Kevin McCarthy - Der Pyrrhussieger

Bei der Wahl zum Sprecher des US-Repräsentantenhauses scheiterte der Republikaner Kevin McCarthy in drei Wahlgängen. Heute stimmen die Abgeordneten erneut ab. Wir haben McCarthy in unserer Dezember-Ausgabe porträtiert.

Kevin McCarthy dürfte ein schwacher Sprecher des Repräsentantenhauses sein, wenn er gewählt wird / dpa
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Stephan Bierling lehrt Internationale Politik an der Universität Regensburg. Soeben erschien von ihm „America First – Donald Trump im Weißen Haus“ (C. H. Beck).

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Die Republikaner haben einen Hurrikan angekündigt und eine Brise geliefert. Trotz der Unzufriedenheit der Bürger mit Präsident Joe Biden und der hohen Inflation endeten die US-Zwischenwahlen für sie enttäuschend. Der Senat bleibt in der Hand der Demokraten, und im Repräsentantenhaus gewannen sie weit weniger Sitze hinzu als erwartet. 

Doch für die Mehrheit in der Kammer hat es gereicht, und das ist alles, was für Kevin McCarthy zählt: Er wird wohl ihr nächster Sprecher. Damit wäre er Fraktionschef der Republikaner und Vorsitzender des Repräsentantenhauses – und könnte entscheiden, wer die wichtigen Ausschussvorsitze bekommt und welche Gesetze in welchem Ausschuss beraten werden. Zugleich rückte McCarthy nach Vizepräsidentin Kamala Harris auf Rang zwei in der Präsidentennachfolge. Das alles würde ihn zum wichtigsten Amtsträger und inoffiziellen Chef seiner Partei machen.

Teure Wahrheit

Lange genug hat der opportunistische Kalifornier darauf hingearbeitet. Schon bald nach seinem Einzug ins Repräsentantenhaus 2007 stieg er in den republikanischen Führungszirkel auf. 2014 wurde McCarthy Mehrheitsführer und war damit nur mehr einen Schritt vom Amt des Sprechers entfernt. Ein Jahr später trat John Boehner von diesem Amt zurück, zermürbt von Scharmützeln mit dem rebellischen Tea-Party-­Flügel seiner Partei, und schlug ihn als Nachfolger vor. 

Aber McCarthy vergaloppierte sich: Es ging um Ermittlungen zu einem dschihadistischen Anschlag auf das US-Konsulat in Bengasi 2012, in das Hillary Clinton angeblich verstrickt war. Auf dem rechten TV-Sender Fox News gab McCarthy zu, seine Partei habe eine Untersuchungskommission dazu nur eingesetzt, um deren Präsidentschaftsbewerbung zu beschädigen. Ein peinlicher Moment der Offenheit für die Republikaner, hatten sie doch über Monate beteuert, es gehe ihnen allein um das nüchterne Aufarbeiten des Vorfalls. McCarthy zog seine Kandidatur zurück. Sein unbeherrschtes Aussprechen der Wahrheit hatte ihn seinen Traumjob gekostet.

In den darauffolgenden Jahren tat McCarthy alles, um die Scharte auszuwetzen und den mächtigen Trump-Flügel in seiner Partei zu hofieren. In Fragen von Einwanderung, Umweltschutz, Abtreibung, Gebietsannexionen durch Israel stellte er sich an die Seite der erzkonservativen Kräfte. 2019 sorgte er dafür, dass kein einziger Republikaner im Haus für das Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten stimmte. 

Auf Knien zu Trump

Nach Trumps Wahlniederlage wiederholte er getreu dessen Lüge von der gestohlenen Wahl. Aber erneut manövrierte sich McCarthy mit einem Anfall von Redlichkeit ins Abseits. Er verurteilte Trumps Putschversuch als „abscheulich und völlig falsch“ und schimpfte, er habe „die Nase voll von diesem Kerl“. 

Da McCarthy kaum Mitstreiter fand in seiner Partei, vollzog er flugs eine 180-Grad-Wende und pilgerte zum Monarchen in dessen Residenz Mar-a-Lago, um Abbitte zu leisten. Trump begnadigte ihn, ist ihm doch nichts lieber als ein Kritiker, der vor ihm zu Kreuze kriecht und seine Häresie durch Hyperloyalität kompensiert.

Als Ablass stimmte McCarthy gegen ein zweites Impeachment-Verfahren und die Einsetzung einer parteiübergreifenden Kommission zur Untersuchung des Sturmes aufs Kapitol am 6. Januar 2021. Die beiden Republikaner Liz Cheney und Adam Kinzinger, die mit den Demokraten bei den Ermittlungen kooperierten, überzog er mit bösartigen Kommentaren. Eingefleischte Trumpisten haben McCarthy den versehentlichen Flirt mit der Wahrheit indes bis heute nicht vergeben. Viele erinnern sich auch noch daran, dass er 2016 behauptete, ihr Idol werde von Wladimir Putin bezahlt

Den Rechtsradikalen verpflichtet

Die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus ist so knapp ausgefallen, dass er jede Stimme braucht – selbst die von Leuten wie Verschwörungs- und QAnon-Anhängerin Marjorie Taylor Greene oder Matt Gaetz, der von einem kulturellen Genozid an weißen Amerikanern faselt. Zwei Drittel seiner Fraktion behaupten, Biden sei unrechtmäßig Präsident. McCarthy wird ihnen zusagen, alle Ermittlungen zum Putschversuch sofort zu beenden. Und er wird den Rechtsradikalen wichtige Posten in Fraktion und Ausschüssen versprechen, um ihre Stimmen für die Sprecherwahl zu erhalten. 

Einmal gewählt, dürfte McCarthy ein schwacher Amtsinhaber werden. Genau das will Trump, dem das Schicksal der Partei nie etwas bedeutete, das Ausschalten von Rivalen hingegen immer alles.

 

Dieser Text stammt aus der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie direkt bei uns kaufen können.

 

 

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