Benjamin Netanjahu - „Bibis“ wackeliger Thron

Benjamin Netanjahu steht nach seinem Wahlsieg in Israel kurz davor, länger im Amt zu sein als alle seine Vorgänger. Doch das Ergebnis hat weniger mit ihm selbst als mit den gesellschaftlichen Entwicklungen im Land zu tun. Nach dem vermeintlichen Triumph droht ein jämmerlicher Abgang

Endet Netanjahus fünfte Amtszeit vielleicht schneller als er denkt? / picture alliance
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Mareike Enghusen berichtet als freie Journalistin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vornehmlich aus Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Sie hat Politik- und Nahostwissenschaften studiert und ihre journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolviert.

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„König, König Israels“, rufen seine Anhänger, wenn Israels Premierminister Benjamin Netanjahu eine Bühne betritt. Nachdem er die Parlamentswahl am vorherigen Dienstag gewonnen hat, etlichen Widerständen zum Trotz, und nun kurz davor steht, dem israelischen Staatsgründer David Ben Gurion den Rang des am längsten regierenden Premiers abzulaufen, scheint sein Thron stabiler denn je.

Doch der Schein trügt. Der Sieg ist nicht so triumphal, wie Netanjahu in der Wahlnacht mit donnernder Stimme ausrief. Das Ergebnis hat weniger mit ihm als mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun, und seine fünfte Amtszeit könnte schnell und schmählich enden.

Dank Partnern noch im Amt

Viele Kommentatoren beschrieben die Wahl als Referendum über „Bibi“, wie sie ihn hierzulande nennen. Trifft das zu, schmeichelt das Wahlergebnis ihm nicht: Netanjahus Likud-Partei liegt gleichauf mit dem Blau-Weiß-Bündnis seines Herausforderers Benny Gantz. Dessen wichtigste Wahlkampf-Botschaft lautete: Wer Netanjahu loswerden will, muss mich wählen. Über eine Million Israelis haben das getan. Dass Netanjahu im Amt bleibt, verdankt er vor allem seinen potenziellen Partnern: Der Verbund aus rechten und religiösen Parteien, die ihn stützen, kommt auf 20 Sitze mehr als der gegnerische Mitte-Links-Block. Es ist das Machtgefälle zwischen diesen zwei Lagern, nicht Netanjahus rhetorische Brillanz, das dem Ergebnis zugrunde liegt. Und es dürfte sich in kommenden Jahren verschärfen.

Dafür gibt es zwei Gründe: den Wandel der politischen Stimmung sowie demografische Trends. Anfang der 1990er Jahre versprach der Oslo-Prozess dauerhaften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern, Euphorie erfasste das Land. Doch Ereignisse der darauffolgenden Jahre, darunter eine blutige Intifada und die Machtergreifung der Hamas in Gaza, verhärteten die Stimmung. Netanjahu, damals Oppositionsführer, hatte den Oslo-Prozess von Beginn an kritisiert. Heute geben viele ihm recht. Dafür spricht auch der dramatische Absturz der Arbeitspartei, die drei um Frieden bemühte Regierungschefs hervorgebracht hat: Mit nur sechs Sitzen erzielte sie ihr schlechtestes Ergebnis überhaupt.

Ein zweiter Grund für das Wahlergebnis ist die Demografie. Unter jüdischen Israelis bekommen jene, die säkular leben und typischerweise Links bis Mitte wählen, am wenigsten Kinder (zwei bis drei im Schnitt). Unter den Ultraorthodoxen sowie den sogenannten Nationalreligiösen, jener Gruppierung, die die Siedlerbewegung dominiert, liegt die Fruchtbarkeitsrate weit höher. Ihr Anteil an der Bevölkerung steigt stetig – und somit ihr politisches Gewicht.

Wird der König gestürzt?

Die beiden ultraorthodoxen Parteien halten nun gemeinsam 16 Sitze und dürften in Netanjahus zukünftiger Koalition eine gewichtige Rolle spielen. Reformen zur Integration der Strenggläubigen in den Arbeitsmarkt, die Ökonomen für unverzichtbar halten, lassen sich in dieser Koalition schwer durchsetzen. Gegenüber den Palästinensern dürfte sich mindestens der Ton weiter verschärfen: Ein neues Dreierbündnis hart rechter Parteien wird der Koalition angehören, darunter Otzma Yehudit („Jüdische Stärke“), die „illoyale“ Araber am liebsten des Landes verweisen würde. Netanjahu, in Europa oft als Hardliner gesehen, könnte sich noch als moderater Bremser erweisen.

Allerdings ist fraglich, wie stabil die zukünftige Koalition sein wird. Israels Generalstaatsanwalt hatte im Februar verkündet, Netanjahu wegen mutmaßlicher Korruption, Bestechlichkeit und Untreue anzuklagen. Der Premier soll Luxusgeschenke im Gegenzug für Gefälligkeiten angenommen und versucht haben, mit unlauteren Mitteln Einfluss auf mediale Berichterstattung zu nehmen. Sollte es zur Anklage kommen, was als wahrscheinlich gilt, will Netanjahu nicht zurücktreten.

Doch Moshe Kahlon, Vorsitzender der mit Netanjahu verbündeten Partei „Kulanu“ („Wir alle“), hat gedroht, dem Premier in einem solchen Fall den Rückhalt zu entziehen. Zwar kann die Partei mit ihren vier Sitzen die Koalition nicht sprengen. Schlösse sich jedoch eine zweite Partei der Drohung an – etwa „Israel Beitenu“ („Unser Haus Israel“), deren Vorsitzender Avigdor Lieberman seit Langem Groll gegen Netanjahu hegt – verlöre die Koalition ihre Sitzmehrheit. Dies könnte Neuwahlen erzwingen – oder doch noch den Rücktritt Netanjahus. Es wäre ein jämmerlicher Abgang des Königs.

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