Katarina Barley - Zurück? No way!

Als Bundesjustizministerin war Katarina Barley in der deutschen Politik omnipräsent, seit bald zwei Jahren ist sie Europaparlamentarierin – und dreht weiter am großen Rad.

Sorgt in der EU für Furore: Katarina Barley / dpa
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Der Abschied aus Berlin ist ihr nicht leicht gefallen. Fast zwei Jahre nach dem Wechsel denkt Katarina Barley immer noch gern an ihren alten Arbeitsplatz zurück. „Mir fehlen die 770 Mitarbeiter im Ministerium“, sagt die frühere Bundesjustizministerin, die zur Europawahl 2019 als SPD-Spitzenkandidatin nach Brüssel gezogen ist. Auch die „netten Kollegen im Kabinett“ von Kanzlerin Angela Merkel vermisst die 52-jährige Europapolitikerin.

Aber zurück? No way! „In mir drin ist so viel Europa – ich glaube, mehr geht einfach nicht“, sagt die Deutsch-Britin, die mit einem Niederländer verheiratet ist und zwischen Brüssel, Berlin, London und ihrem Wohnort Trier pendelt. Zwar habe sie als Vizepräsidentin des Europaparlaments „nicht so direkten Impact“ wie früher. Dafür kann sie nun, zusammen mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, ein größeres Rad drehen.

Etwa beim Brexit. Da dreht die EU ein ganz großes Rad, und Barley sorgt für die Begleitmusik. In der Endphase der Verhandlungen mit Premier Boris Johnson war sie regelmäßig bei der BBC zu Gast – und war schockiert, wie verzerrt das Bild der Briten von Europa war. Johnson habe bis zuletzt geglaubt, dass er die EU spalten könne, empört sich die Juristin, die im Brexit-Drama zu Europas angriffslustiger Verteidigerin geworden ist.

Enttäuschung über Demokratie-Defizite der EU

„Der Brexit produziert Verlierer auf beiden Seiten“, warnte Barley die Briten. Doch am Ende war sie machtlos. Dass von der Leyen den Brexit-Deal mit Johnson im Eiltempo besiegelt hat, nach Ablauf der Deadline des Europaparlaments, empfindet sie als unfreundlichen Akt. Dass das Abkommen vorläufig in Kraft getreten ist, ohne das „Go“ der Abgeordneten abzuwarten, sei „demokratisch sehr problematisch“. Die Enttäuschung ist ihr anzumerken.

Dabei mag sie von der Leyen. Die beiden ungleichen Politikerinnen duzen einander, nach der umstrittenen Wahl zur Kommissionschefin hat Barley ihre CDU-Freundin sogar demonstrativ umarmt. Doch beim Brexit hört die Liebe auf. Barley will bei den finalen Beratungen im Europaparlament für einen besseren Deal streiten – wohl wissend, dass es kaum noch Änderungen geben wird. Diesen Kampf, der ihr auch persönlich sehr nahe ging, hat sie verloren.

Mit umso mehr Verve wirft sie sich in die nächste Schlacht. Es geht um den Rechtsstaat, noch so ein Herzensanliegen. Das EU-Recht begleitet Barley schon seit ihrer Promotion über das „Kommunalwahlrecht für Unionsbürger“ 1998. Nun ist es in Gefahr – vor allem in Ungarn, wo Regierungschef Viktor Orbán die Medien gängelt und immer mehr Macht an sich reißt. Für Barley ist das Maß voll. Man müsse Orbán beim Geldbeutel packen und „finanziell aushungern“, forderte sie im Deutschlandfunk.

Nun kennt man sie in Polen

Angriff mag die beste Verteidigung sein, doch dieser Schuss ging nach hinten los. Nicht nur in Ungarn, auch in Polen schlugen die Wellen hoch. „Das ist ein diplomatischer Skandal“, empörte sich Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Eine deutsche Politikerin dürfe so etwas nicht sagen, nach all den Naziverbrechen. Plötzlich saß Barley selbst auf der Anklagebank. „Ich wurde zu einer Antiheldin aufgebaut“, erinnert sie sich. Das sei zwar unangenehm gewesen, doch immerhin habe der Streit etwas bewegt. Nun kenne man sie in Polen, ihre Stimme habe Gewicht.

Im Europaparlament sieht man das ähnlich. Barley schieße zwar manchmal verbal über das Ziel hinaus, doch sie mache ihre Sache gut, sagen ihre Kollegen im Rechtsausschuss. Während Parla­mentspräsident David Sassoli kaum wahrgenommen wird, macht seine deutsche Stellvertreterin europaweit Furore.

Barley schaltet wieder auf Angriff

Barley und ihre Mitstreiter im Parlament setzten schließlich durch, dass die deutsche Kompromissvorlage zum Rechtsstaat deutlich verschärft wurde. Künftig müssen Orbán und Morawiecki mit Kürzungen bei den milliardenschweren Finanzhilfen aus Brüssel rechnen, wenn Recht und Gesetz in Gefahr sind und Missbrauch droht. Es ist ihr bisher größter Erfolg – auch wenn es noch Monate dauern dürfte, bis die neue Rechtsstaatsklausel wirkt.

Ungarn und Polen haben eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof angekündigt, bis zum Urteil wird es keine finanziellen Sanktionen geben. Das hat Merkel mit Orbán abgesprochen; von der Leyen soll die Einigung umsetzen. Barley kann das nicht gefallen; der Deal ist auch unter Europarechtlern umstritten. Doch ändern kann sie daran ebenso wenig wie am Brexit. Als Ministerin in Berlin konnte sie noch selbst die Initiative ergreifen, als Europaabgeordnete in Brüssel sitzt sie oft am kürzeren Hebel. 

Doch Barley gibt nicht auf. Zur Not müsse das Parlament der EU-Kommission im Streit mit Ungarn auf die Sprünge helfen, sagt sie trotzig. Im Jahr der Bundestagswahl schaltet die streitbare Verteidigerin wieder auf Angriff.
 

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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