Israels neue Regierung - Macho mit Fortüne

Israels Außenminister Jair Lapid wurde lange als Schönling ohne Tiefgang verspottet – bis ihm jetzt die Regierungsbildung mit einer schier unglaublichen Koalition gelang.

Jair Lapid begnügt sich die ersten beiden Jahre der Regierungskoalition mit dem Außenministerium / Jonas Opperskalski
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Mareike Enghusen berichtet als freie Journalistin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vornehmlich aus Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Sie hat Politik- und Nahostwissenschaften studiert und ihre journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolviert.

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Bis zum letzten Moment hatten viele nicht an ihn geglaubt. Minuten vor der Deadline im Juni gelang es Jair Lapid, bis dahin Israels Oppositionsführer, die unwahrscheinlichste Koalition zu schmieden, die das Land je gesehen hat: Linke Feministen sind dabei, LGBT-Aktivisten und Friedenstauben, religiöse Rechte, Nationalisten, Siedlerfreunde und arabische Islamisten. Acht Parteien insgesamt, einmal quer durch Israels politisches Spektrum. Dass ihre Anführer ihre Unterschrift auf eine gemeinsame Vereinbarung setzten und damit den langjährigen Amts­inhaber Benjamin Netanjahu vom scheinbar unbesiegbaren Regierungschef zu einem schlecht gelaunten Oppositionsführer machten – all das wäre nicht möglich gewesen ohne Jair Lapid, wie selbst Kritiker heute einräumen müssen.

Jair Lapid, 57 Jahre alt, in zweiter Ehe verheiratet und Vater dreier Kinder, wurde in den Medien lange als eitler Schönling dargestellt, mit großer Klappe und Talent zum Populismus, ohne jedoch die intellektuelle Tiefe, die selbst Gegner Benjamin Netanjahu zugestehen. In der Polit-Satireshow „Eretz Nehederet“ (Wunderbares Land) wird Lapid als polternder, breitbeiniger Egomane dargestellt. Umso überraschter waren die meisten, als die neue Koalition ihren Deal präsentierte: Für die ersten zwei Jahre wird Naftali Bennett die Regierung führen, dessen Jamina-Partei nur sechs Mandate hält. 

Wilder Lebenslauf

Lapid begnügt sich mit dem Amt des Außenministers, obwohl seine Jesch-Atid-Partei (Es gibt eine Zukunft) mit 17 Sitzen größte Kraft der Koalition ist. Erst nach zwei Jahren soll Lapid Bennett ablösen. Angesichts der notorischen Kurzlebigkeit israelischer Regierungen besteht ein reales Risiko, dass Lapid es zumindest in dieser Runde nicht ins Amt des Ministerpräsidenten schafft. Dass er es in Kauf genommen hat, spricht für ihn – und gegen all jene, die sein Ego bis dahin für übermächtig hielten.

Die Geringschätzung, mit der viele Kommentatoren Lapid früher betrachteten, lässt sich auch mit seinem Lebenslauf erklären. Zwar besuchte er ein prestigereiches Gymnasium in Tel Aviv, ging jedoch ohne Abschluss ab. Netanjahu, Bennett und viele andere Spitzenpolitiker kämpften in Eliteeinheiten der Armee, was ihnen in der israelischen Öffentlichkeit großen Respekt einbringt. Lapid wurde nach einem Asthmaanfall während eines Einsatzes im Libanon zur Armeezeitung versetzt. Anschließend arbeitete er als Journalist, schrieb Bücher und Gedichte, eine TV-Serie und sogar ein Theaterstück, versuchte sich als Amateurboxer und Schauspieler und verbrachte ein paar Jahre in Los Angeles. 

Zurück in Israel, moderierte er Polit-­Talkshows im Fernsehen, bis er Anfang 2012 Jesch Atid gründete, eine zentristische, vehement säkulare Partei, die sich für die Belange der Mittelschicht einsetzt und für „gleiche Lastenverteilung“ wirbt – eine freundliche Umschreibung ihrer Forderung, diverse Privilegien der ultra­orthodoxen Minderheit abzuschaffen. Lapid bewies Gespür für die politische Stimmung im Land: Bei ihrer ersten Wahl wurde Jesch Atid zweitstärkste Kraft.

Frischer Wind nach außen

Zentristische Parteien kommen und gehen in Israel, vor nahezu jeder Wahl wird mindestens eine geboren und eine andere beerdigt. Jesch Atid aber hat sich als stabile Kraft etabliert, mit einem breiten Aktivistennetzwerk und konstant robusten Wahlergebnissen, was sie nicht zuletzt dem kernigen Charisma ihres Vorsitzenden verdanken dürfte.

Im Außenministerium hat Lapid typisch hemdsärmelig einen neuen Stil etabliert. Seinem jordanischen Kollegen versprach er eine Ausweitung der Wasser­exporte, die das trockene Nachbarland seit langem fordert. Unter Netanjahu, der Jordanien für unwichtig gehalten haben soll, war das bilaterale Verhältnis merklich erkaltet. Lapid scheint es stärken zu wollen, ebenso wie das Verhältnis zur Demokratischen Partei in den USA, das unter Netanjahus demonstrativer Nähe zu Donald Trump gelitten hat. Insgesamt soll im Außenministerium unter Lapids Führung eine frische Atmosphäre eingezogen sein, eine neue Offenheit und ehrliches Interesse an Dialog.

Große Zukunft vor sich?

Glaubt man alten Weggefährten, muss Lapid sich im Laufe der Jahre gehörig gewandelt haben. Ein früherer Vorgesetzter aus seinen Journalistenzeiten fand im Gespräch mit der New York Times wenig schmeichelhafte Worte: Starrköpfig sei Lapid gewesen, unwillig, andere Meinungen anzuerkennen und eigene Fehler einzugestehen. „Aber ich bin der Erste, der zugibt, dass er gereift ist“, fügte der Mann hinzu.

Andere vermuten, dass Lapid eine Langzeitstrategie verfolgt: Sein großmütiger Machtverzicht könnte, wenn die neue Regierung sich bewährt, langfristig seinen Weg zur Macht bahnen. Seine Chancen dafür stehen nicht schlecht. Unterschätzen jedenfalls dürfte ihn nun niemand mehr.

 

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

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