Münchner Sicherheitskonferenz - Macron und der europäische Traum

Der französische Präsident nahm dieses Jahr nicht nur an der Münchener Sicherheitskonferenz teil, sondern stand auch Rede und Antwort im Gespräch mit Leiter Wolfgang Ischinger. Dabei lag sein Fokus, wie kaum anders zu erwarten, auf Europa.

Emmanuel Macron als Gast auf dem Podium der Münchner Sicherheitskonferenz / picture alliance
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Kay Walter arbeitet als freier Journalist in Frankreich

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Emmanuel Macron kam zum ersten Mal zur Münchener Sicherheitskonferenz und drückte ihr gleich seinen Stempel auf. Er war der uneingeschränkte Star, sein Beitrag der Dreh- und Angelpunkt der Konferenz. Das lag an dem, was er sagte, vor allem aber auch an dem, wie er es sagte. Am erstaunlichsten: Das hörte sich bisweilen an, wie Gerhard Schröder renewed.

Abgewogene Analysen

Samstagvormittag im großen Konferenzsaal des Hotel Bayerischer Hof, Auftritt des französischen Präsidenten. Keine Rede an das versammelte Auditorium, auch keine absichtlich gesetzten Provokationen à la „Hirntod der NATO“, stattdessen ein entspannter, diskussionsfreudiger Macron im offenen Frage-und-Antwort-Modus mit dem Leiter der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger.

Kein vorbereitetes Skript mit wohl abgewogener Analyse, sondern klare Antworten auf Fragen vom Konferenzleiter und aus dem Publikum. Und man merkt sofort, da ist jemand inhaltlich absolut im Film und vollkommen überzeugt, von dem was er sagt. Auf der vorderen Kante des Stuhls sitzend, mal englisch, mal französisch antwortend, argumentiert Macron. Tenor: Europa muss wieder Lust auf Zukunft haben. Es muss deshalb dringend selbstbewusster und eigenständiger werden. Und das in jeder Hinsicht, auch und gerade militärisch.

„Ich bin nicht frustriert, ich bin ungeduldig“

Noch spannender als die inhaltlichen Ausführungen sind Haltung und Gestus, in der sie vorgetragen werden. Keinerlei Abgrenzung ex-negativo von den USA. Weil die sich unter Donald Trump auf einen gefährlichen Unilateralismus zurückziehen würden, wäre Europa gezwungen, sich auf sich selbst zu beziehen – so ließ es die Eröffnungsrede von Bundespräsident Steinmeier anklingen. Macron widerspricht, argumentiert offensiv und nach vorne gerichtet: Europa hat die Pflicht und die Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen! Basta!

Das klang auch sonst wie weiland Gerhard Schröder. Dessen Mantra „Ich bin nicht an Problemen interessiert, sondern an Lösungen“ lautet bei Macron: „Ich bin nicht frustriert, ich bin ungeduldig“. Der Kern ist der gleiche. Europa, so Macron, habe eine beispielgebende Kultur des friedlichen Miteinanders und des demokratischen Dialogs entwickelt; Europa habe die Aufgabe, das weiterzugeben.

Europa und nur Europa

Europa habe eigene Interessen, die es vertreten müsse, wo nötig auch militärisch. Es dürfe sich also nicht selbst verzwergen und ins Abseits stellen, sondern müsse mutig vorangehen. Das sei auch und gerade ökonomische Notwendigkeit, wolle Europa nicht abgehängt werden. Diese Argumentationslinie zieht sich als roter Faden durch alle Reden Macrons, seit er zur französischen Präsidentschaftswahl angetreten ist.

So auch durch den Auftritt in München: Europa und nur Europa kann eine positive Entwicklung seiner Einzelstaaten garantieren. Frankreich ist mit der force de frappe eine militärische Macht und zudem Mitglied im Weltsicherheitsrat – eine Position, die Frankreich im Übrigen nie aufgeben oder teilen würde. Deutschland ist ebenso zweifelsohne eine zentrale wirtschaftliche Macht. Aber selbst beide zusammen werden, so Macron, in der Welt der nahen Zukunft nur dann weiter eine wichtige Rolle spielen können, wenn sich mit den anderen europäischen Staaten enger zusammenschließen. Außerdem müssen sie schneller in ihren Entscheidungsstrukturen werden.

Dialog als Prämisse

Deshalb muss auch die EU für Macron besser und handlungsfähiger werden. Sein Angebot: Ein „strategischer Dialog“ über die militärische Zusammenarbeit. Er will, dass Europa in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, ob in Libyen, dem Irak oder dem Balkan eigenständig handlungsfähig wird. Nicht, weil die USA die Aufgabe nicht mehr übernehmen wollen, sondern weil es schlicht Europas eigener Job sei, egal was in Washington gerade gedacht werde.

Identisch definiert Macron auch seine Position zu China und Russland. Die eigenen Interessen seien der Maßstab im Umgang auch mit diesen Großmächten. Und plötzlich klingt Emmanuel Macron nach Willy Brandt: Man darf sich keinen Illusionen über Putin hingeben, aber Russland ist unser Nachbar. Nur wenn wir miteinander reden, könnten sich die Dinge verbessern, erklärt Macron.

Keine verzagte Angst vor Veränderung

„Wandel durch Annäherung“, hieß das in den Redemanuskripten von Egon Bahr. Mehr als untypisch für einen Franzosen, argumentiert Macron gar mit dem Mittelstand. Als Zentrum der Gesellschaft brauche dieser eine positive Vision, klaren Kurs, wohin es gehe und vor allem Vertrauen in die Zukunft und Lust auf deren Gestaltung. Das schütze am besten gegen Rechtsextremismus, erklärt er noch dazu.

Zusammengefasst wirkt das alles, man muss das so sagen, wie eine ur-sozialdemokratische Rede aus den siebziger Jahren - ungemein modern und mitreißend. Da war kein taktisches Abwägen, kein kleinster gemeinsamer Nenner aus Furcht vor einem falschen Schritt. Auch keine verzagte Angst vor Veränderung. Stattdessen Lust auf Gestaltung. Es geht voran.

Der einzige Blick in die Zukunft

Dagegen hatte US-Außenminister Mike Pompeo leider keinen Ausblick im Angebot. Seine Rede bezog sich im Wesentlichen rückwärts auf  Macrons Hirntod-Satz aus dem vergangenen Jahr. Der sei falsch, alles sei im Gegenteil bestens und: „Der Westen gewinnt – überall und gemeinsam“. Die Einschätzung hatte er im Saal der Sicherheitskonferenz ziemlich exklusiv. Das muss man glauben wollen. Auch von Sergej Lawrows Rede in München wird wenig in Erinnerung bleiben.

Sein Fokus lag darauf, die Kritik an Russlands Syrien-Politik zurückzuweisen – auch nicht erhellend. Bei der deutschen Delegation galt: Ähnlich kleines Karo. Ob nun Außenminister Heiko Maas oder Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die abgelehnt hatte, vor Macron zu reden – warum eigentlich? Denn auch einen Tag später, wusste sie nur zu sagen, dass Deutschland mehr Verantwortung übernehmen müsse und wolle. Eben das hatte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier schon 2014 an gleicher Stelle erklärt. Seitdem wird es ständig wiederholt. Aber nicht nur in Frankreich wartet man bis heute auf die realpolitischen Konsequenzen.

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