Merkels Abschiedsbesuch in Israel - Inszenierte Feier bilateraler Beziehungen

In Israel wird Angela Merkel von Linken wie Rechten hochgeschätzt. Dennoch war Merkels Beziehung zum Jüdischen Staat und seinen wechselnden Ministerpräsidenten nie frei von Spannungen. So kritisiert die scheidende Bundeskanzlerin seit Langem Israels Siedlungspolitik im Westjordanland.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der israelische Ministerpräsident Naftali Bennett nehmen an einer Sitzung des israelischen Kabinetts teil / dpa
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Mareike Enghusen berichtet als freie Journalistin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vornehmlich aus Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Sie hat Politik- und Nahostwissenschaften studiert und ihre journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolviert.

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Einen wärmeren Empfang hätten die Israelis der deutschen Bundeskanzlerin kaum bieten können. Geradezu überschüttet mit Lob und Ehrerbietung wurde Angela Merkel auf ihrem Abschiedsbesuch in Israel: Ministerpräsident Naftali Bennett pries Merkel als „moralischen Kompass des gesamten europäischen Kontinents“, sein Kabinett hielt eine besondere Sitzung zu ihren Ehren ab, das Technion, Israels angesehene technische Hochschule, verlieh Merkel die Ehrendoktorwürde, und das nicht minder prestigeträchtige Weizmann-Institut verkündete die Einrichtung eines Stipendiums, das ihren Namen tragen soll. Auch Israels meinungsstarke Medien waren sich ungewöhnlich einig: „Eine wahre Freundin“, betitelte die linke Zeitung Haaretz einen Rückblick auf die Israelpolitik der Kanzlerin. „Abschied einer Freundin“, pflichtete ihr das rechte Gratisblatt Israel Hayom bei.

In Deutschland genießt die Kanzlerin weiterhin hohe Beliebtheitswerte, dennoch musste sie in den vergangenen Jahren von verschiedenen Seiten scharfe Kritik einstecken, sei es für ihre Flüchtlingspolitik, ihren Schlingerkurs bei der Ehe für alle oder die Verwässerung des konservativen Profils der CDU. In Israel dagegen wird Angela Merkel von Linken wie Rechten hochgeschätzt: Es gilt zu großen Teilen als ihr Verdienst, dass sich die bilaterale Beziehung während ihrer Amtszeit noch vertieft hat. So rief die Kanzlerin die deutsch-israelischen Regierungskonsultationen ins Leben, die seitdem etwa alle zwei Jahre stattfinden, und setzte sich für die Gründung eines deutsch-israelischen Jugendwerks ein. Ihre berühmte Aussage, Israels Sicherheit sei Teil der deutschen Staatsräson, wird bis heute von israelischen Reportern zitiert. Die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Merkel erklärte das Technion unter anderem mit ihrer „kontinuierlichen und standhaften Unterstützung des Staates Israel“.

Differenzen auch beim iranischen Atomprogramm

Dennoch war Merkels Beziehung zum Jüdischen Staat und seinen wechselnden Ministerpräsidenten nicht frei von Spannungen, persönlicher wie politischer Natur. Ihr Verhältnis zu Bennetts Vorgänger Benjamin Netanjahu wirkte stets unterkühlt; dass sie ihn, nun immerhin in der Rolle des Oppositionsführers, bei ihrem Besuch nicht traf, festigt den Eindruck noch. Zudem kritisiert Merkel seit Langem Israels Siedlungspolitik im Westjordanland, die sie wie viele andere europäischen Politiker als Hindernis auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung beschreibt. Netanjahu wehrte diesen Vorwurf stets ab – und ist nun abgelöst worden von einem Politiker, der als einer der führenden Vertreter der Siedlungspolitik gilt: Naftali Bennett, Vorsitzender der rechts-religiösen Yemina-Partei. Die inhaltlichen Differenzen zwischen ihm und Merkel kamen am Sonntag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz zur Sprache: Während die Kanzlerin zum wiederholten Mal ihre Einschätzung äußerte, eine Zwei-Staaten-Lösung könnte auch für Israel Frieden schaffen, erklärte Bennett, ein Palästinenserstaat würde sich vermutlich bald in einen „Terrorstaat“ verwandeln, der aus nächster Nähe israelische Städte unter Beschuss nähme.

Auch im Hinblick auf Irans Atomprogramm gehen die Meinungen auseinander. Die Kanzlerin meint zwar, das 2015 geschlossene Abkommen zur Eindämmung des Programms sei „alles andere als perfekt“, aber immer noch besser als nichts. Bennett dagegen hält das Abkommen für gefährlich durchlässig und plädiert für härtere Sanktionen sowie militärische Abschreckung, um Teheran am Bau einer Bombe zu hindern.

Dennoch waren beide Seiten sichtlich bemüht, die Bedeutung der Meinungsverschiedenheiten zumindest vor den Kameras herunterzuspielen. Israelis und Deutsche inszenierten Merkels Reise als Feier der bilateralen Beziehungen und als Abschiedsbesuch einer hochgeschätzten Freundin. Vielleicht steckte darin auch eine Botschaft an Merkels Nachfolger: Schau, wie prächtig wir, Israelis und Deutsche, uns verstehen – bitte sorge dafür, dass das so bleibt.

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