Glenn Greenwald über den Sturm auf das Kapitol vor einem Jahr - „Die Frage ist, ob das FBI dazu angestiftet hat“

Am 6. Januar 2021 stürmte eine aufgebrachte Menge von Trump-Anhängern das Kapitol in Washington. Inzwischen standen viele von ihnen vor Gericht und wurden zu teilweise hohen Haftstrafen verurteilt. Der bekannte Investigativjournalist hält die offizielle Version des Kapitolsturms jedoch für übertrieben und sieht dahinter politisches Kalkül.

Anhänger des damaligen US-Präsidenten Trump stürmen am 6. Januar 2021 das US-Kapitolgebäude. / picture alliance
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Autoreninfo

Gregor Baszak ist freier Journalist und lebt in Chicago. Er publizierte unter anderem in The American Conservative, Makroskop und UnHerd.

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Glenn Greenwald ist ein amerikanischer Journalist, der 2013 in Zusammenarbeit mit Edward Snowden im Guardian und in der Washington Post die weitläufigen Spionagetätigkeiten der US-Geheimdienstbehörde NSA aufgedeckte. Für seine Arbeit wurde er u.a. mit dem Pulitzer-, dem George-Polk-, sowie dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet. Weitere Enthüllungen Greenwalds im Jahr 2019 deckten erhebliche Korruption innerhalb der brasilianischen Justiz auf und führten zur vorzeitigen Freilassung des inhaftierten ehemaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Seit 2020 führt Greenwald seinen eigenen Newsletter auf der Webseite Substack.com.

Herr Greenwald, es jährt sich nun zum ersten Mal die Erstürmung des US-Kapitols am 6. Januar 2020 durch Unterstützer Donald Trumps, die die offizielle Bestätigung von Joe Bidens Wahlsieg aufhalten wollten. Viele Journalisten und Politiker verurteilten den Akt als einen „bewaffneten Aufstand“ und „heimischen Terrorismus“. Biden selbst nannte die Vorkommnisse den „schlimmsten Angriff auf unsere Demokratie seit dem Bürgerkrieg“. Sie kritisieren diese Art von Rhetorik scharf. Wie also müssen wir Ihrer Meinung nach die Ereignisse vom 6. Januar verstehen?

Die Biden-Regierung kam zwei Wochen nach diesen Ereignissen an die Macht. Sie hat die Kontrolle über das Justizministerium und das FBI. Im Zuge ihrer Ermittlungen hat sie mehr als 600 Menschen für den Sturm auf das Kapitol angeklagt. Keinem einzigen von ihnen werden Hochverrat oder Volksverhetzung vorgeworfen. Die tatsächlichen Anklagepunkte sind also weit entfernt von der Rhetorik, die Sie ansprachen. Rechtlich hat man den Kapitolsturm als das behandelt, was er war, nämlich ein gewaltsamer Protest („riot“). Manche Menschen sind wegen Störung von Kongressvorgängen angeklagt, andere wegen Körperverletzung von Polizisten. Es fand also kein Versuch statt, die Kontrolle über die US-Regierung zu übernehmen, wie es die Medien gern darstellen. Insgesamt vier Menschen starben, allesamt Trump-Unterstützer: Einer Frau wurde durch die Kapitol-Polizei in den Nacken geschossen, zwei Menschen hatten Herzinfarkte, ein weiterer starb an einer Überdosis Speed.

Die Kritik ist doch, dass hier ein Versuch stattfand, die friedliche Übergabe der Macht zu verhindern. Darum der weitläufige Schock bis tief in der Mitte der amerikanischen Gesellschaft über die Bilder.

Ja, da waren Menschen im Kapitol, die die offizielle Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden aufhalten wollten. Die Chance, dass sie das hätten erreichen können, war gleich null. Sie standen der mächtigsten militarisierten Regierung der Menschheitsgeschichte gegenüber, die im Umland hunderttausende an Truppen stationiert hat. Auf der anderen Seite waren dann eben ein paar hundert Menschen, die ins Kapitol eingedrungen waren, von denen wiederum kein einziger Waffen schwenkte. Es gibt kleine Grüppchen in den USA, die das selbstgesteckte Ziel haben, die US-Regierung zu stürzen. Niemand würde einen Protest dieser Grüppchen einen tatsächlichen Volksaufstand nennen. Jeder gewaltsame Vorfall innerhalb politischer Auseinandersetzungen ist beklagenswert und gehört verurteilt. Aber es ist ebenso wichtig, rhetorisch nicht zu überspitzen, was wirklich vorgefallen war.

Glenn Greenwald / dpa

Der US-Kongress berief daraufhin einen Ausschuss ein, der den Sturm aufs Kapitol untersuchen soll. Wer sitzt in diesem Ausschuss, und welchen Umfang hat seine Untersuchung?

Das FBI ist die Bundeskriminalpolizei und führt im Zuge des 6. Januar laut eigenen Aussagen die größte Ermittlung ihrer Geschichte. Wie ich vorhin ansprach, klagte das FBI bereits mehr als 600 Menschen wegen krimineller Verstöße an. Viele dieser Menschen haben sich bereits schuldig bekannt, bei anderen laufen die Prozesse. Der Kongress ist nicht dafür zuständig, Verbrechen zu untersuchen. Stattdessen hat er die Befugnis, Anhörungen einzuberufen, die seinen gesetzgebenden Funktionen nützlich sein können. Wenn zum Beispiel der Kongress neue Gesetze verabschieden will, um Ölkatastrophen zu verhindern, kann er die Manager von Ölkonzernen vorladen, um zu ergründen, welche Gesetze am nützlichsten wären. Aber während der McCarthy-Ära in den 1950er-Jahren, als der rechte Senator Joseph McCarthy davon besessen war, allerorts Kommunisten zu erspähen, tat er, was der Kongress mit dem Ausschuss zum 6. Januar jetzt auch tut. Der Supreme Court musste damals zweimal einschreiten und das unterbinden. Und doch sehen wir all das jetzt erneut: Der Ausschuss zum 6. Januar begann mit einer Untersuchung all derer, die die Demonstration an dem Tag beantragt hatten – eine verfassungsrechtlich geschützte Tätigkeit –, und betreibt nun eine ausufernde Ermittlung, um an die Telefon- und E-Mail-Aufzeichnungen politisch Andersdenkender heranzukommen. Der Ausschuss tut ja nicht mal so, als ginge es hier irgendwie um Gesetzgebung. Niemand glaubt, dass er am Ende einen Gesetzesentwurf einbringen wird, der besser gegen Aufstände schützen soll. Nein, die Mitglieder des Ausschusses – der sich bis auf zwei Ausnahmen nur aus demokratischen Abgeordneten zusammensetzt – geben praktisch offen und ehrlich zu, dass sie nicht glauben, das Justizministerium, dem auch das FBI untersteht, habe im Zuge seiner Ermittlungen genug getan. Also führt der Ausschuss seine eigenen Ermittlungen – und das ist brandgefährlich.

Bei einer regulären Anhörung des ständigen Justizausschusses im US-Repräsentantenhaus spielte der republikanische Abgeordnete Thomas Massie kürzlich ein bemerkenswertes Video vor. Darin kann man immer wieder denselben Mann sehen, dessen Name vermeintlich Ray Epps ist, wie er am 5. und 6. Januar dutzende Male die Demoteilnehmer dazu aufruft, das Kapitol zu erstürmen. In einem Video sieht man ihn sogar in dem Moment, als die ersten Barrieren des abgesperrten Bereichs vor dem Kapitol niedergerissen wurden. Es ist, als hätte Massie den Rädelsführer der Unruhen ausfindig gemacht. Epps jedoch findet sich auf keiner einzigen Fahndungsliste. Als Massie den Bundesjustizminister Merrick Garland darauf ansprach, wich dieser aus. Massie sowie der Investigativjournalist (und ehemalige Trump-Redenschreiber) Darren Beattie insinuieren, Epps sei ein Undercover-Agent der Regierung gewesen, ein Agent provocateur sozusagen. Klingt doch wie eine wilde Verschwörungstheorie, die Trump von jeglicher Schuld lossprechen soll, oder?

Nicht, wenn Sie die Geschichte des FBI kennen. Ich fing mit meinem politischen Journalismus 2005 an, weil ich über die Machtexzesse der Bush-Regierung im Zuge des Kriegs gegen den Terror schreiben wollte. Sowohl unter Bush als später auch unter Obama betonte das FBI andauernd die Gefahr, die vom islamistischen Extremismus ausging, denn so bekam das FBI mehr Geld und Befugnisse. Darum erfand es praktisch seine eigenen Terrorplots. Erstmal fingen sich die Agenten einen amerikanischen Muslim ein, der in finanzielle Verbrechen verstrickt war. Daraufhin versprachen sie ihm, Milde walten zu lassen, wenn er sich dazu bereit erklären würde, als V-Mann zu dienen. Er sollte Moscheen aufsuchen, sich mit radikalen Gemeindemitgliedern anfreunden und dann schauen, ob er sie in Terrorpläne, die vom FBI selbst ausgeheckt wurden, verstricken könnte. Und dann, in allerletzter Sekunde, gab es eine FBI-Razzia, und es wurden alle Teilnehmer des Plots festgenommen. Das FBI verkündete dann stolz, es habe das Land vor einem unmittelbar bevorstehenden Anschlag gerettet – einem Anschlag, den das FBI, wie gesagt, selbst ausgeheckt hatte. Manche waren der Ansicht, es handelte sich hierbei um eine legitime Ermittlungsmethode, um diejenigen aufzuspüren, die sich ausreichend radikalisiert hatten, um an Anschlagsplanungen teilzunehmen. Andere, darunter ich, entgegneten, dass das FBI hier Menschen in die Falle gelockt hatte, die sonst nie zu Terroristen geworden wären, wären sie von den Beamten nicht zuerst manipuliert worden. 

Und Sie meinen, das sei auch die Vorgeschichte des 6. Januar?

Die offizielle Position der nationalen Sicherheitsbehörden der USA ist die, dass die größte Gefahr für die USA weder von al-Qaida, ISIS, China, noch Russland ausgeht, sondern von rechtsextremistischen Gruppen innerhalb der USA selbst. Einen Monat vor der Präsidentschaftswahl 2020 deckte das FBI einen vermeintlichen „heimischen Terrorplot“ auf. Die Behörde behauptete, die versuchte Entführung der demokratischen Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, vereitelt zu haben. Whitmer hatte aufgrund ihrer strengen Lockdown-Verordnungen den Ärger vieler Menschen auf sich gezogen. Doch dann kam heraus, dass die meisten Mitglieder der Terrorgruppe im Auftrag des FBI arbeiteten. Was nun die Frage aufwirft, ob es am 6. Januar ähnliche Vorgänge gab. Wir wissen, dass die Behörde in allen drei Gruppen, denen die Hauptschuld an den Ereignissen des 6. Januar gegeben wird, involviert war: den „Oath Keepers“, den „Three Percenters“ und den „Proud Boys“. Die New York Times berichtete kürzlich, dass das FBI während der Ausschreitungen am 6. Januar mit einem seiner Informanten innerhalb der Menschenmenge kommunizierte. Dann führt das logischerweise zur Frage, ob es auch Agents provocateurs in der Menge hatte, die andere zu Gewalt anstachelten. Das können Sie eine wilde Verschwörungstheorie nennen, wenn denn das FBI nicht eben die vorhin angesprochene Vorgeschichte hätte. Viele vermeintliche Rädelsführer des 6. Januar sind bis heute nicht angeklagt, während allerlei Mitläufer aggressiver Strafverfolgung ausgesetzt sind. Manchmal werden Rädelsführer als letzte angeklagt, weil man sich in der Ermittlung hoch arbeitet. Andere Male bleiben sie jedoch unangetastet, weil sie ja für das FBI gearbeitet hatten.

Und Ray Epps könnte ein derartiger V-Mann gewesen sein?

Auf den Videos sieht man ihn immer wieder, wie er Menschen dazu anstachelt, ins Kapitol zu rennen. Unerklärlicherweise wurde er weder festgenommen noch angeklagt. Anders als die 600 anderen Teilnehmer. Das führt zur völlig legitimen Frage, warum jemand, dessen Rolle klar auf Video festgehalten ist, unbelastet bleibt, während viele Menschen, denen viel, viel mindere Straftaten vorgeworfen werden, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind. Das gehört untersucht. Wenn der Ausschuss zum 6. Januar wirklich an der Wahrheitsfindung interessiert wäre, würde er dem auf den Grund gehen. Aber der Ausschuss ist parteiisch, darum sind wir noch weit davon entfernt, eine Antwort auf diese Frage zu erhalten.

Warum sollte es der US-Regierung daran gelegen sein, solche beinahe unvorstellbaren Stunts zu unternehmen?

Warum war es ihr daran gelegen, Menschen dazu zu überreden, Gouverneurin Whitmer zu kidnappen? Es gibt zwei Extreme: Das FBI hatte mit dem 6. Januar nichts zu tun, oder der ganze Kapitolsturm war eine einzige „False flag“-Operation. Dazwischen gibt es noch sehr viele mögliche Erklärungsansätze. Der eine ist, dass das FBI, wie ich vorhin erwähnte, es als legitime Ermittlungsmethode erachtet, Menschen zur Durchführung von Straftaten zu verlocken. Denn bis sie tatsächlich welche begehen, kann man sie nicht strafrechtlich belangen. Man kann sie für gefährlich halten, aber das ist nicht genug. Darum verlockt das FBI Individuen, die sie für Gefährder halten, in der Annahme, es sei besser, sie zur Teilnahme an einem kontrollierten Anschlagsplan zu überreden, als sie unbeschattet etwas Gefährliches durchführen zu lassen. Manchmal ermuntert das FBI Menschen zu Gewaltakten, weil sie sie kurz davor festnehmen wollen, aber dann läuft alles aus dem Ruder. Es wird dann zu einer Mischung aus autonom handelnden Individuen und solchen, die unter den Fittichen der Behörde agieren – und das FBI verliert dabei die Kontrolle. Sie fragten nach den möglichen Absichten: Je mehr Angst vor irgendwelchen Bedrohungen innerhalb der Bevölkerung vorherrscht, umso mehr Geld und Überwachungsbefugnisse erhalten die Sicherheitsbehörden. Der Haushalt des Pentagon, der CIA, der NSA wuchs infolge des 11. September rapide an, weil die Menschen verängstigt waren. Das heißt nicht, dass dieselben Behörden den 11. September geplant hätten. Es heißt, dass sie von den Anschlägen profitieren konnten. Darum haben diese Behörden auch den Anreiz, die Amerikaner davon zu überzeugen, sie seien einer besonderen Bedrohung ausgesetzt. In Washington versteht man diese Dynamik sehr gut.

Zwei Wochen nach dem Sturm aufs Kapitol erschien eine Umfrage, die besagte, dass eine Mehrheit der Amerikaner glaubt, ihre eigenen Mitbürger seien die „größte Gefahr“ für den heimischen „way of life“. Das ist ein krasser Kontrast zur nationalen Einheit, die infolge der Anschläge des 11. September vorherrschte. Wie konnte das Land in nur 20 Jahren in solch verfeindete Lager auseinanderfallen?

Das ist eine sehr gute Frage. Selbstverständlich kommen Menschen nicht von sich heraus auf die Idee, ihre Mitbürger stellten für sie die größte Bedrohung dar. Dazu müssen mächtige Institutionen wie die Regierung und die Medien sie erst anstacheln. Die Trump-Ära veränderte radikal, wie die Menschen über Politik und ihr eigenes Land nachdachten. Abermillionen, die davor niemals an Politik interessiert gewesen waren, waren komplett von den Nachrichten absorbiert und wurden politisch aktiv. Und in vielerlei Hinsicht beginnt das Verständnis der politischen Geschichte Amerikas für viele Menschen erst mit dem Wahlsieg Donald Trumps im Jahr 2016. Also gibt es eine ganz neue Generation an Menschen, deren politisches Engagement im Glauben begann, die größte Gefahr für ihren way of life ginge nicht von feindlichen Staaten aus, sondern von ihren eigenen Mitbürgern mit anderen politischen Ansichten. Dieses Narrativ wurde in den Trump-Jahren immer wieder mit der Russland-Affäre befeuert oder mit Behauptungen, Trump würde Rechtsextremismus anstacheln. Das mündete dann eben am 6. Januar in dem Glauben, es handele sich dabei nicht bloß um eine gewaltsame Demonstration, sondern um einen tatsächlichen Staatsstreich. Und die Demokraten und ihre Verbündeten in den Medien wollen sehr wohl, dass die Menschen glauben, sie seien einer existenziellen Bedrohung der amerikanischen Demokratie ausgesetzt – und zwar einer Bedrohung, die von Mitbürgern anderer politischer Überzeugung ausgeht. 

Diese politische Polarisierung ließ Sie nicht unbeschadet. Aufgrund der Enthüllungen über Edward Snowden galten Sie mal als großer Held der amerikanischen Linken. Jetzt beklagt sich dieselbe oft, Sie seien selbst auf einmal ein „Rechtsaußen“. Wie konnte sich die Wahrnehmung von Ihnen so radikal wandeln?

Politische Fraktionen mit unterschiedlichen Prioritäten ändern sich mit der Zeit. Vor zehn Jahren waren Themen wie die Rolle der NSA, der Krieg gegen den Terror, Folter und Guantanamo sehr prominent. Damals deckten sich meine Ansichten stark mit denen der Linken. Heute redet von diesen Themen kaum jemand mehr. Was diese veränderte Wahrnehmung von mir vermutlich antrieb, ist, dass ich von Anfang an der Idee skeptisch gegenüberstand, Russland stelle eine besondere Gefahr für die USA dar und Trump hätte mit dem Kreml konspiriert, um die Wahl 2016 zu gewinnen. Ich glaubte das nie, und es gab dafür auch nie wirklich Beweise, finde ich. Damit war ein großer Spalt aufgemacht zwischen mir und weiten Teilen der liberalen Linken, für die die Russland-Affäre ein zentraler Skandal war. Und da ich eben ein Skeptiker war, entfremdete ich mich von den liberalen Medienanstalten und wurde von den konservativen begrüßt. Aber für mich war das nie eine ideologische Frage, sondern ganz einfach eine Frage der Beweislage. Insoweit ich doch von Ideologie angetrieben wurde, verfolgte ich das, was mich immer antrieb, nämlich der Kampf gegen den Versuch, Gefahren aufzublähen, die die CIA und das FBI ermächtigen. Aber die politischen Ansichten um mich herum veränderten sich.

Nicht zuletzt, weil der Schock wegen der Wahl Donald Trumps so groß war.

Ja, und viele glaubten eben, er stelle diese beispiellose Gefahr für die amerikanische Demokratie dar. So verstand ich das Trump-Phänomen nie. Stattdessen sehe ich in ihm einfach die Fortsetzung dessen, was vor ihm kam und auch nach ihm wieder fortgesetzt wurde. Die einzige Weise, in der Trump irgendwie ungewöhnlich oder neu war, lag in seinem Verhalten. Aber wenn man sich ganz allein die Politik ansieht, die er verfolgte, war er in der US-Geschichte nicht radikal anders. Doch wenn man davon überzeugt ist, Trump sei wie Hitler und seine Bewegung eine neue faschistische Gefahr, was viele Liberale in den USA tatsächlich glauben, dann steht man eben denjenigen, die diese Ansicht nicht teilen, feindlich gegenüber. Und wenn man seine politischen Feinde nicht nur als Gegner zu verstehen lernt, sondern als präzedenzlose existenzielle Bedrohung, dann hat man schnell mal die Mentalität eines Fanatikers. Wenn wiederum der Fanatismus das Weltbild prägt, dann ist auf einmal alles gerechtfertigt: die Zensur der politischen Feinde, ihre Inhaftierung und die Verweigerung, ihnen einen rechtsstaatlichen Prozess zu gewähren. Darum eben glaube ich, dass die liberale Linke der USA sehr autoritär geworden ist – denn wenn man glaubt, man würde gegen Nazis kämpfen, dann wird man eben Dinge tun, die man davor als extrem und ungerechtfertigt angesehen hätte. Und da mache ich nicht mit.

Die Fragen stellte Gregor Baszak.

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