Nachruf auf Queen Elizabeth II. - Kraft der Ruhe, Freundlichkeit und Güte

Siebzig Jahre lang saß Queen Elizabeth II. auf dem britischen Königsthron und musste in ihrem langen Leben als Familienoberhaupt und Königin viele Krisen meistern. Dennoch blieb ihr über die Jahrzehnte nichts anderes übrig, als auch innerhalb des Vereinigten Königreichs den Verfall ihrer Macht mit stoischer Höflichkeit zu begleiten – und da zu sein, wenn sich das Volk nach ihr sehnte. Am Donnerstag ist Queen Elizabeth II. im Alter von 96 Jahren verstorben. Eine Würdigung.

Nicht einmal Queen Victoria hatte so lange auf dem Thron ausgeharrt: Königin Elizabeth II. / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Ihre letzte Amtshandlung war es, der neuen britischen Premierministerin Liz Truss die Hand zu schütteln. Auf einen Stock gestützt, stand die 96-jährige Königin Elizabeth II. am 6. September im mintgrünen Sitting Room in ihrem schottischen Lieblingsschloss Balmoral und lächelte. Vielleicht erfreute es sie, dass sie zum dritten Mal eine Frau als Regierungschefin bestellen konnte. Vielleicht aber machte die Queen auch nur ein freundliches Gesicht, weil das eben ihr Job war. 

In Wahrheit war sie bereits sehr gezeichnet von Alter und Krankheit – obwohl bis zum Schluss von den Palastpressesprechern immer nur von „Mobilitätsproblemen“ gesprochen wurde. Als sie am Donnerstagnachmittag starb, wurde nicht mehr über ihren gesundheitlichen Zustand spekuliert. Die längst dienende Monarchin des britischen Königreichs hatte es sich nach allgemeiner Ansicht nach siebzig Jahren auf dem Thron verdient, einfach ihre Augen schließen zu können. Nach Balmoral waren in den Stunden davor ihr Sohn und Thronfolger Charles, dessen Frau Camilla und ihr Enkel und Charles’ Thronfolger William geeilt. Auch Prinz Harry und andere hochrangige Familienmitglieder waren angereist.

Obwohl ihre Nachfolge geklärt ist und mit Charles und William aus Sicht der monarchistischen Briten ausreichend konformistische und stabile Nachfolger bereitstehen, trifft der Tod der Queen die Briten tief. Und nicht nur Engländer, Schotten, Waliser und Nordiren – die vier Nationen ihres Vereinigten Königinnenreiches – zeigten sich bestürzt. Auch die Regierungen der vierzehn unabhängigen Staaten, deren Königin sie war, verhängten Staatstrauer. Das Ableben der Queen wurde zum Weltereignis, die Trauer erfasste auch hartgesottene Nicht-Monarchistinnen auf der ganzen Welt.

Ihr Job war es, über der Politik zu stehen

Als Staatsoberhaupt war die Königin des Vereinigten Königreichs vor allem in den letzten Jahren ihres Lebens zunehmend für viele ihrer Untertanen die Kraft der Ruhe, Freundlichkeit und Güte geworden. Denn ihr Königreich war zerstritten – die Engländer setzten den Brexit durch, die Schotten waren gegen den Austritt aus der EU und drohen im Gegenzug damit, sich unabhängig zu erklären. Die regierende konservative Partei – traditionell dem Königshaus näher als die Labour-Partei – zerrieb sich intern über den populistischen Radikalisierungskurs, den der Brexit und Boris Johnson in Gang gesetzt hatten. Ob die Königin das vulgär fand? Man sollte darüber nicht einmal spekulieren. Ihr Job war es, über der Politik zu stehen. 

Auch deshalb hatte sich die alte Dame zunehmend aufs Lächeln verlegt. Dabei hatte sie in ihren 70 Jahren Regentschaft oft nichts zu lachen. Sie war die längst dienende Monarchin. Nicht einmal Queen Victoria hatte so lange auf dem Thron ausgeharrt. Elizabeth schlug ihre Ururgroßmutter um sieben Jahre. Politisch gesehen war diese Königin Zeugin der großen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts. Trotzdem sie als Königskind beschützt durchs Leben ging, war sie als Teil des britischen Politsystems unmittelbar davon betroffen. 

Repräsentieren lernten sie von Anfang an

Den Zweiten Weltkrieg erlebte sie von Windsor Castle aus. An den Siegesfeiern konnte sie nur teilnehmen, weil sie sich mit ihrer Schwester Margaret unters Volk mischte. Prinzessinnen waren für höhere Schulbildung nicht vorgesehen, ihr wurden von Hauslehrerinnen ein bisschen Geschichte, Sprachen und Literatur beigebracht – tatsächlich musste sie in ihrem späteren Job als Regentin nur noch zeremonielle Tätigkeiten erledigen. Repräsentieren lernte sie von Anfang an. 
 

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Kaum auf dem Thron konnte sie nichts anderes tun, als den Untergang des Britischen Empires mit Würde zu begleiten. Vom 17. bis zum 20. Jahrhundert waren die britischen Monarchen die Oberhäupter des größten Kolonialreiches der Geschichte gewesen. Von den napoleonischen Kriegen bis zum ersten Weltkrieg auch die führende Weltmacht. Doch nach dem zweiten Weltkrieg erklärten sich die Staaten unabhängig – Indien und Pakistan 1947, Burma, das heutige Myanmar, und Ceylon, heute: Sri Lanka, 1948. Mit der Suezkrise endete auch der Einfluss im Nahen Osten. Gamal Abdel Nasser, der Ägypten aus der britischen Einflusszone herausbrechen wollte, setzte sich durch. 

Elizabeth wurde die Königin der Abwicklung. Als Oberhaupt des Commonwealth, der etwas zahnlosen Nachfolgeorganisation des Britischen Empires, reiste Königin Elizabeth II. zwar unermüdlich durch die 56 Mitgliedsstaaten. Doch der Einfluss der Windsors nahm zunehmend ab. Vor allem in den letzten Jahren, als der Queen die Kraft zu fehlen begann, ihrer Tätigkeit als Topmonarchin nachzukommen, wurden auch die Proteste bei den Besuchen der Royals lauter. In Jamaika im März 2022 sahen sich William und Kate vor der Hauptstadt Kingston mit Demonstranten konfrontiert, die Entschädigungszahlungen für die Sklaverei forderten, von der auch das Königshaus profitiert hatte.

Das Parlament hat die Macht

Der Queen blieb über die Jahrzehnte nichts anderes übrig, als auch innerhalb des Vereinigten Königreichs den Verfall ihrer Macht mit stoischer Höflichkeit zu begleiten. Ferien gab es für sie nie – nur über die beiden Weihnachtstage blieb ihr Büro offiziell geschlossen. Seit 1688 ist die Kernnation England eine konstitutionelle Monarchie, die nicht-geschriebene Verfassung schränkt die Rechte der Monarchen ein. Politisch hat nicht die Königin die Macht, sondern das Parlament. 

Es gab zwar immer mal wieder eine kleine Monarchie-Debatte in ihrem Königreich, aber richtig ernst wurde es zu Lebzeiten der Queen nie. Ihre bloß zeremoniellen und repräsentativen Aufgaben wollten ihr die Briten eigentlich nicht wegnehmen. Sie galt als Touristen-Magnet und in den letzten Jahren, in denen Großbritannien durch den Brexit taumelte, auch als Garant der Stabilität. Nicht einmal der kurzlebige Labour-Chef Jeremy Corbyn traute sich, der Königin ins Gesicht zu sagen, dass er sie abschaffen wollte. 

Stiff upper lip etwas steifer unter der Nase

Privat überstand die Queen in ihrem langen Leben viele Krisen. Die meisten hätte sie lieber hinter verschlossenen Palasttoren durchgestanden. Doch das enorme Interesse der Medien an den Palastintrigen – angeheizt durch die intransparente Kommunikationspolitik der royalen Sprecher – führte regelmäßig zu Skandalen. Am Schlimmsten waren für die Clanchefin vielleicht die Jahre, als ihr ältester Sohn und Thronfolger Charles und dessen Frau Diana sich 1992 trennten und Diana 1997 bei einem Autounfall starb.

Dass Diana, die „Prinzessin der Herzen“, viel beliebter war als der verschrobene Thronfolger Charles, fand die Queen unter Umständen wenig hilfreich für die royale Selbstbehauptung. Klatsch und Tratsch rund um die Scheidung kann die traditionsbewusste Monarchin auch nur als weitere Nägel im Sarg der Monarchie wahrgenommen haben. In diesen Jahren wirkte die Königin ein bisschen hartherzig. Unter Umständen war auch das bloß ein Missverständnis – bei den Engländern sitzt die stiff upper lip eben etwas steifer unter der Nase als bei anderen Völkern. 

Mehr amüsiert als pikiert

Obwohl jedes kleinste Detail ihres Lebens endlos oft zu jedem Jubiläum immer wieder von allen Weltmedien durchgekaut worden ist, blieb die Queen bis zuletzt eine erstaunlich private Person. Sie stand zwar ständig im Vordergrund, drängte sich aber nicht dorthin. Peinlich aufs Protokoll bedacht, tänzelten Besucher und Besucherinnen mit Verbeugungen und Hofknicksen vor ihr herum. Eine Absurdität im 21. Jahrhundert. Nur einer durchbrach das Hofritual. Als Donald Trump 2019 in Windsor vorbeikam, latschte er – statt demütig hinter ihr herzugehen – vor der Queen ins BBC-Bild. Sie wirkte mehr amüsiert als pikiert. So etwas war ihr noch nie passiert. 

Dabei war es ihr nicht in die Wiege gelegt worden, dass sie als schier ewige Königin 15 britische Regierungschefs und -chefinnen erleben würde (müssen). Als sie am 21. April 1926 in Mayfair in London geboren wurde, war sie zwar als erstgeborene Tochter des Herzogs von York eine echte Prinzessin. Königin aber wurde sie durch einen royalen Unfall: König Edward VIII. musste abdanken – bis heute ist nicht ganz geklärt, welcher Grund dafür ausschlaggebend war: Dass Edward eine geschiedene Amerikanerin heiraten wollte oder dass er Adolf Hitler bewunderte. 

Elizabeths Vater George VI. folgte seinem Bruder als König nach und seine Erstgeborene dann ihm mit nur 25 Jahren im Februar 1952. Sie wurde erst mit gewisser Verzögerung 1953 gekrönt. Bis zum Frühling 2021 stets an ihrer Seite: Prinz Philip. Bis auf die Zeiten, wenn er mit seinen Affären beschäftigt war. Das wiederum weiß die Öffentlichkeit aber natürlich nicht aus einer autorisierten Biografie, sondern aus „The Crown“, der fiktiven Fernsehserie von Peter Morgan, die das Bild der Queen mehr geprägt hat als die stets überaus reservierten Presseaussendungen der PR-Strategen im Palast.

Operation London Bridge hat begonnen

Kaum wurde der Tod der Königin verkündet, begann Operation Einhorn – so hieß der längst bis ins kleinste Detail vorbereitete Plan für den Fall ihres Ablebens in Schottland. Sollte sie nicht mit dem Zug transportiert werden können, tritt Operation Overstudy in Kraft. Für England lag seit langem Operation London Bridge in der Schublade. Flaggen auf Halbmast, Staatstrauer – in London dauert der Abschied jetzt mindestens zehn Trauertage. Die Königin wird am sechsten Tag nach ihrem Ableben im Westminister-Palast aufgebahrt. Drei Tage lang, 23 Stunden pro Tag, können sich die Untertanen von ihr verabschieden. Am zehnten Tag findet ihr Begräbnis in der Westminster Abbey statt. Ihr Grab ist neben dem ihres Vaters in Windsor. 

Bis dahin hält dann bereits ihr Sohn Charles das Zepter in der Hand. Noch ist nicht klar, ob er sich König Charles III. nennen wird oder einen anderen Namen wählt. Der 73-jährige Königinnensohn hat schon einige Jahrzehnte in der Warteschleife hinter sich. Bereits in den vergangenen Monaten musste er aber wichtige Funktionen von seiner Mutter übernehmen. So zum Beispiel im vorigen Mai die Eröffnung des Parlaments mit der Queen’s Speech, in der die Königin das Regierungsprogramm verliest.

Aus Höflichkeit nennen alle diese Rede „ihr“ Regierungsprogramm, in Wahrheit aber wird es längst nicht mehr im Buckingham Palast, sondern in Downing Street von der Regierungsspitze geschrieben. Trotzdem hat die pflichtbewusste Queen nur zwei Mal vor diesem Mai die Queen’s Speech verpasst – weil sie schwanger war. Das war in diesem Frühling bereits 59 Jahre her.

Angesicht der Skandale rund um ihre vier Kinder und acht Kindeskinder war Elizabeth II. unter Umständen vielleicht nicht nur dienstbeflissen und pflichtbewusst. Vielleicht war sie auch von der Angst getrieben, dass nach ihrem Abtreten die ganze Institution abgeschafft werden könnte. Die Reputation steht auf dem Spiel, sollten sich Prinz Harry und Meghan nicht entscheiden können, ob sie lieber Royals oder Hollywood-Stars spielen wollen.. Oder das schwarze Schaf der Familie, Prinz Andrew, sich wieder in einen neuen Skandal verwickelt.  

Lang lebe der König

„Die Queen war eine großartige Repräsentantin ihrer Zunft. Als sie an die Macht kam, konnte man als Monarchin noch eine mystische Figur sein“, sagte die Journalistin und Queen-Expertin Tina Brown im Cicero-Interview im Juni, als sie in London ihr Buch „Palace Papers“ präsentierte: „Heute geht das nicht mehr, die Medien würden ständig über Philips Affären berichten.“ Die Unnahbarkeit war Teil ihres Erfolges, weshalb Elizabeth II. auch nur in den seltensten Fällen ein Interview gab. 

Gleichzeitig schaffte es die Queen trotz ihrer 96 Jahre noch mit der Zeit zu gehen. Im Juni lud sie Paddington Bär zum Tee ein. Der hatte zwar keine Ahnung vom Hofprotokoll und schlürfte erst mal den royalen English Tea direkt aus der Kanne. Aber als er ein Marmeladenbrot aus seinem roten Schlapphut zog, stand sie ihm in nichts nach und holte ihrerseits eines aus ihrer Handtasche. Der niedliche kleine Sketch, den die BBC zum 70. Thronjubiläum drehen durfte, entwickelte sich zu einem der größten PR-Coups ihrer Regentschaft. Rund sechs Millionen Zuschauer haben ihn auf dem YouTube-Kanal der Royals angeklickt. 

Ob König Charles III. diesen Spagat zwischen königlicher Distanz und moderner Volksnähe schaffen wird? Vor 70 Jahren, als seine Mutter von seinem Großvater übernahm, titelten die Zeitungen: „Der König ist tot, es lebe die Königin.“ Jetzt geht die Verantwortung auf Charles über. Für die Briten heißt das: „The queen is dead. Long live the king.“

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