit den europäischen Staaten, die den Großteil der Geflüchteten aufnehmen, solidarisch. Das ist für Präsident Biden, für den Einwanderungspolitik ein schweres Politikkapitel ist, eine innenpolitisch anspruchsvolle Entscheidung. 

Neben der Einheit der Sanktionen ist die Abschreckung die zweite Botschaft des Nato-Gipfels. Die Truppen an der Ostgrenze der Nato werden verstärkt, vier neue Battle-Groups sollen in der Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien stationiert werden. Damit sendet die Nato auch vertraglich ein deutliches Zeichen an Russland. Denn in der Nato-Russland-Grundakte wurde 1997 vereinbart, dass die Allianz ihre Aufgaben „eher dadurch wahrnimmt, dass es die erforderliche Interoperabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung gewährleistet, als dass es zusätzlich substantielle Kampftruppen dauerhaft stationiert“. Das wurde bisher so gehalten: keine dauerhaft stationierten, sondern rotierenden Truppen in überschaubarer Größe. Mit ihrer nunmehrigen Entscheidung bricht die Nato allerdings die Grundakte nicht (anders als Russland, das seit Jahren konstant gegen die dortigen Vereinbarungen verstößt). Denn diese Zurückhaltung war an das „gegenwärtige und vorhersehbare Sicherheitsumfeld“ gebunden. Dass sich dies mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine grundlegend geändert hat, steht außer Frage und lässt sich an den Beschlüssen der Nato ablesen.  

Das Konzept der Abschreckung

Der Angriff Russlands auf die Ukraine wird die europäische Sicherheitspolitik ebenso stark verändern wie die Terroranschläge vom 11. September 2001 die der USA. Allerdings in eine andere Richtung. Nicht die präventive Verteidigung, ein Konzept aus der Zeit der Alleinstellung der USA im internationalen System, das inzwischen Geschichte ist, wird die europäische Sicherheitspolitik anleiten, sondern das Konzept der Abschreckung. Das erfordert nicht nur Truppen und Ausrüstung, sondern auch langfristige Planung und konzeptionelle Abstimmung. Die Sicherheitsgemeinschaft der europäischen Staaten westlich von Belarus und der Ukraine wird so nicht nur intensiver, sondern auch auf Dauer gestellt. Das Militär wird diese Aufgabe professionell lösen. Die politischen Repräsentanten sind gefordert, die Unterstützung in den Gesellschaften in gleicher Professionalität zu organisieren. Denn nationalspezifische politische Kulturen sind für die Abschreckungsleistung des Bündnisses eine Herausforderung. Die Aufgabe, gesellschaftliche Unterstützung für die Abschreckung Russlands zu organisieren, und zwar länger, als die Schrecken des Krieges dauern, nehmen einige der Nato-Staaten als dringlichere Aufgabe mit nach Hause als andere. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass zukünftig ganz verschiedene Sicherheitsgefahren aufschlagen können, nicht nur im Osten der Europäischen Union. Darauf vorbereitet zu sein und dann ebenso solidarisch zu reagieren, könnte aus den Erfahrungen des letzten Monats erwachsen.  

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