Malteserorden in der Krise - Manche leben noch so fürstlich, als hätte es die französische Revolution nie gegeben"

Die Malteser sind eine weltweit agierende Hilfsorganisation. Doch im Hintergrund agiert ein uralter Orden mit schillernden Figuren und schlummernden Skandalen. Nun hat der Papst eingegriffen – aber offenbar ultrakonservative Seilschaften an die Macht gebracht. Was steckt dahinter? Im Interview erklärt der Autor Constantin Magnis, der ein Enthüllungsbuch über die Malteser geschrieben hat, die Hintergründe.

Papst Franziskus 2013 mit dem einstigen Chef des Ordens, Großmeister Matthew Festing / dpa
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Benjamin Leven, promovierter Theologe und Journalist, ist Vatikan-Experte und war Redakteur der Zeitschrift Herder Korrespondenz in Berlin und Rom.

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Constantin Magnis, Journalist und Autor, hat im Jahr 2020 ein Enthüllungsbuch über die Malteser veröffentlicht. Es heißt Gefallene Ritter. Malterserorden und Vatikan - Der Machtkampf zwischen zwei der ältesten Institutionen der Welt. Seine Familie ist selbst seit Generationen in dem Orden vertreten.

Herr Magnis, vor Kurzem sorgte die Nachricht für Aufsehen, dass Papst Franziskus dem Malteserorden neue Regeln gegeben und seine bisherige Leitung abgesetzt hat. Hierzulande kennt man den Malteser-Hilfsdienst als Betreiber von Rettungsdiensten, Altenheimen oder Sozialstationen. Die Malteser sind aber auch ein katholischer Ritterorden und ein souveränes Völkerrechtssubjekt. Das klingt geheimnisvoll. Was hat es damit auf sich? 

Da tut sich eine phantastische Welt auf. Dieser Orden wurde im 11. Jahrhundert gegründet, zur Zeit der Kreuzzüge, um Arme und Kranke aus allen Religionen zu pflegen. Das war damals eine radikale Idee. Wir sehen heute die Rettungswagen des Malteser-Hilfsdienstes durch die Straßen fahren. Aber dahinter steht ein Ritterorden mit einem Regierungspalast in Rom, mit diplomatischen Beziehungen zu über 100 Staaten, einem Sitz in der UNO und eigener Währung. Geleitet wird der Orden von einem Großmeister, der bis vor Kurzem auf Lebenszeit gewählt wurde. In der katholischen Kirche hat er den Rang eines Kardinals. Gleichzeitig ist er ein Staatsoberhaupt und der letzte Fürst des längst untergegangenen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Auch der Deutsche Albrecht von Boeselager, der bisherige Großkanzler des Ordens, musste jetzt seinen Hut nehmen. Vor sechs Jahren wollte ihn schon einmal jemand rauswerfen: Der damalige Chef des Ordens, Großmeister Matthew Festing. Boeselager rief den Vatikan zur Hilfe. Am Ende musste nicht Boeselager, sondern Festing seinen Posten räumen. Ging es damals nur um die – für eine katholische Institution problematische – Verteilung von Kondomen bei Hilfsprojekten, die Boeselager Festing verheimlicht haben soll?

Nein, das war ein vorgeschobener Grund, mit dem man Boeselager – und mit ihm die deutsche Vorherrschaft im Malteserorden – loswerden wollte. Die damalige Führungskrise hatte mit einem Machtkampf zu tun, der im Orden schon seit Jahrzehnten schwelt. Als Brandbeschleuniger von außen kam der ultra-orthodoxe US-Kardinal Raymond Burke dazu, den der Papst erst degradiert und dann in den Malteserorden geschickt hatte, um dort Freimaurer zu jagen! Der wollte dann im Orden ein Exempel im Kampf gegen den Zeitgeist statuieren. Das alles hat einen Riesenwirbel verursacht und am Ende dazu geführt, dass der Orden unter die Aufsicht des Vatikans gestellt wurde.

Wer sind die Parteien in diesem Machtkampf?

Vereinfacht gesagt, stehen auf der einen Seite die alten europäischen Assoziationen – also die nationalen Ableger des Ordens – in Deutschland, der Schweiz, England, Frankreich und einigen anderen Ländern. Diese Assoziationen tragen einen Großteil der humanitären und karitativen Aktivitäten des Ordens – mit einem Umsatz von insgesamt ungefähr zwei Milliarden Euro und Hilfsprojekten überall auf der Welt. Die andere Partei besteht vor allem aus den Assoziationen Italiens und der Vereinigten Staaten – und den sogenannten Professrittern. 

Wer ist das?

Die Professritter sind diejenigen, die lebenslange Ordensgelübde abgelegt haben: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Sie stellen den sogenannten Ersten Stand des Ordens – und ihnen sind die wichtigsten Leitungspositionen vorbehalten. Von den über 13.000 Maltesern gehören aber nur ein paar Dutzend Leute diesem Stand an.

Was werfen sich die Parteien gegenseitig vor?

Über die Professritter sagen ihre Kritiker: Wie soll dieser kleine Haufen alter Herren eine global aktive Hilfsorganisation führen? Dafür ist in diesem Kreis schlicht zu wenig Kompetenz vorhanden. Man hält sie aber auch für geistlich nicht kompetent: Viele würden ihre Gelübde kaum leben, heißt es. Vom Armutsgelübde waren sie bisher ohnehin durch eine päpstliche Sondererlaubnis befreit. So sieht man sie als Club von teilweise schwerreichen Witwern und Junggesellen, die sich ihren Lebensabend mit einem Status als Professritter veredeln.

Autor Magnis

Immer wieder machen auch Gerüchte über sexuelle Eskapaden und Alkoholismus die Runde. Und ein Teil von ihnen lebt immer noch so fürstlich im römischen Magistralpalast, als hätte es die französische Revolution nie gegeben. Aus römischer Sicht wiederum gelten die deutschen Malteser als viel zu säkular, insbesondere das Hilfswerk „Malteser International“ in Köln. Tatsächlich ist es eine große Herausforderung für die Malteser, ihren gigantischen Apparat auch mit ihrem Geist zu füllen. Die vielen Tausend Mitarbeiter, die weltweit in Hilfsprojekten arbeiten, haben mit dem Orden selbst oft überhaupt nichts zu tun.

Papst Franziskus machte damals den italienischen Kardinal Giovanni Becciu, die Nummer zwei des vatikanischen Staatssekretariats, zum päpstlichen Sonderbeauftragten. Er trug dem Orden auf, sich zu reformieren. Was ist seitdem geschehen?

Es gab ein groß angelegtes Reformseminar: Hunderte Malteser haben über Monate an einer Reformagenda gearbeitet. Aber dann ging nichts weiter, die Ergebnisse landeten in der Schublade. Dann stürzte Becciu über einen Finanzskandal im Vatikan und wurde durch Kardinal Silvano Tomasi ersetzt. Und der präsentierte in diesem Jahr auf einmal einen Vatikan-Entwurf für eine neue Ordensverfassung – zum kompletten Schock der meisten Ordensfunktionäre. 

Noch vor wenigen Wochen hat Erich von Lobkowicz, der Präsident der deutschen Assoziation, zusammen mit weiteren Präsidenten den Papst in einem offenen Brief gebeten, die Pläne zu stoppen. Warum?

Weil der Vorschlag des Vatikans nichts mit dem zu tun hat, was die Präsidenten sich als sinnvolle Reform vorgestellt hatten. Nach den Erfahrungen mit Festing, der am Ende völlig dysfunktional und gleichzeitig autoritär regiert hatte, war ein Kernanliegen die Begrenzung der Vollmachten des Großmeisters gewesen. Außerdem ging es darum, die Teile des Ordens, die für die großen humanitären Werke verantwortlich sind, effizient und handlungsfähig zu machen.

Die Verfassung, die der Papst jetzt – über alle Instanzen und Gremien der Malteser hinweg – in Kraft gesetzt hat, läuft auf das glatte Gegenteil hinaus. Die Macht des Großmeisters hat keine Schranken mehr. Die Länder, die über 90 Prozent der weltweiten Ordenswerke verantworten, haben in der Ordensregierung praktisch überhaupt nichts mehr zu sagen. Alle Verantwortung liegt nun in den Händen der Professritter. In der provisorischen Ordensregierung, die der Papst jetzt eingesetzt hat, sitzen auch Leute, die in die schlimmsten Skandale der letzten Jahre verwickelt waren. Und teilweise stehen sie für genau die Dinge, die der Papst eigentlich ablehnt: Elitäre Netzwerke in Italien, militanter Traditionalismus und ultrakonservativer US-Katholizismus mit Schnittmengen ins Alt-Right-Milieu.

Lange Zeit sah es so aus, als würde der Vatikan ganz im Sinne des deutschen Lagers im Orden agieren. Wie erklären Sie sich diese Wendung?

Zum einen wurde in den letzten fünf Jahren von den Italienern im Hintergrund sehr gute Lobbyarbeit bei den Kardinälen gemacht. Und gleichzeitig war die Ordensregierung mit Albrecht von Boeselager vielleicht zu zurückhaltend. Man hat eher passiv agiert und sich das Heft aus der Hand nehmen lassen. Dazu kommt: Wenn Deutsche beim Papst mit Milliardenumsätzen argumentieren, stößt ihn das eher ab. Und zuletzt würde ich sagen: Ich bin mir nicht sicher, ob Franziskus es wirklich gut mit dem Orden meint.

Warum?

Es gab eine Episode in Argentinien, wo Mitglieder des Malteserordens versucht haben, ihn als Erzbischof von Buenos Aires zu stürzen. Seitdem ist ihm der Orden grundsätzlich suspekt. Und mit Akteuren, die ihm suspekt sind, geht Franziskus auf eine paradoxe Art um: Er bringt sie in Situationen, die zwangsläufig eskalieren müssen und schaut zu, wie sie sich selbst demontieren.

Sie glauben also, dass der Papst nach sechs Jahren der Intervention die Lösung darin sieht, eine weitere Eskalation zu provozieren?

Ich fürchte, das ist eine Möglichkeit, die nicht ganz unplausibel ist. Papst Franziskus hat damals ausdrücklich gesagt, das Ziel der Reform müsse die moralische und spirituelle Erneuerung der Professritter sein. Die Professen haben sich aber rundweg geweigert, ihren Lebensstil zu ändern. Und trotzdem legt er nun den ganzen Orden diesen alten Herren in den Schoß und schaut zu, was passiert. Auf dem Papier ist das eine kirchenrechtlich saubere Lösung. Es ist ein Orden der Kirche und Ordensmänner leiten ihn. Es sind vielleicht zweifelhafte Ordensmänner, aber zumindest sind es seine Ordensmänner. Und wenn es schief läuft, kann er sich den Orden immer noch ganz einverleiben.

Gibt es Nachwuchs für die Professritter?

Es gibt wohl einige Kandidaten. Aber ich glaube nicht, dass diese Gruppe, so wie sie jetzt aussieht, besonders anziehend für Männer ist, die eine echte religiöse Berufung verspüren. Wenn man als junger Mensch nach einer Gemeinschaft sucht, um Jesus nachzufolgen und sein Leben ganz in den Dienst von Armen und Kranken zu stellen, dann sind momentan die Professritter des Malteserordens wirklich nicht die ersten, die einem einfallen.

Wird die unterlegene Partei nun kooperieren?

Ich denke schon. Erstens sind die Malteser grundsätzlich papsttreu. Zweitens gibt es viele jüngere Leute im Orden, die sagen: So geht es nicht weiter, wir müssen uns irgendwie zusammenraufen. Die beiden Lager haben sich über Jahrzehnte gegenseitig nichts gegönnt. Nach jeder neuen Regierungswahl hat die eine Partei die andere komplett ausgekehrt. Mit der Folge, dass jedes Mal eine Gruppe rachdurstiger Verschwörer entstand, die versucht hat, bei den nächsten Wahlen wieder an die Macht zu kommen.

Als Festing zurücktreten musste, saßen alle seine Freunde vor der Tür und konnten fünf Jahre lang Rachepläne schmieden. Jetzt sitzen sie selbst in der Regierung und haben dafür gesorgt, dass kein Einziger aus dem deutschen Lager dabei ist. Ob nun eine Versöhnung gelingt, hängt aber auch davon ab, wie der zukünftige Großmeister agieren wird. Derzeit gibt es einen vom Papst im Juni 2022 eingesetzten Übergangsleiter. Anfang 2023 stehen Wahlen an. Wird der Großmeister dann auch auf die Ordenswerke in Deutschland Einfluss nehmen wollen? Oder will er sogar etwas ab vom Kuchen? Ein Alptraumszenario für die Deutschen wäre wohl, wenn sie das Budget des aufgeblähten römischen Magistralpalastes mitfinanzieren müssten.

Haben die Malteser eine Zukunft?

Eine Sache macht mir Hoffnung. Es gab in der Ordensgeschichte krasse Abirrungen vom Gründungsgeist. Die Malteser haben sich Sklaven genommen, sie haben rumgehurt, sie waren Piraten, waren Kriegsherren, waren Freimaurer – alles, was man nicht darf, haben sie gemacht. Trotzdem haben sie in über tausend Jahren den Dienst an den Armen und Kranken nie aufgegeben. Aus meiner Sicht ist das der Grund dafür, dass es dieser Orden geschafft hat, alle Weltkriege, Revolutionen und Zeitenwenden der letzten tausend Jahre zu überstehen. Deswegen glaube ich, dass sie auch die aktuelle Krise überstehen werden, solange sie diesen Dienst weiter verrichten. Das ist das, was die Malteser über alle Lager hinweg miteinander verbindet.

Die Fragen stellte Benjamin Leven

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