Nahostkonflikt - Deutschland muss die Waage halten

In der Zeit der EU-Ratspräsidentschaft ist Deutschlands Stimme von besonderem Gewicht. Im Nahostkonflikt sollte die Bundesregierung das nutzen, um die palästinensische Seite zurück an den Verhandlungstisch zu holen.

Israels Premierminister Gantz und Außenminister Maas – wie viel Rückenhalt braucht die deutsch-israelische Beziehung? / dpa
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Frank Müller-Rosentritt ist seit 2017 Bundestagsabgeordneter und für die FDP-Fraktion Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Er ist Vorsitzender der sächsischen FDP und sitzt im Stadtrat von Chemnitz. (Foto: BDX Media)

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Frank Müller-Rosentritt ist seit 2017 Bundestagsabgeordneter und für die FDP-Fraktion Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Er ist Vorsitzender der sächsischen FDP.

Die aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten haben zuletzt einmal mehr ein außenpolitisches Schlaglicht auf den Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis geworfen. Trotz aller Emotionalität, mit der Diskussionen zu diesem Thema häufig geführt werden, eignet sich dieser Konflikt nicht für voreilige Simplifizierungen, nicht für Einseitigkeit oder vorschnelle Schuldzuweisungen. Er ist multidimensional.

Was bedeutet das für unsere werte- und interessengeleitete Außenpolitik? Sie muss diese Nuancen wahrnehmen und herausstellen, denn nur so kann im Idealfall der bestmögliche Kompromiss erzielt werden. Es sind vor allem ideologische Scheuklappen, die diesen Konflikt bis heute immer wieder neu entfachen.

Deutschlands Stimme ist von Gewicht

Deutschlands Stimme ist von Gewicht, insbesondere in der Zeit der EU-Ratspräsidentschaft und des Vorsitzes im Sicherheitsrat. Es ist natürlich absolut richtig, an das Ziel der Zweistaatenlösung zu erinnern.

Es ist allerdings unerlässlich zu betonen, dass alle Seiten mit an den Verhandlungstisch geholt werden müssen. Nur so kann ein einvernehmlicher Interessenausgleich erzielt werden. Die jahrelange Verweigerungshaltung der palästinensischen Seite ist nicht hilfreich, sondern kontraproduktiv. Zusätzlich sollte dieser Konflikt nicht ohne seinen historischen und geopolitischen Hintergrund betrachtet werden. 

1. Der Trump-Plan

Auf israelischer Seite wurde er teils eifrig bejubelt, weil in ihm maximales Entgegenkommen der amtierenden US-Administration gesehen wurde. Ebenso gab es massive Kritik der israelischen Linken, die im Vorgehen ihrer Regierung ein Menetekel für die zunehmende Verschlechterung der Situation der Palästinenser sah.

Dazwischen gab es sehr abwägende Stimmen. Sie betonten, der Plan schreibe einerseits den Status Quo fest, lasse dabei jedoch die palästinensische Seite außen vor. Doch unterstrichen sie auch die Ambivalenzen: Die sicherheitspolitische Position würde sich verbessern, indem der Jordangraben als natürlicher Schutzwall gehalten werde. Darüber hinaus könne die Eingliederung zu einem massiven Umkippen der Bevölkerungszusammensetzung führen, was Israels Selbstverständnis als jüdischen Staat gefährde. Der Regierung in Jerusalem dürften diese Umstände durchaus bewusst sein. 

2. Das Völkerrecht

Hinsichtlich des Westjordanlandes konkurrieren unterschiedliche Rechtsauffassungen. Die israelische Seite betont, dass es sich nicht um eine Annexion handeln könne, da weder Waffengewalt angewandt wird, noch ein Gebiet betroffen ist, das einem anderen staatlichen Souverän unterstehen würde. Ganz anders also beispielsweise zur Krim, bei der nicht bezweifelt wird, dass sie rechtlich nach wie vor zur Ukraine gehört.

Dementsprechend spricht Israels Regierung von umstrittenen Gebieten, deren letzter staatlicher Souverän bis 1922 das Osmanische Reich war. Danach gehörten sie zum Britischen Mandatsgebiet Palästina. Die Briten verließen nach dem UN-Teilungsbeschluss 1948 das Land. Bis heute gibt es keinen völkerrechtlich anerkannten palästinensischen Staat, was die Einordnung rechtlich kompliziert macht. Der Bundestag schließt sich der Einordnung der UN an, bezeichnet die Gebiete als „besetzt“ und ordnet die Siedlungspolitik als Bruch des Völkerrechts ein.

3. Israel trägt allein die Verantwortung 

Israel hat zunächst die Verantwortung für sein eigenes Handeln. Wiederholt werden Palästinenser wie ein Objekt behandelt, über dessen Kopf hinweg bestimmt und geurteilt werden kann. Der Trump-Plan, den manche als Geniestreich feiern, ist eher ein Akt der Verzweiflung. Trotz „Säbelrasselns“ zeichnete sich die Trump-Administration in den vergangenen Jahren im Zweifel vor allem durch militärische Zurückhaltung statt durch aggressive Akte aus. So auch in diesem Konflikt.

Trump versucht offenkundig auf seine eigene Art Lehren aus den Erfahrungen seiner Amtsvorgänger zu ziehen. Deren Erfahrung war vor allem, dass im entscheidenden Moment die palästinensische Seite einen Rückzieher machte. Ob nach dem Teilungsbeschluss 1948 oder in Camp David im Jahr 2000.

Hoffnung für den Gaza-Streifen

Es gibt viele Berichte, die behaupten Ehud Barak habe damals das weitgehendste israelische Angebot aller Zeiten auf den Tisch gelegt. Arafat wies ihn ab und trat die Intifada los. Barak verlor später die Wahl gegen Ariel Scharon, dieser sorgte 2005 für den Rückzug aus dem Gaza-Streifen. In der folgenden freien Wahl, auf der die Hoffnung lag, dass aus dem Gaza-Streifen ein „Singapur des Nahen Ostens“ werden würde, siegte die Hamas.

Daraufhin putschte die Fatah, und der bis heute anhaltende Konflikt beider war begründet. Dieser sorgt bis dato auf tragische Weise dafür, dass sich die palästinensische Seite nur schwer auf eine gemeinsame Position oder demokratische Grundlagen, wie freie Wahlen einigen könnte. Die Hamas bietet dabei auch kaum eine Verhandlungsgrundlage an, wären doch ihre „Minimalforderungen“ das Ende Israels. Und es bleibt wichtig zu betonen, dass es nicht bei dem Abbruch der Gespräche blieb, sondern von palästinensischer Seite zumeist Terror und Gewalt gegen die israelische Zivilbevölkerung folgte.

4. Deutschland ist aufgrund seiner Verantwortung für die Shoa zurückhaltend

Dieser Mythos ist eng verflochten mit der Vorstellung, dass Israel letztlich allein durch die Shoa entstand. Das ist jedoch kontrafaktisch. Bereits lange vor 1945 und 1948 gab es die zionistische Bewegung, die von einem sicheren jüdischen Leben in einer nationalen Heimstätte träumte. Die Shoa bestätigte diese Bewegung in ihrer schlimmsten Befürchtung, dass jüdisches Leben immer existenziell gefährdet bleiben würde, wenn es keinen Staat gäbe, der Juden verteidigt.

Die Konferenz von Évian stellte den traurigen Höhepunkt dieser Erkenntnis dar, als es trotz der immensen Verfolgung in Deutschland nur eine geringe Bereitschaft gab, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Bis heute gilt sie als Symbol für das Versagen des Westens. Deutschland ist aufgrund seiner Verantwortung heute einer der wichtigsten und verlässlichsten Partner Israels. Intensive Beziehungen und Austausch in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Sport, Kunst und Kultur belegen dies.

Israel will die Zeit bis zur US-Wahl nutzen

Dennoch gehören Deutschland und Europa mitunter auch zu den kritischsten Stimmen, zum Beispiel an Israels Siedlungsvorhaben. Deutschland hat hier immer die Waage gehalten. Es war daher auch richtig, dass Bundesaußenminister Maas Sanktionen beziehungsweise Sanktionsdrohungen anlässlich seiner jüngsten Israelreise sozusagen zuhause gelassen hat, kann doch der diplomatische Instrumentenkasten deutlichere und wichtigere Zeichen setzen. Harte Maßnahmen stehen in scharfem Konflikt zu der Beziehung, die die EU und Israel miteinander pflegen. Dass der Außenminister gleichermaßen die Verantwortung der Palästinenser angemahnt hat, ist ebenso wichtig wie richtig.  

Es ist doch offensichtlich: Die israelische Regierung will die Zeit bis zur US-Wahl nutzen. Gleichermaßen ist schon länger klar, dass die Siedlungen auf der so genannten „Grünen Linie“ einmal Teil des israelischen Staates werden könnten. Es handelt sich dabei nicht um provisorische Baracken, sondern um Mittelstädte mit zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern.

Israels Existenzrecht

Alle weiteren Gebietsaustausche müssen jedoch in gemeinsamen Verhandlungen besprochen werden. Dazu muss die palästinensische Seite zurück an den Verhandlungstisch und zu Kompromissen und Konzessionen bereit sein. Die Bundesregierung und die EU sollten ihr Engagement deutlich erhöhen. Nicht nur in diesem Konflikt, sondern allgemein in der Region des Nahen Ostens. Allerdings ohne dabei eine paternalistische Haltung einzunehmen und ohne einen sprichwörtlich erhobenen Zeigefinger.

Was das angeht, steht Deutschland sowieso Zurückhaltung gut zu Gesicht. Multidimensionale Konflikte erfordern Pragmatismus und Gesprächsbereitschaft, denn nur sie können letztlich ans Ziel führen. Nicht zuletzt muss man bei der Bedrohungslage durch Iran, Hisbollah und Hamas die Sicherheitsbedenken Israels würdigen. Denn Israels Existenzrecht ist und bleibt ein Teil von Deutschlands Staatsraison.

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