US-Verteidigungsminister in Berlin - Deutschlands Beitrag bleibt überschaubar

US-Verteidigungsminister Austin besuchte als ersten Staat in Europa Deutschland. Die Freude war groß – auch über die Zusage, dass die USA ihr Militärpersonal in Deutschland aufstocken werden. Bei der Gestaltung sicherheitspolitischer Aufgaben wird Deutschland aber in Zukunft nur einen begrenzten Spielraum haben.

Annegret Kramp-Karrenbauer empfängt US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Berlin / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Der Bundesministerin der Verteidigung, Kramp-Karrenbauer, stand die Freude ins Gesicht geschrieben, dass der neue amerikanische Verteidigungsminister Austin als ersten Staat in Europa Deutschland besuchte. Von Israel kommend und über einen Stopp bei der NATO auf dem Weg nach London, traf er in Berlin ein. Seine wichtigste Nachricht war, dass die USA ihr Militärpersonal in Deutschland um 500 aufstocken werden. Sie sollen in Wiesbaden die Kräfte für elektronische Kriegsführung verstärken. Schon vorher hatte Präsident Biden die Abzugspläne für 12.000 Soldaten aus Deutschland, die Präsident Trump verfügt hatte, vom Tisch genommen. Ob diese Entwicklung die Position Deutschlands in Sicherheitsfragen stärkt, hängt allerdings davon ab, wie sich die Bundesregierung verhält.

Die berühmten zwei Prozent

Dabei geht es erst einmal darum, anstehende Probleme zu lösen. Dies wird zweitens von der Aufgabe überschattet, die europäische Sicherheit und die Zukunft der NATO neu zu konzipieren. Denn das sicherheitspolitische Umfeld wandelt sich aufgrund geopolitischer Veränderungen und technologischer Entwicklungen. Davon später. Denn um sich auf die zukünftigen Aufgaben konzentrieren zu können, müssen alte Konflikte gelöst werden. So werden die USA ihren Einsatz in Afghanistan symbolträchtig zum 11. September 2021 beenden. Die Bundeswehr, die dort mit 1.300 Kräften im Einsatz steht, wird die amerikanischen Entscheidungen schlicht nachvollziehen. Eigenen Handlungsspielraum hat die Bundesregierung nicht. Durch welche Maßnahmen die Taliban von der Kontrolle des ganzen Landes abgehalten werden sollen – und ob überhaupt – werden die nächsten Wochen zeigen. 

Als besondere Zuarbeit Deutschlands stellte die Bundesministerin heraus, dass ab Sommer die Fregatte Bayern in den Indo-Pazifik entsendet wird. Dies soll globales Engagement symbolisieren und zur freien Schifffahrt im südchinesischen Meer ebenso beitragen wie zur Kontrolle des Waffenembargo gegen Nord-Korea, wie sie in der Pressekonferenz betonte. Es ist auch wirklich nicht viel mehr als ein Symbol und deckt die mangelnden Fähigkeiten der deutschen Streitkräfte erneut auf. Die „Armee ohne Auftrag“ (so der Titel von Wilfried von Bredows lesenswertem Buch) ist für kollektive Verteidigung, die zentrale Aufgabe der NATO weder materiell noch konzeptionell gerüstet. Auch wenn die amerikanische Regierung öffentlich nicht mehr so laut wie in den Jahren zuvor mehr Verteidigungsausgaben fordert, das Ziel verfolgt sie weiter. Die Bundesregierung betont, mit 1,5 schon auf dem Weg zu den berühmten zwei Prozent zu sein, die sie zugesagt hat. 

Russland stand nicht auf der Tagesordnung

Russlands Truppenbewegungen auf die Grenze zur Ukraine zu sowie die Fertigstellung der Pipeline Nord-Stream 2 standen nicht an erster Stelle der Gespräche. Das überrascht, zeigt aber gleichzeitig, dass die amerikanische Regierung im ersten Fall Deutschland nicht als ernsthaften Allianzpartner ansieht – was sollte die Bundesregierung hier beitragen, außer beschwichtigend zu reden? – und im zweiten Fall die Lösung des Problems auf anderer Ebene gefunden werden muss. Bei der Abarbeitung der alten Probleme ist der Beitrag der deutschen Sicherheitspolitik also überschaubar.

Was wird kommen? 

Wie steht es um die Zukunft? Herausfordernd ist, die NATO, zu der sich die USA wieder deutlich bekennen und die Deutschlands Sicherheit garantiert, weil das Land aus eigener Kraft dazu nicht in der Lage ist, auf zukünftige Aufgaben vorzubereiten. Die Ergebnisse der Reflexionsgruppe „NATO 2030“, die eine Grundlage für diese Diskussionen darstellt, sind erwartbar breit und offen.

Abschreckung und Dialog mit Russland, der Umgang mit disruptiven Technologien, Terrorismus, Rüstungskontrolle und Klimawandel werden darin ebenso behandelt wie die Herausforderungen durch China. Die Formulierung: „Die NATO muss eine politische Strategie für ihre Rolle in einer Welt entwickeln, in der China bis 2030 immer mehr an Bedeutung gewinnt. Das Bündnis sollte die durch China gestellte Herausforderung in den vorhandenen Strukturen durchgängig berücksichtigen“ zeigt, dass der neue Weltmächtekonflikt zwischen den USA und China nun auch in der NATO reflektiert wird. Welche Beiträge Deutschland hierzu leisten kann? 

Begrenzter Handlungsspielraum 

Die letzten substantiellen sicherheitspolitischen Überlegungen eines Bundesverteidigungsministers erschienen vor sechzig Jahren. „Verteidigung oder Vergeltung“ und „Strategie des Gleichgewichts“ waren zwei Titel. Der Verfasser: Helmut Schmidt. Lloyd Austin wird sich vorab informiert haben, welche politische Führungskraft in Deutschland auf diesem Niveau mitreden kann.

So ist auch Deutschlands Beitrag für die Zukunftsgestaltung der NATO derzeit materiell und konzeptionell überschaubar. Die jahrzehntelange Vernachlässigung der Hauptaufgabe des Staates, die eigene Sicherheit gewährleisten zu können, wird Deutschlands Handlungsspielraum stark begrenzen. Wenn die Konfliktstellungen scharf werden, wird dies schlagartig sichtbar werden. Anderes ist für die USA derzeit zweitrangig. 

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