Italiens erste Premierministerin? - Engelsgesicht des Postfaschismus

Giorgia Meloni von der ultrarechten Partei Fratelli d’Italia hat gute Chancen, Italiens erste Ministerpräsidentin zu werden. Schon jetzt zählt die gebürtige Römerin zu den populärsten Politikerinnen Italiens.

Giorgia Meloni will Italiens erste Premierministerin werden / Alessia Pierdomenico
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Julius Müller-Meiningen arbeitet seit 2008 als freier Journalist in Rom. Er berichtet auf seiner Homepage 
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„Patrioten!“, ruft Giorgia Meloni von der Bühne. „Hier fühle ich mich zu Hause, weil ich hier die Luft der Kultur und des nationalen Stolzes atmen kann, eine Luft mit Wurzeln und Zukunft, eine Luft von Geschichte und Identität.“ Die Menge in Madrid tobt. So martialisch klingt es, wenn der neue Star am Himmel der italienischen Politik auftritt. Vor kurzem war Meloni, Vorsitzende der ultrarechten Partei Fratelli d’Italia (FdI), zu Gast bei der rechtsradikalen Partei Vox in Spanien. Die 44-Jährige zog alle Register. „Die Monster“, so brüllte die energiegeladene Römerin mit den blonden Haaren wütend ins Mikrofon, „das sind diejenigen, die den Leih-Uterus und kostenlose Drogen wollen.“ Sie verteilte verbale Hiebe gegen den „Mainstream-Globalismus“ und die „Oligarchen des Silicon Valley“, den Islam, China und natürlich die Linke, „die die EU in eine Art Sowjetunion verwandelt hat“.

Kein Vergleich ist für Meloni zu abwegig. Die Römerin hat Großes vor und schmiedet Allianzen. Neulich traf sie Ungarns rechtspopulistischen Premier Viktor Orbán in Rom, jetzt den Vox-Chef Santiago Abascal Conde. Meloni ist das Engelsgesicht des Postfaschismus, der in Italien eine neue Blüte erlebt. In Umfragen liegen die Fratelli d’Italia bei rund 20 Prozent, Tendenz steigend. Damit hat Meloni die Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini eingeholt. Viele Italiener, so scheint es, mögen es noch ein bisschen radikaler. Denn während Salvinis rechtspopulistische Lega aus einer sezessionistischen Bewegung für die Unabhängigkeit Norditaliens hervorging, haben die Fratelli d’Italia faschistische Wurzeln. Die Flamme in den italienischen Nationalfarben im Parteisymbol haben die „Brüder Italiens“ von ihrer Vorgängerpartei übernommen, dem Movimento Sociale Italiano (MSI). Den MSI hatten 1946 Veteranen der faschistischen Republik von Salò gegründet.

Zweitbeliebteste Politikerin

Kaum zu glauben, doch die gelernte Journalistin Meloni, unverheiratete Mutter einer Tochter, ist Italiens beliebteste Politikern. Nur Ministerpräsident Mario Draghi hat noch bessere Zustimmungswerte. Schon vor fünf Jahren, als sie für das Amt des Bürgermeisters in Rom kandidierte, erreichte Meloni 21 Prozent der Stimmen, ihre Partei lag damals noch im unteren einstelligen Bereich. Inzwischen hat die frühere Jugendministerin unter Silvio Berlusconi gute Chancen, Regierungschefin zu werden.

Spätestens 2023 wird gewählt, aber in Italien ist es nie weit bis zur nächsten Wahl. Meloni ist es deshalb ein Anliegen, dass Premier Draghi im kommenden Februar ins Amt des Staatspräsidenten wechselt. Dann, so ihr Traumszenario, wird es Neuwahlen geben, das Rechtsbündnis mit Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia gewinnt. Wenn Fratelli d’Italia stärkste Kraft wird, wäre der Weg für Meloni als Ministerpräsidentin frei, als erste Frau Italiens.

Spiel mit dem Faschismus

Ihren Konsens hat FdI fast ausschließlich ihrer Vorsitzenden zu verdanken – und den Fehlern der Konkurrenz. Salvinis erst mit der Fünf-Sterne-Bewegung regierende und nun an der Regierung Draghi beteiligte Lega reibt sich in inneren Richtungskämpfen auf. FdI hingegen hat als einzige Oppositionspartei ihr Profil geschärft und schwimmt auf der Welle des Unmuts über die strenge Corona-Politik. Zudem bedient die Partei die Nostalgie vieler Italiener nach dem faschistischen Ventennio unter Benito Mussolini, das weder historisch noch familiengeschichtlich aufgearbeitet wurde. Obwohl Meloni behauptet, dass in ihrer Partei „kein Platz für faschistische, rassistische und antisemitische Nostalgiker“ sei, zeigt die Realität das Gegenteil. Erst kürzlich brachte ein Journalist die engen Verbindungen zwischen Neofaschisten und FdI-Politikern ans Tageslicht. 

Kein Wunder, denn Meloni und ihre Partei sind Kinder des Neofaschismus. Meloni selbst war als Jugendliche Mitglied in der Jugendorganisation des MSI. Es war Außenminister Gianfranco Fini, der den italienischen Neofaschismus 1996 in demokratische Bahnen zu lenken versuchte. Fini ist von der Bildfläche verschwunden. Das ist Meloni, die einst erklärte, ein „entspanntes Verhältnis zum Faschismus“ zu haben, eine Warnung. Auch sie bekennt sich offen zur Demokratie, duldet aber die neofaschistischen Umtriebe in den eigenen Reihen. Mehr noch, sie spielt selbst bewusst mit dem Erbe des Duce. 

In der Meloni-Partei kandidieren zwei Enkel Mussolinis. Rachele Mussolini bekam gerade bei den Kommunalwahlen in Rom die meisten Stimmen. Und vor der Europawahl 2019 ließ es sich Meloni nicht nehmen, den Urenkel des Duce, Caio Giulio Cesare Mussolini, höchstpersönlich zu präsentieren. Den Ort der Vorstellung hatte sie zuvor sorgfältig ausgewählt: den Römischen Palazzo della civiltà italiana, das Symbolgebäude faschistischer Architektur in Italiens Hauptstadt schlechthin.

 

Dieser Text stammt aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

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